Skip to main content
Book cover

Psychopathen pp 152–183Cite as

Ein „stimmungslabiler“ Psychopath

  • Chapter
  • 24 Accesses

Part of the book series: Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurologie und Psychiatrie ((MONOGRAPHIEN,volume 94))

Zusammenfassung

Mit den beiden vorhergehenden Fällen kamen psychopathische Verlaufsgestalten zur Darstellung, die mit einer zunehmenden Schrumpfung des Daseinsvollzugs auf die starre Konsequenz einer „Fassade“ einhergingen. Nun soll mit dem dritten Fall eine besonders „leichte“ Form von Psychopathie am Übergang zur Neurose oder auch zur Cyclothymie analysiert werden. Damit wird sich nicht mehr in erster Linie die Frage nach der Verlaufsstruktur des Niedergangs stellen, sondern diesmal wird uns die geschichtliche Gestalt eines schwankenden Verlaufs, einer „periodischen Psycho­pathie“ (E. Kahn [179]) zum Thema werden. Das psychopathische Daseinsgeschehen rückt so — zumal es sich um einen alltäglichen Fall handelt, der auch außerhalb der Klinik häufig vorkommt — in die Nähe des „normalen“, nicht zur unerbittlichen Konsequenz eines eingeschränkten Entwurfs erstarrten Daseinsganges.

Die Bezeichnung „stimmungslabil“, die nach K. Schneider („Psychopathische Persönlichkeiten“ a.a.O., S. 112) erstmals von SIEFERT auf einen bestimmten Psychopathentyp angewandt wurde, ist nicht immer gleichsinnig gebraucht worden. Während beispielsweise E. Kahn („Die psychopathischen Persönlichkeiten“ a.a.O., S. 337) darunter diejenigen psychopathischen Temperamentstypen versteht, deren typische Besonderheit im Wechsel der Grundstimmung, der Erregbarkeit, der psychischen Entäußerungen und, bis zu einem gewissen Grad, auch der gemütlichen Ansprechbarkeit liegt, beschränkt K. Schneider den Bedeutungsgehalt dieses Begriffs. Er bezeichnet als „Stimmungslabile“ eine Psychopathenform von nicht depressiver Dauerstimmung, die ganz wesentlich durch Stimmungslabilität, durch unvermutet auftretende und wieder verschwindende depressive Launen ausgezeichnet ist. Dem entspricht auch unser Fall. E. Kahn faßt unter der Gruppe der „Poikilothymiker“, „autochthon“ und „reaktiv“ Stimmungslabile zusammen, während K. Schneider — mit dem wir hierin übereinstimmen — meint, die Frage nach dem Ursprung sei zwar „theoretisch steilbar, aber an der Hand von lebendigen Erfahrungen nicht einwandfrei zu entscheiden“.

This is a preview of subscription content, log in via an institution.

Buying options

Chapter
USD   29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD   49.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD   84.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Learn about institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Literatur

  1. Deckname

    Google Scholar 

  2. Allerdings ist Emils eigene Deutung dieser Ohnmacht nicht ganz verläßlich, denn der Blutverlust durch die Verwundung dürfte nicht ohne Bedeutung gewesen sein.

    Google Scholar 

  3. Das „Tränenmeer“ (vgl. S. 162) beengte die Weite seiner Brust und drückte sein Herz. Druck und Enge hatten sich also von „außen” nach „innen“ gewendet. Aus der Unterdrückung seiner Anliegen in der Mitwelt war der Druck auf dem Herzen, die Bedrücktheit Emils hervorgegangen. Diese, mit dem Unterliegen unter den mitweltlichen Druck vollzogene Wende — wir haben sie bei Peter Krumm eingehend dargestellt — kann auf vielfältige Weise inhaltlich gedeutet werden. Man kann sie im Sinne der Psychoanalyse als Verdrängung der ursprünglichen Bedürfnisse ins Unbewußte und ihre Verwandlung in aufgestaute Triebenergien oder Symptome verstehen. Auch einer solchen Partialdeutung liegt der ontologische Tatbestand zugrunde, daß im In-der-Welt-Sein zugleich Welt und Selbst erschlossen sind. „Die Analyse der Erschlossenheit des Daseins zeigte ferner, daß mit dieser das Dasein gemäß seiner Grundverfassung des In-der-Welt-Seins gleich ursprünglich hinsichtlich der Welt des In-seins und des Selbst enthüllt ist” sagt HEIDEGGER („Sein und Zeit” a.a.O., S. 200). Wo sich in einem begrenzten Bereich Welt verschließt, dort vermag sich auch das Selbst als eigenstes Sein-können nicht mehr zu entfalten. Freilich steht ihm mitunter eine Fülle anderer Seinsmöglichkeiten offen. Wenn aber das Dasein um seiner selbst willen, vielleicht weil es die ihm noch erschlossenen mitweltlichen Möglichkeiten nicht drangeben kann, einer Bedrängnis oder Versagung unterliegt, dann wird gerade diese mitweltliche Weise der Verschlossenheit des Seinkönnens auch zur eigenweltlichen. So kann es geschehen, daß die im Mitsein „unterdrückten“ Anliegen Emils, verwandelt in die „anonyme Schwermut”, in das Gefühl des „abgedrückten Herzens“ oder als Druck in der Brust usw. sich leibsprachlich aussagen.

