Zusammenfassung
In Kapitel III, welches speziell von mathematischen Lösungsprozessen handelte, wurde die Vermutung ausgesprochen, daß die „Vielseitigkeit“ und Umstrukturier barkeit eines (subjektiven) Denkmaterials nicht allein von der Vertrautheit mit den einschlägigen generellen Zusammenhängen (Sätzen) und Aspekten abhänge, sondern auch und recht wesentlich von gewissen subjektiven Konstanten des betreffenden Denkmaterials. Um diese Vermutung zu prüfen und womöglich zu bestätigen, sei im folgenden untersucht, was es denn eigentlich für „Umstrukturierungen“ sind, die das Denken in der Mathematik zu leisten hat? Damit wird ein Problem angeschnitten, das dem des vorigen, VII. Kapitels aufs engste verwandt ist.
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Referenzen
Faktors zu schließen. Indessen ist jener Befund schon durch einfaches Unaktuellwerden (Absterben) der funktionalen Ganzheit, welcher F1 angehört, vollauf zu erklären, also unter alleiniger Ansetzung der Faktoren 1 und 2.
Unter „Modell“ sei kurz das anschauliche Substrat des betreffenden konkreten Sachverhalts bzw. des betreffenden Axioms verstanden (vgl. unten).
Wir sehen hier ab von den beiden trivialen Fällen, daß P3 auf g oder b liegt.
Der Leser vergesse nicht, daß er — hier und in den folgenden Beispielen — diese Anforderungen nicht unmittelbar zu spüren bekommt, da ihm ja ausdrücklich mitgeteilt wurde, der Beweis sei jedesmal mit Hilfe des P-Axioms (bzw. P-Satzes) zu führen. Er tritt also bereits mit einer sehr prägnanten Forderung (Richtung) an den betreffenden konkreten Tatbestand heran.
In der Bezeichnung „Transversale“ kommt diese sekundäre und relative Funktion der Geraden zu prägnantem sprachlichen Ausdruck.
Vgl. o. Kap. VII, S. 122.
Es ist dies derselbe Typus von Funktionen, von denen K. Gottschaldt in seiner Untersuchung: „Über den Einfluß der Erfahrung auf die Wahrnehmung von Figuren“, I, eine unkenntlichmachende (das Wiedererkennen extrem eingeprägter Teilfiguren verhindernde) „camouflierende“ Wirkung feststellen konnte (Psychol. Forsch. Bd. VIII).
Daß M zugleich sein eigener Bildpunkt ist, stellt einen jener „Grenzfälle“ eines Begriffs (hier des Begriffs „Bildpunkt“) dar, wie sie in der Mathematik so häufig sind und einem allzu anschaulich orientierten Denken gar sehr wider den Strich zu gehen pflegen.
Das P-Axiom ist hier in der Tat sehr viel versteckter als in unserem ersten Beispiel.
Der andere Weg, auf dem g versuchen könnte, alle drei Dreiecksseiten zu treffen (vgl. Abb. 26 b), ist bereits durch das Axiom „zwei Geraden treffen sich nur einmal“ verschlossen.
Bezüglich solcher Funktionen bestehen natürlich auch im neuen Beispiel anschauliche Widersprüche: Während im konkreten Anwendungsfall die Strecken P1P2, P2P3 und P3P1 eingeführt sind, als 1. absolut, 2. zusammengefaßt, 3. homogen, dagegen die Gerade g und damit die Strecke AB als 1. relativ, 2. getrennt, 3. inhomogen (singulär), — sind bei der Anwendung des P-Axioms die entsprechenden Elemente ganz anders strukturiert: hier ist die Strecke P2P3 nicht mehr zusammengefaßt und homogen mit P1P2 und P3P1, nicht mehr mit diesen absolut gegeben, sondern statt mit ihr haben sich die Strecken P1P2 und P3P1 (genauer: Teile dieser beiden Strecken) jetzt mit der vorher singulären Strecke AB zusammengetan.
Diesen allgemeinsten Begriff von „Anschauung“ hat H. Poincaré im Auge, wenn er in seinem Buche „Der Wert der Wissenschaft“ sagt: „Wir brauchen eine Gabe, die uns von weitem das Ziel sehen läßt, und diese Gabe ist die Intuition“ (S. 20). „Die Intuition ist das Werkzeug der Erfindung“ (S. 21).
Auch für Poincaré (vgl. Fußnote 1) ist die „Intuition“ kein Reservat der Geometrie, vgl. z. B. die Wendung „mit einem Blick den allgemeinen Plan eines logischen Aufbaus erkennen.“
Bereits in Kap. III (S. 45) stießen wir auf die große Bedeutung dieser nach „Sätzen über...“ fragenden heuristischen Methode.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß es bereits nach den mitgeteilten Befunden einen Sinn hat, denkpsychologisch vom „Mathematiker“ schlechthin zu sprechen. Unsere Beispiele stammen nicht nur aus der Geometrie, sondern zum Teil aus der Arithmetik. Es gibt tatsächlich spezifisch mathematische Anforderungen an das Denken — was übrigens aus den zu Beginn von § 3 angestellten Überlegungen ohne weiteres verständlich sein dürfte. Das soll natürlich nicht heißen, es gäbe nicht noch spezifische Anforderungen und Denkweisen der einzelnen mathematischen Disziplinen. Es gibt allerdings eine spezifisch geometrische Begabung, eine spezifisch analytische und zahlentheoretische Begabung. Jeder Mathematik—lehrer weiß das. Auf diese spezifische Differenzen will die vorliegende Arbeit jedoch nicht eingehen. Man mache mir daraus nicht den Vorwurf, sie seien „vernachlässigt“ worden.
Durch eine ähnliche Theorie hat K. Lewin neuerdings gewisse Formen des Schwachsinns zu erklären versucht, vgl. a. a. O.
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Duncker, K. (1974). Über funktionale Gebundenheit mathematischer Lösungselemente (zum Problem der „mathematischen Begabung“). In: Zur Psychologie des produktiven Denkens. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-88750-5_8
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