Zusammenfassung
Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkte die Ergebnisse der genealogischen Ermittlungen bei Chorea-minor-Kranken, so weisen sie auf eine wesentlich höhere krankhafte Belastung als z. B. bei Tabes und Paralyse. Welche Bedeutung dieser Feststellung in der ätiologischen Bilanz der Chorea minor zukommt, vermögen wir — das muß mit Nachdruck betont werden — heute nicht zu sagen. Doch scheint mir, daß man bei der Bewertung der klinischen Anhaltspunkte für die Annahme einer Infektion strengere Maßstäbe anlegen sollte, nachdem man sich unter dem Einflusse der beinahe schon etwas automatisch gewordenen Vorstellungsreihe: Gelenkrheumatismus — Endokarditis — Chorea minor die ätiologische Beweislast doch wohl etwas leicht gemacht hat. Wie unbedenklich wird z.B. aus einem harmlosen konstitutionellen bzw. accidentellen Herzgeräusch auf eine Endokarditis geschlossen! Wenn man z. B. heute die Angabe von Osler aus dem Jahre 1887 als beweisend hinnimmt, daß von 110 Kin dem, die Chorea minor hatten, nach 2–16 Jahren nur 43 „herzgesund“ gewesen seien, so dürfte das schwerlich berechtigt sein. So hat z. B. eine spätere Katamnese von Forssner2 über das sozusagen internistische Schicksal von Chorea minor-Kranken ein erheblich weniger eindeutiges Bild ergeben: Von 28 Kindern, bei welchen 15–20 Jahre später Auskünfte erlangt oder Untersuchungen angestellt werden konnten, waren 7 an Herzkrankheit gestorben oder hatten Albuminurie, je 5 litten am Herzen oder an Tuberkulose und je eines hatte Struma, erhebliche Abmagerung oder moralische Minderwertigkeit; aber keines dieser Kinder scheint ein Rezidiv seiner Chorea gehabt zu haben.
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Literaturhinweise
69 vH hat Wollenberg (Chorea in Nothnagels Handbuch 12, 45. 1897) aus der Literatur bis 1897 auf Grund von 3595 Beobachtungen von 21 Autoren, 85 vH Babonneix (Les chorées. Paris 1924) auf Grund von 66 eigenen Beobachtungen errechnet.
Jahrb. f. Kinderheilk. 71. Ref. in Neurol. Zentralbl. 1910. 1192.
Handb. d. inn. Med. 2. Aufl. V, 2, 1397. 1926.
nach der neuesten Statistik von Burr (Atlant, med. journ. 28, 568; Ref. in Zentralbl. f. d. ges. Neurol, u. Psych. 43, 854) über 515 choreatische Kinder beträgt dieser Prozentsatz 16, 3. Aber Burr fand einen noch höheren Satz, nämlich 23 vH bei den Angehörigen dieser Kinder!
zit. nach Babonneix.
Sperrdruck durch Ref.
Wien. klin. Wochenschr. 3 (2), 901. 1909.
z. B. H. Vogt 1912 in seiner Darstellung in Lewandowskys Handbuch der Neurologie.
Ergebn. d. inn. Med. u. Kinderheilk. 26, 397.
Samml. zwangloser Abhandl. z. Neurol, u. Psychopathol. des Kindesalters, Jena: G. Fischer, seit 1913 und Abhandl. über Kopfschütteln, Pyknolepsie, Einschmutzen usw. 1922–25.
Die soeben erschienenen Mitteilungen von Guttmann (Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psychiatrie 107, 585) konnten leider nicht mehr berücksichtigt werden.
a. a. O.
Ergebn. d. inn. Med. u. Kinderheilk. 19, 624.
a. a. O.
Die Tetanie. 2. Aufl. Wien u. Leipzig 1907.
Wien. med. Wochenschr. Ref. in Neurol. Zentralbl. 1908. 1032.
Der Fall, den Halban (Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. 1, 691. 1896) als „Hemitetanus“ mit Dauerkontrakturen und universellen choreaähnlichen Bewegungen veröffentlicht hat, läßt sich auch heute schwer rubrizieren; zweifellos handelte es sich um eine extrapyramidale Erkrankung.
Berlin, klin. Wochenschr. 1902.
Neurol. Zentralbl. 1916. 282.
Burr fand (a. a. O.) unter 515 Fällen 92, in denen Blutsverwandte ebenfalls an Chorea litten.
Eine Kranke von F. A. Kehrer sen. (Arch. f. Gynäkol. 10, H. 2. 1876), die — wir würden heute wohl sagen: — an erblicher Pseudo-Hämophilie litt und an Uterinblutungen im 4. Monat ihrer 4. Schwangerschaft verstarb (voran waren 3 Aborte gegangen), hatte im 10. Lebensjahr eine Ch. m. durchgemacht; sie war damals schwächlich und lange chloro-tisch; ihre Mutter hypermenorrhoisch.
Wien. med. Wochenschr. 74, 139. 1924.
Curschmann sagt, „in den meisten Fällen beginne dieselbe in der Kindheit bzw. in den Pubertätsjähren“; er stützt sich dabei auf Möbius, Gowers und Heyerdahl, welch letzterer bei 56 vH den Beginn in ersterer, bei 28 vH in letzterer fand. Oppenheim sagt andererseits — und dem entsprechen seit Jahren, seitdem ich auf diesen Punkt besonders achte, meine Erfahrungen —, sie beginne „gewöhnlich“ in der Pubertätszeit, nicht selten in der frühen Kindheit. Dieser Punkt ist insofern nicht von untergeordneter Bedeutung, als ja über engere Beziehungen zwischen Migräne und Generationsfunktionen keine Meinungsverschiedenheit besteht.
Arch. f. Psychiatrie u. Nervenkrankh. 48, 598.
Zeitschr. f. d. ges. Neurol, u. Psychiatrie 98, 90.
Nach Katamnese und Familienerhebung kommt ein ganz atypischer „Huntington“ wohl kaum in Betracht.
aufgestellt nach Wollenbergs Angaben.
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Kehrer, F. (1928). Disposition zur Chorea minor. In: Erblichkeit und Nervenleiden. Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurologie und Psychiatrie, vol 50. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-90805-7_6
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