Zusammenfassung
Die Theorie von der neurogenen Entstehung bestimmter innerer Erkrankungen ist an sich alt. Beobachtungen am Krankenbett, Sektionstisch und Tierexperimente legten bereits vor über 100 Jahren die ersten exakteren Erfahrungen hierzu fest. Seither ist diese Frage für die Klinik nie mehr ganz aus dem Gesichtskreis der Pathogenese innerer Erkrankungen geschwunden, wenngleich ihr in einzelnen Zeitläuften eine sehr verschiedene Bedeutung beigemessen wurde. Die Fortschritte der Organpathologie ließen sie zeitweilig stark zurücktreten. Gegenwärtig befinden wir uns — bezeichnenderweise gerade in Deutschland — in einer Phase der Entwicklung, wo diese Zusammenhänge wieder im Brennpunkt des klinischen Interesses stehen. Während die Untersuchungen und Lehren Rickers und Speranskys mehr die allgemeine Bedeutung des Nervensystems für die Abläufe bestimmter biologischer Reaktionen in den Vordergrund stellten, entwickelte sich daneben auf eine jahrzehntelange Experimentalarbeit bezugnehmend eine klinische Lehre von der Neuralpathologie neuer Prägung, die neben diesen allgemeinen Gesichtspunkten die Prinzipien der Lokalisation und der Zentrenautonomie einschließt. In ihrer reinsten Prägung treffen wir sie in der Veil- u. Sturmschen Theorie von der Diencephalose an. Ähnlich wie die motorischen, sensiblen und sensorischen Funktionen des Nervensystems werden hier die Leistungen des vegetativen Systems bestimmten zentralen, vor allem im Diencephalon gelegenen Repräsentationsstellen — im Idealfall umschriebenen Zellanhäufungen — zugeordnet und deren organische oder funktionelle Störung ursächlich für eine Reihe innerer Erkrankungen verantwortlich gemacht. Diese Zentren sollen als die übergeordneten autonomen Regulatoren die periphere Organkrankheit in Gang setzen. Unter einer angeblichen Überwindung der peripheren Organpathologie wurde hier im Grunde eine noch engere Organpathologie geschaffen, die die heterogensten Erkrankungen zentralisierte. Geschickte und auf den ersten Blick bestechende Syntheseversuche gewannen eine derartige Anziehungskraft, daß Beschreibungen immer weiterer Erkrankungen unter dem Blickwinkel einer diencephalen Störung im deutschen Schrifttum auftauchen. Als die hauptsächlichsten zentrogenen Erkrankungen gelten nach Veil u. Sturm der Hochdruck, das Magenulcus, die Hyperthyreose, der Diabetes mellitus, Nierenleiden und allergische Zustände, denen andere Autoren weitere Krankheitsbilder anzufügen versuchten.
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© 1953 Springer-Verlag OHG. in Berlin, Göttingen and Heidelberg
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Wedler, HW. (1953). Einleitung. In: Stammhirn und Innere Erkrankungen. Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurologie und Psychiatrie, vol 76. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-88237-1_1
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