Zusammenfassung
Es ist für den Eingeweihten ein offenes Geheimnis, daß die Charakterologie in eine Sackgasse geraten ist. Wir müssen uns nämlich darüber im Klaren sein, daß heute die Methoden der intuitiven klinischen Beobachtungen und kasuistischer, anthropologischer Beschreibung die Grenzen der in ihnen beschlossenen Möglichkeiten erreicht haben, um darüber hinaus noch wesentliche Erkenntnisse allgemeiner Art zu erbringen. Solange sich die Wissenschaft vom Charakter auf die deskriptive und normative Behandlung der Persönlichkeit beschränkte, wurde sie den Ansprüchen eines akademischen, geisteswissenschaftlichen Lehrgegenstandes gerecht. Im empirischen Bereiche, das heißt, als angewandte Wissenschaft zur Beurteilung, Auslese und Behandlung von Menschen, stoßen wir jedoch immer wieder auf Unstimmigkeiten zwischen den theoretischen Voraussetzungen, Behauptungen und Systemen der Charakterologie einerseits, und der praktischen Erfahrung andererseits. Wir wollen den Gegensatz der Anschauung und den Streit der Meinungen zwischen den Vertretern geisteswissenschaftlicher und naturwissenschaftlicher Denkprinzipien in der Psychologie keinesfalls vertiefen. Wir wollen im Gegenteil versuchen, diesen Gegensatz zu überbrücken. Dazu sollen Beispiele aus neueren psychologischen Forschung in den USA angeführt werden, die das Problem der Methodik einer angewandten und experimantellen Charkterologie betreffen.
Als ich im Jahre 1945 nach längerer Pause meinen verehrten Lehrer, Prof. Dr. Lersch, wiedersah, unterhielten wir uns auch über die Begegnung mit unseren amerikanischen Kollegen. „Sie waren sehr enttäuscht von der Kompliziertheit unserer charakterologischen Verfahren“, faßte Prof. Lersch seine Eindrücke zusammen. „Sie glauben, man könne alles auf eine einfache Formel bringen; und was sie suchen, ist ein Rezept wie in einem Kochbuch . . .“
An diese Unterhaltung mußte ich denken, als ich elf Jahre später die Ansprache des Präsidenten der Midwestern Psychological Association. las, die er am 29. April 1955 vor dieser Gesellschaft in Chicago, Illinois, gehalten hatte, und deren Titel lautet: „Ein gutes Kochbuch gesucht.“
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Literatur
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© 1958 Johann Ambrosius Barth, München
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Gerathewohl, S.J. (1958). Neue Beiträge zur Methodik einer Angewandten und Experimentellen Charakterologie. In: Däumling, A. (eds) Seelenleben und Menschenbild. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-88155-8_9
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