    Google Scholar 

  4. Lediglich um Mißverständnissen vorzubeugen, möchten wir betonen, daß wir keineswegs des Glaubens sind, alles, was man vom jeweils gelebten Weltentwurf eines Menschen als Beständiges im Sinne des „Charakters“ zu Gesicht bekommt, wäre auf solche Weise entstanden. Vielmehr sind nur die „abnormen Charakterzüge”, die den existenziellen Tatbestand einer zugrundeliegenden starren Konsequenz aussprechen, aus einem existenziellen Stillstand in Teilbereichen des Daseins hervorgegangen. Die eigentliche Beständigkeit des Daseins, die uns sehr wohl ebenfalls als „Charakter“ imponiert, wurzelt dagegen in der Geschichtlichkeit des Daseins selbst als vorlaufende Entschlossenheit zum eigensten Seinkönnen. So liegt dem Charakter, soweit er „Selb-Ständigkeit” im Daseinsgang ist, letztlich as existenzielle Gewissen zugrunde; denn nur im Ergreifen seines eigensten, ihm aufgetragenen Selbstseinkönnens vermag das Dasein die Entfaltung dessen zu vollziehen und durchzuhalten,wozu es eigentlich gerufen ist.

    Google Scholar 

  5. Aus dem gleichen Grunde sind wahrscheinlich — worauf G. BENEDETTI („Grundzüge der Psychotherapie bei Schizophrenen“, Internat. Symposium über die Psychoth. der Schizophrenie, Basel-New York: Karger 1960) hinwies — Metapher und Symbol ein schonendes und behütendes Medium der Verständigung in der Psychotherapie Schizophrener, das uns erlaubt, gefährliche Themen oder verdeckte Anliegen frühzeitig anzugehen. Der zugleich verhüllende und entbehrende Sinnbereich der Metapher ist Mittler zwischen zwei Sprachwelten, deren wesentliche Kommunikation nur möglich ist, wenn wenigstens der Eine vorerst alles nur so verstehen darf, wie er es in seiner Welt aufzunehmen vermag.

    Google Scholar 

  6. Unmittelbar zugehörig ist die Tatsache, daß Emil in seiner Phantasiewelt auch in einem Bergschloß wohnt. Hier spricht sich im weltlichen und phantasieweltlichen Ort die Räumlichkeit des Daseinsentwurfs aus, auf die wir noch eingehen werden.

    Google Scholar 

  7. In der Möglichkeit des Nebeneinanderexistierens zweier Welten kommt jedoch eine fundamentale Eigentümlichkeit des Daseins zum Vorschein, die HEIDEGGER [184] und noch eingehender L. BINSWANGER [185] in ihrer HERARLrr-Interpretation freigelegt haben. „Den Wachen gehört eine und daher gemeinsame Welt, jeder Schlafende wendet sich seiner eigenen Welt zu“ sagt HEIDEGGER in der Übertragung eines Satzes von HERAKLIT. Doch nicht nur im Schlaf „ist die Welt des Seienden eine ausschließlich auf das jeweilige Dasein vereinzelte” (HEIDEGGER), sondern auch im Wachträumen eröffnet sich die Möglichkeit der Vereinzelung — wie L. BINSWANGER zeigte — dem „idios kosmos“ zu verfallen. Das Dasein vermag sich aber nur in der Kommunikation von Mensch zu Mensch, im Teilhabenkönnen an der gemeinsamen Welt, dem „Koinos Kosmos” wirklich auszutragen. Das Eintreten in die „Koinonia“ (L. BINSWANGER), der „Überstieg” zur Welt ist die fundamentale Möglichkeit des faktischen Sein-könnens, in der sich erst die Selbstheit zeitigt (HEIDEGGER [186])

    Google Scholar 

  8. GOETHE, „Die Leiden des jungen Werther“ I, Brief vom 13. Mai an Wilhelm.

    Google Scholar 

  9. „Diese sanften, frommen Lieder lassen Unglück nicht heran“, heißt es bezeichnenderweise in dem Lied des kleinen Jungen, der den ausgebrochenen Zirkuslöwen fangen soll —, in GOETHES „Novelle”.

