Zusammenfassung
Person überhaupt und also auch die ins Verrückte gewandelte Person erschließt sich dem wissenschaftlichen Zugriff in je verschiedenen Verstehenshorizonten, welche über ein Erleben der Innerlichkeit hinaus ihre Bezüge zur Leiblichkeit und ihre Verhaftungen an eine Welt, als Feld ausgreifender Betätigung und recep-tiver Beeindruckung, einschließen. Dieser Personbegriff bedarf als legitimes Arbeitsthema der Psychologie und Psychopathologie nach den Klärungen von Klages, Stern, Krueger, Straus und der „Allgemeinen Psychologie“ von Binswanger keiner Rechtfertigung. Wissenschaftsgesclnchtlich ist zu erinnern, daß ein Denken in personalen Kategorien vor oder unabhängig von existenzphilosophischen Einflüssen geleistet wurde. Die Seelenwissenschaften hoben nach ihrem elementaristischen Ausgang in wenigen Jahrzehnten die Person als „ganzheitliche“, als „gefügehaft gegliederte“, als „auf Welt hin angelegte“, „psychophysisch neutrale“ usw. in ihren Verstehenskreis. Die Psychopathologie erprobt heute in mühevollerem Nachgang diese Aufstellungen ihrer psychologischen Grundwissenschaft an eigenen Fragestellungen. Auf ihrem Frageweg nach umgreifenden personalen Bezügen des seelisch Abnormen geriet sie mit Notwendigkeit in die Bemühung um eine philosophische Selbstbegründung — ein Vorgang, der jeden nachdenklichen Forscher des Faches zur Stellungnahme zwingt und dessen Tragweite für jede Untersuchung auf psychopathologischem Felde erneut eingesehen werden muß.
„Von Wissenschaft schlechthin ist aber nur da zu sprechen, wo innerhalb des unzerstückbaren Ganzen der universalen Philosophie eine Verzweigung der universalen Aufgabe eine in sich einheitliche Sonderwissenschaft erwachsen läßt.“
E. Husserl
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Literatur
Inwiefern die Umkehr philosophiegeschichtlich vordeterminiert ist durch kartesisches und empiristisches Denken bei Husserl, durch idealistisches bei Heidegger (s. H. Wagner, W. Schulz), ist hier nicht zu erörtern.
Dabei sucht Husserl die derzeitige Psychologie in ihren Grundhaltungen in Frage zu stellen. „Freilich so, wie die Psychologie auf den Plan tritt, ist sie eigentlich ein beständiges Kreuz der philosophischen Geister... Es fehlte... an der Methode, die Aktsphären, aufweiche sich diese (seelischen) Vermögen doch beziehen, und demnach überhaupt das Bewußtsein als Bewußtsein von etwas in richtiger Weise systematisch deskriptiv herauszustellen... Wie könnte eine Psychologie auf die rechte Bahn kommen, ohne zu einer systematischen Elementaranalyse des Bewußtseins als Bewußtsein von etwas durchzudringen, als gewissermaßen dem ABC des Seelenlebens!“ „...aber ohne die Überwindung des Sensualismus, des Bewußtseins-Naturalismus, ist nicht einmal eine Psychologie als echte objektive Wissenschaft möglich.“
Zunächst hat Dasein den „ontischen Vorrang“ eines existenziellen Selbstverhältnisses. Es hat ferner den „ontologischen Vorrang“ der Ausbildung einer existenzial-ontologischen Theorie. Daß dieses Ontologischsein des Daseins, die Begründung also für die Ausbildung einer auf die Fundamentalontologie vorbereitenden Daseinsanalytik, gemessen am Leitziel eben dieser zu entwickelnden Fundamentalontologie für Heidegger zugleich ein „Vorontologisch-bleiben“ des Daseins bedeutet, kann hier ebenso übergangen werden wie die besondere materiale Erfüllung der in „Sein und Zeit vorgezeichneten Fundamentalontologie durch den späten Heidegger.
Eine phänomenologische Grundlegung der Psychiatrie ist als philosophische Aufgabe gleichwohl vom Psychiater selbst zu leisten. Es wäre ein Mißverständnis, wollte man annehmen, diese Aufgabe solle an den erfahrungslosen Fachphilosophen zurückgespielt werden, der sie, wie die Philosophiegeschichte lehrt, oft weltfremd und schematisch genug erledigte. Der philosophierende Psychiater gewinnt in phänomenologischer Einstellung eine Naivität des Hinblickens auf seelisch Abnormes zurück, sofern er das positionale Bewußtsein eines Wissens um „Objektivitäten“, „Kausierungen“ usw. aufgibt. Zur Quelle seiner phänomenologischen Befunde wird dann die Alltagswelt der Verrückten um ihn, insbesondere auch die umgehend besorgende Sprachlichkeit, in der diese Welt, von wissenschaftlichen Schematisierungen frei, immer schon ergriffen wurde. Diese Haltung ist der daseinsanalytischen Forschungsrichtung vorbildlich geworden. Der Phänomenologe klammert die Extreme des Alltäglichen und differenzierter eidetischer Schau zusammen und setzt die sonst geltende Mitte positionaler Argumentation der Wissenschaften für seine Absichten außer Kurs. Er aktualisiert in dieser Erkenntnishaltung eine Paradoxie, die jedem echten Philosophieren innezuwohnen scheint und für die Moderne in der Spätphilosophie Schellings am deutlichsten wird.
