Zusammenfassung
Zu den niederen Sinnen werden neben Geschmacks- und Geruchssinn gewöhnlich auch Druck-, Wärme-, Kälte- und Schmerzsinn gezählt, also Sinne, die, wenn auch nicht ausschließlich, so doch vornehmlich an die Haut gebunden sind und deshalb oft als Hautsinne zusammengefaßt werden. Aber wir haben uns im vorigen Kapitel klargemacht, daß die Bewertung des Auges als eines höheren Sinnesorgans ganz wesentlich mit seinen Leistungen für die Erfassung des Räumlichen zusammenhängt, die insbesondere die Festlegung der Begriffe durch die Schrift ermöglichen, und gerade in dieser Hinsicht, als „Raumsinnesorgane“ sind die Hautsinne auch dem Geschmacks- und dem Geruchssinn weit überlegen und dem Gesichtssinn verwandt. Zwar erfolgt die räumliche Orientierung durch die Haut nur durch unmittelbare Berührung der Außendinge; denn die Haut gehört nicht zu den „Telerezeptoren“, wie der Gesichtssinn, welcher auch weit ab von unserem Körper gelegene Dinge wahrnimmt; wir erfassen mit dem Hautsinn auch nicht große Gebiete des Raumes auf einmal, wie wir mit dem Gesichtssinn das zugleich wahrnehmen, was sich im Gesichtsfeld vorfindet; sondern der Hautsinn macht uns im Augenblick nur mit einem kleinen Teil der Außenwelt bekannt und belehrt uns erst durch sukzessives Berühren über einen größeren Raumumfang. Aber das Beispiel zahlreicher Blinder, welche ihr wichtigstes Raumsinnesorgan eingebüßt haben, vor allem das Beispiel derjenigen, welche fast von Geburt an gleichzeitig taub und blind wurden, wie Laura Bridgman oder Helen Keller, welche sich allein mit ihrem Hautsinn nicht bloß sprachliche und schriftliche Verständigungsmöglichkeiten erwarben, sondern sich sogar Mathematik, verschiedene Sprachen und Naturwissenschaften zu eigen machten, belehren uns darüber, daß unter besonderen Umständen die Erlebnisse der Hautsinne an kultureller Bedeutung an diejenigen des Gesichts- und des Gehörssinnes heranreichen können, so daß auf die Weise das Begreifen und das begriffliche Denken wirklich auf dem Wege zustande kommt, den die Worte „Begreifen“ und „Begriff“ eigentlich zum Ausdruck bringen.
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Höber, R. (1934). Temperatur-, Druck- und Schmerzsinn. In: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-91709-7_35
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