    Google Scholar 

  10. Das „Nebeneinander“ einer engen, bedrängenden, feindselig gestimmten Wirklichkeit und der Leichtigkeit und Weite der Phantasie läßt Schiller seinen Wallenstein aussprechen: „Eng ist die Welt, doch das Gehirn ist weit, Leicht beieinander wohnen die Gedanken, Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen, Wo eines Platz nimmt muß das andre rücken, Wer nicht vertrieben sein will, muß vertreiben, Da herrscht der Streit und nur die Stärke siegt.”

    Google Scholar 

  11. Die Verdeckung des existenziellen Gewissens, als Vorruf auf das entschlossene Ergreifen der eigensten Seinsmöglichkeiten, durch eine „parasitäre“ Entwicklung des „sozialen Gewissens” — die hier nur in bescheidenem Umfang besteht — spielt beim „sensitiven Charakter“ eine ausschlaggebende Rolle. Dort tritt das ängstliche Besorgen der Ansprüche und Erwartungen der Mitwelt ganz an die Stelle der Erfahrung eigensten Schuldigseins in der Verfehlung des Selbstseinkönnens. Das Mitsein kann auf solche Weise nicht mehr befreiende Daseinspartnerschaft sein, in der das Dasein sich erschließend zu sich selber kommt. Es wird vielmehr zur beengenden, das Selbstseinkönnen vergewaltigenden Verstrickung (vgl. H. HÄFNER „Ober sensitive Charakterentwicklung” in „Mehrdimensionale Diagnostik und Therapie“, Stuttgart: Thieme 1958, S. 101 ).

    Google Scholar 

  12. Wenn fortan von „Pflicht“ die Rede ist, so meinen wir damit ausschließlich im Rahmen dieses Falles jene Abwandlung des Mitseins, die das mitmenschliche In-Anspruch-genommensein als lastende Forderung der anderen und Beschränkung des eigenen Seinkönnens erfahren läßt.

    Google Scholar 

  13. GOETHE, „Die Leiden des jungen Werther“ I. Brief an Wilhelm vom 22. Mai.

    Google Scholar 

  14. Den Unterschied einer gereiften, im Maß der anthropologischen Proportion stehenden Höhe zur angemaßten, der Kommunikation entfremdeten Höhe der Verstiegenheit kann nichts eindrucksvoller erweisen als die Gegenüberstellung zweier Gedichte von NIETZSCHE und HÖLDERLIN: „Hoch wuchs ich über Mensch und Tier; und sprech ich — niemand spricht mit mir. Zu einsam wuchs ich und zu hoch — ich warte: worauf wart’ ich doch? Zu nah ist mir der Wolke Sitz, — ich warte auf den ersten Blitz.“

    Google Scholar 

  15. In dem „Gestelzten und Schwülstigen“, kurz in der Überhöhung des Selbstseins durch eine „Manier” kommt ein Element von Manieriertheit zum Ausdruck. L. BINSWANGER („Verstiegenheit, Verschrobenheit, Manieriertheit” a.a.O., S. 173) hat aufgewiesen, daß das Dasein im Sich-emporwinden zur Manier „krampfhaft einen Boden sucht, auf dem es stehen und an dem es Halt finden zu können sich vermißt“. Manieriertheit ist im Grunde ein verzweifeltes Fliehen vor der Unheimlichkeit und Bodenlosigkeit, der das Dasein wirklich ausgesetzt ist. Doch ist bei Emil nur ein Ansatz zur Manieriertheit vorhanden, keineswegs ist sein Daseinsgang in der Manier schon „an ein Ende geraten”. Abgesehen von der Tatsache, daß er noch in einem Bereich ergriffener Überantwortung steht, ist es vor allem die Stimmung, die Emils Entwurf nicht in den Fesseln der Manieriertheit erstarren läßt. Als verbindendes Medium — etwa in der „Übereinstimmung“ — erschließt sie ihm immerhin noch einen begrenzten Bezirk von Kommunikation, der stets die Möglichkeit offenläßt, in ihm auch das Selbstsein-können weiter zu ergreifen.

