Zusammenfassung
Wer kennt sie nicht, die „Lehrjahre auf der Couch“? Das erste, mutige Zeugnis einer Lehranalyse. T. Moser (1974) ist mit diesem Bericht über seine Eigentherapie im Rahmen seiner psychoanalytischen Ausbildung berühmt geworden. Er legt einen Erfahrungsbericht vor, der in den eigenen Reihen nicht unumstritten akzeptiert wurde, wie das nachdenkliche kritische Vorwort dazu von H. Kohut zeigt. Man könnte auch sagen, daß hier die therapeutische Selbsterfahrung eines Analysanden für ein großes Publikum aufgedeckt wurde. Die Störung wird als depressive und narzißtische Neurose klassifiziert. Der betroffene Autor schildert sein Leben außerhalb des therapeutischen Raumes ebenso wie die Erlebnisse innerhalb der therapeutischen, genauer formuliert, psychoanalytischen Welt. Dabei steht die Therapeut-Klient-Beziehung ganz eindeutig im Vordergrund. Schonungslos werden Irrungen und Wirrungen der menschlichen Seele — auch intim, sexuell — beschrieben und gedeutet. Manches in dieser Selbstbeichte war mir damals — als 25jährigem Leser — peinlich und ist mir bis heute peinlich geblieben. Dennoch bleibt für mich die bohrende Frage (aus diesem Text kommend) bestehen, wieviel Ähnliches wissen moderne, psychologische Therapeuten über die Gründe und Abgründe ihrer Seele heutzutage? Ist der Widerstand nicht in der Weise angewachsen, sich selbst zu erforschen sei weitaus weniger wichtig, als schnell und effektiv dem Klienten/Patienten helfen zu können (vgl. Effektivitätsforderungen von Grawe 1992)? Selbsterfahrung der Psychotherapeuten in Ausbildung erscheint dann eher als unnötiger Luxus.
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Literatur
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Scobel, W.A. (1996). Selbsterfahrung — interdisziplinär, inhaltsanalytisch. In: Selbsterfahrung in der Verhaltenstherapie?. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-80246-1_4
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