Zusammenfassung
Innerhalb der Fülle von Beiträgen, die sich mit theoretischen und praktischen Problemen süchtigen Verhaltens befassen, nehmen Untersuchungen über Formen und Erscheinungsweisen der sog. „nichtstoffgebundenen Abhängigkeiten“ einen wachsenden Raum ein. Obwohl diese im Vergleich zur gesellschaftlichen Bedeutung der stoffgebundenen Suchtformen, allen voran wohl dem Alkohol, eine sicherlich geringere Rolle spielen, hat ihre praktische Relevanz in den letzten Jahren ständig zugenommen. Die Thematik erneut angestoßen hatte Giese (1962) mit dem von ihm in Rückgriff auf v. Gebsattel bereits 1932 geprägten Begriff des süchtigen Sexualverhaltens. An einer Reihe eindrucksvoller Fälle entwickelte Giese bestimmte Kriterien, die ein sexuell-süchtiges Verhalten von einer bloßen Devianz oder einem sexuellen Fehlverhalten abgrenzen sollten.1 Inzwischen darf es als allgemein anerkannt gelten, daß die süchtige Abwandlung ein ubiquitäres psychologisches Phänomen darstellt, in das triebnahe (Sexualität, Essen, Trinken) wie auch triebfernere Verhaltensweisen (z. B. Arbeit, Hobbies, neuerdings auch Jogging, Spielen etc.) einbezogen sein können. Manche Autoren, wie z.B. v. Gebsattel (1948), Giese (1962), zuletzt Bochnik u. Richtberg (1980) neigen sogar zu der Annahme, daß das Wesen jener anthropologischen Abwandlung, die man Sucht oder Abhängigkeit nennt, besser an den nichtstoffgebundenen Formen zu studieren sei, da durch Wegfall der toxischen Wirkung sozusagen das reine Wesen süchtiger Entartung zur Darstellung gelange. Unter dem Aspekt forensischer Fragestellungen wurden inzwischen viele nichttoxische Fehlverhaltensformen auf ihren möglichen Suchtcharakter hin untersucht und gewertet. So z.B. bestimmte Abwandlungen, die klinisch dem Bereich der Pseudologia phantastica zugerechnet werden, wie dranghaftes Renommieren, impulshaftes Betrügen, obsessives Stehlen und vieles andere mehr. Von interessierter Seite neigt man in foro immer häufiger dazu, alle möglichen Formen menschlichen Fehlverhaltens für suchtbedingt zu erklären, um natürlich hierfür die dekulpierenden Privilegierungen der entsprechenden gesetzlichen Vorschriften in Anspruch zu nehmen. In mancher Hinsicht scheint es sogar so, daß die Diskussion um die nichtstoffgebundenen Abhängigkeiten erst von hierher ihre eigentliche Schubkraft gewonnen hat (Schumacher 1981). Schon die genannten Untersuchungen von Giese standen ja im Kontext forensischer Fragen, ging es doch darum, Kriterien zur Indikation so schwerwiegender Eingriffe wie der Kastration bei Sexualstraftätern zu gewinnen.
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Schumacher, W. (1986). Untersuchungen zur Psychodynamik des abhängigen Spielverhaltens. In: Feuerlein, W. (eds) Theorie der Sucht. Suchtproblematik. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-82751-8_11
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