Zusammenfassung
In den entwickelten Industrieländern hat die Hochleistungsmedizin die Menschlichkeit im Arzt-Patienten-Verhältnis zerstört. Arzt und Patient stehen sich in einer verfremdeten Beziehung gegenüber. Die Patienten sind zum Objekt des organisierten Medizinbetriebes geworden. Der Produktion industrieller Massengüter vergleichbar, haben sich die ärzt-lichen Dienstleistungen in einer Makrostruktur, im „organisierten oder etablierten Medizinbetrieb“‚ verselbständigt. Diese stellt in den entwik-kelten Industriegesellschaften einen bedeutsamen Sektor der arbeits-teiligen Herstellung von Gütern und Dienstleistungen dar. Bei der Bereitstellung medizinischer Dienstleistungen, im Medizinsektor der Gesellschaft, nehmen die Ärzte die beherrschende Stellung ein. In mehr-facher Hinsicht sind sie die Nutznießer des „organisierten Medizinbetriebes“: als privilegierte Einkommensbezieher, als Manager der Gesund-heitsgüterproduktion und als unumschränkte Herren über ihre Patienten. Denn die Macht über den Medizinsektor der Gesellschaft garantiert den Ärztendie soziale Kontrolle über die Bevölke rung, sie sichert ihnen den Zugang zu den wirtschaftlichen Quellen des Wohlstandes und er-öffnet ihnen einen weitreichenden politischen Einfluß.
Die … Medizin stützt eine morbide Gesellschaft, in der die soziale Kontrolle der Bevölkerung dutch das medizinische System eine der wichtigsten ökonomischen Aktivitäten ist… Menschen, die durch ihre industrielleArbeit undFreizeit ver-stort, krankgemacht und invalidisiert werden, bleibt nur die Flucht in ein Leben unter ärztlicher Aufsicht, das sie zum Stillhalten verführt und vom politischen Kampfum eine ge-sündere Welt ausschließt.
Ivan Illich
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von Ferber, C. (1979). Medizin als gesellschaftliches Herrschaftssystem: Sackgasse industrieller Zivilisation oder Stadium im Prozeß sozialen Wandels?. In: Maßlose Medizin?. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-81350-4_3
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