    Google Scholar 

  16. Ganz abgesehen von der Tatsache, daß Arbeit im allgemeinen weitgehend in der Selbstvergessenheit und Zerstreuung mitweltlichen Besorgens aufgeht, in der das Dasein nicht zu sich selbst kommen kann. In diesen Verweisungsbezügen kann Arbeit auch zur „Seinsentlastung“ pervertieren, die den Abgrund verfehlten Selbstseinkönnens verdeckt. Zu sich selbst, zum Glücken seines Daseinsganges, kann jedenfalls das Dasein nur kommen, wenn es sich aus dem Aufgehen in der Zerstreutheit alltäglicher Besorgnisse auf sein eigenstes Sein-können zurückrufen läßt.

    Google Scholar 

  17. Im alltäglichen Brauch ist das zeitliche Moment dieses Wechsels in eine Periodik gegliedert. Sie hält sich keineswegs alleine an den Rhythmus von Tag und Nacht, von Wachen und Schlafen. Gott ruhte nach der „Genesis“ am siebten Tage seiner Schöpfung. Die zeitliche Gliederung des Tages mit den Mahl-und Ruhezeiten, der Woche, mit ihren festgesetzten Tagen der Erholung oder der religiösen Einkehr, wird im Brauch unserer Gegenwart von Festtagen, Urlaub usw. noch ergänzt. Schließlich steht das ganze Leben in einer solchen Abfolge von „Pflicht” und Entlastung. Dem Kinde und dem Greis wird relative Freiheit von der Last des Sorgens für sich und andere gewährt; worin sie vielleicht beide allererst und endlich zu sich selber kommen sollten. Wenn Emil für sein Alter schon sehnsüchtig die „Befreiung“ von seiner „Pflicht” erhofft, so spricht sich darin allerdings sein ganz besonderes Verlangen nach der Entlastung vom fremden Druck und nach dem Hegen alleine der eigenen Anliegen aus.

    Google Scholar 

  18. Die Klärung dieser Zusammenhänge verdanken wir in besonderem Maße unseren Gesprächen mit L. A. BINSWANGER, was wir an dieser Stelle ausdrücklich hervorheben möchten.

    Google Scholar 

  19. Wir wollen hier die KIERKEGAARDSChe Unterscheidung von „guter“ und „böser” Schwermut, wie wir es in anderem Zusammenhang getan haben („Zur Daseinsanalyse der Schwermut”; Zschr. Psychoth. 8, 223 [1959]) ausdrücklich nicht anwenden. Sie beinhaltet einen anderen Sinn, nämlich den der Trennung einer zerstörerischen Schwermut, in der alle Hoffnungen geschwunden sind, von jener, in der die „Sinne sich vertiefen“, auf deren Grunde der Mensch auf sein eigentliches Sein gewiesen wird. Dagegen läßt sich die psychoanalytische Hypothese vom „narzißtischen” Charakter einer solchen Schwermut von den dargestellten Strukturzusammenhängen her gut begründen.

    Google Scholar 

  20. a.a.O. I. Brief an Wilhelm vom 13. Mai.

    Google Scholar 

  21. Wir wollen nicht versäumen, auch an dieser Stelle wieder zu betonen, daß mit solchen Aussagen keine objektive Charakteristik der Mitwelt, etwa der Eltern Emils gegeben ist. Vielmehr treffen diese Feststellungen ausschließlich auf den inneren Geschehenszusammenhang und die besonderen Mitseinsweisen zu, worin sich Emils Dasein entfaltete. Wenn auch die Mitwelt, wie sie Emil widerfuhr, darin eingeschlossen ist, so ist sie doch auch immer schon auf jene spezifische Weise ausgelegt, in der sie in den Verweisungszusammenhang dieses einen, individuellen Daseinsgeschehens eingegangen ist.

    Google Scholar 

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 1961 Springer-Verlag OHG / Berlin-Göttingen-Heidelberg

About this chapter

Cite this chapter

Häfner, H. (1961). Ein „stimmungslabiler“ Psychopath. In: Psychopathen. Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurologie und Psychiatrie, vol 94. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-87999-9_6

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-642-87999-9_6

  • Publisher Name: Springer, Berlin, Heidelberg

  • Print ISBN: 978-3-540-02731-7

  • Online ISBN: 978-3-642-87999-9

  • eBook Packages: Springer Book Archive

Publish with us

Policies and ethics