Über „grundsätzlich Trennendes“ hinaus sieht Tellenbach eine „Nahtstelle“ zwischen phänomenologischer Wesens Wissenschaft und „Geisteswissenschaften“ in der psychologischen Phänomenologie der Bewußtseinsgegebenheiten. Diese Berührung in einer Gemeinsamkeit des Erfahrungsbegriffes beider Erkenntnishaltungen geschieht gewissermaßen punktuell. Im übrigen bleibt die Erfahrung der von Husserl gelegentlich als „empirisch“ bezeichneten Phänomenologie der „Empirie“ der „positiven Geisteswissenschaften“ i. S. Tellenbachs stets vorgeordnet.
Kunz zeigte unmißverständlich, daß jede Anthropologie den Menschen bereits als Menschen gesetzt hat. Insofern der Mensch nur Mensch sei auf dem Grunde des Daseins in ihm, könne die Frage nach dem, was ursprünglicher sei als der Mensch, grundsätzlich keine anthropologische sein.
Ähnlich Tellenbach, der die psychiatrische Anthropologie als „Geisteswissenschaft“ nach Art geisteswissenschaftlicher Psychologie, Soziologie usw. bestimmt, und sie in einer phänomenologischen Erfahrung „gründen“ läßt.
Ein ontologisches Problemfundament anthropologischen Verstehens ist etwa die Inter-subjeLtivitätsfrage. Die Paradoxie der menschlichen Subjektivität, „das Subjektsein für die Welt und zugleich Objektsein für die Welt“ (Husserl) ist hier in phänomenologischer Einstellung ursprünglich zu erfahren. Als Seiende wird die Welt zugänglich „schon durch die Vergemeinschaftung des schlicht Wahrnehmungsmäßigen“. In der Untersuchung der „Ich-Du-Synthesis“ und der „Wir-Synthesis“ dringt Husserl in die regionale Ontologie des seelisch Abnormen vor: „...sind auch die Wahnsinnigen Objektivationen der für die Leistung der Weltkonstitution fraglichen Subjekte ?... Es erwachsen die Probleme der intentionalen Modifikationen, in denen allen diesen Bewußtseinssubjekten, die für die Welt in unserem bisherigen (und für immer fundamentalen) Sinne nicht mitfungierende sind — d. h. für die Welt, die aus Vernunft Wahrheit hat —, ihre Weise der Transzendentalität zugemessen werden kann und muß, eben als,Analogien’ von uns.“ — Die letzten Überlegungen des Philosophen eröffnen eine noch nicht zureichend bedachte philosophische Grundlegung anthropologischer Psychopathologie.
Die im folgenden Text jeweils eingeklammerten Buchstaben oder Zahlen beziehen sich auf die entsprechenden Signa der topologischen Darstellungen. Diese lehnen sich locker an die allgemeinen Prinzipien der Strukturwiedergaben Lewins an.
Husserl gibt diesem phänomenologischen Problem die Formulierung: „... so sind rein wahrnehmungsmäßig Körper und Leib wesentlich unterschieden; Leib nämlich als der einzig wirklich wahrnehmungsmäßige Leib, mein Leib. Wie das Bewußtsein zustandekommt, in dem gleichwohl mein Leib die Seinsgeltung eines Körpers unter anderen gewinnt, wie andererseits gewisse Körper meines Wahrnehmungsfeldes dazu kommen, als Leiber, Leiber,fremder’ Ich-Subjekte zu gelten, das sind nun notwendige Fragen.“ Die in „Kinästhesen“ fundierte Leiblichkeit bildet letztlich das „Korrelationsapriori“ des Wie des Erscheinens von Weltgehalten.
Bilz brachte in einer Analyse des Verdrängungs-Paradigma von Freud und Nietzsche diesen Vorgang unter den Titel des „Verdrängungsschutzes“.
Feldmann bezeichnet in einer phänomenologischen Strukturanalyse des Ichbewußtseins die Voraussetzung endogen-psychotischer Ichstörungen als „strukturelle Veränderungen des Icherlebens“. Neurotische Störungen des Ichbewußtseins sind dagegen im individuell oder kollektiv normierten „Ich-Sinn“ fundiert.
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Kisker, K.P. (1960). Zugänge zur schizophrenen Person. In: Der Erlebniswandel des Schizophrenen. Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurologie und Psychiatrie, vol 89. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-86128-4_2
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