Zusammenfassung
Dem wissenschaftlichen Fortschritt mit ethischen Überlegungen beizukommen, ist eine Gratwanderung. Das gilt ganz besonders im Blick auf diejenigen Disziplinen, in denen dieser Fortschritt technologischen Charakter angenommen hat. Als technologisch bezeichne ich dabei wissenschaftliche Entwicklungen, in denen eine klare Differenzierung zwischen Grundlagenforschung, angewandter Wissenschaft und technischen Verfahren nicht oder nicht mehr möglich ist.1 Für technologische Fortschritte dieser Art ist kennzeichnend, daß technisch bisher nicht zugängliche Bereiche der Natur in den menschlichen Verfügungsraum einbezogen werden. Sie sind zugleich dadurch geprägt, daß wissenschaftliche Entwicklung und wirtschaftliche Verwertung eng miteinander verflochten sind. Daraus, daß es sich um ein Vordringen in bisher unzugängliche Bereiche der Natur handelt, erklärt sich der große ethische Orientierungsbedarf, der sich aus diesen Entwicklungen ergibt. Daraus, daß wissenschaftliche Entdeckungen und wirtschaftliche Interessen in Wechselwirkung miteinander stehen, erklärt sich, warum die Ethik es gerade in solchen Feldern besonders schwer hat.
Ich danke P. Bubmann herzlich für Scine Hilfe bei der Literaturbeschaffung und für klärende Überlegungen, sowie T.M. Schroeder-Kurth für wichtige Hinweise.
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Literatur
Vgl. W. Ch. Zimmerli/H. Hartmann, Zur Übertragbarkeit der Resultate ethischer Reflexionen im Zusammenhang mit der potentiellen therapeutischen Anwendung gentechnischer Methoden auf die Erforschung des menschlichen Genoms, in: Med. Genetik 3/1992, 45 f.
Das besondere Charakteristikum einer nun hinter uns Hegenden Epoche lag demgegenüber darin, daß Kunstwerke technisch reproduzierbar wurden. Vgl. W. Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter Sciner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt 1963.
Vgl. T.M. Schroeder-Kurth, Stand und zukünftige Entwicklungen der pränatalen Diagnostik, in: Die Verwirklichung der Rechte Schwerstbehinderter Menschen. Eine Herausforderung für Pädagogik und Politik. Sonderschule in Baden-Württemberg, Sonderheft 1991, 26–35. Dort werden insgesamt folgende zukünftige Entwicklungen und Trends in der Pränataldiagnostik genannt: 1. Anwachsen der Nachfrage nach Pränataldiagnostik; 2. Forderung jüngerer Frauen nach Pränataldiagnostik; 3. Geschlechtswahl durch pränatale Bestimmung der Geschlechtschromosome; 4. Identifizierung geringgradiger Defekte und weniger beeinträchtigender Krankheiten, auch mit später Manifestation; 5. Möglichkeiten für allgemeines Schwangerschaftsscreening auf relativ häufige Erbkrankheiten und Chromosomenaberrationen; 6. Vorverlegung der Diagnostik in das präembryonale Stadium mit Hilfe der In-vitro-Fertilisierung: Präimplantationsdiagnostik.
„Der an sich richtige Begriff des,Partialtodes‘für den Zustand des Hirntodes, im Gegensatz zum,Totaltod‘des traditionellen Todesbegriffes, hat sich klinisch nicht eingebürgert“(R. A. Frowein/B. Forster, Todesfeststellung/Todeskriterien/Todeszeitpunkt, in: Lexikon Medizin — Ethik -Recht, Freiburg i.Br. 1989, 1187–1198 [1190]). Siehe auch unten Anm. 30
Der Erlanger Fall der Marion P. hat eine neue Flut von Literatur zu diesem Thema ausgelöst. Repräsentativ und aufweite Strecken differenziert ist der Sammelband von A. Bubner (Hrs.), Die Grenzen der Medizin. Technischer Fortschritt, Menschenwürde und Verantwortung, München 1993.
W. Krämer, Die Krankheit des Gesundheitswesens. Die Fortschrittsfalle der modernen Medizin, Frankfurt a.M. 1989, 10.
K.-H. Weis, Ethik und Grenzen der Intensivmedizin, in: Anästhesiologie und Intensivmedizin 1/1992, 1–3(2).
Vgl. den Beitrag von H. Bujard zu dem Heidelberger Symposion über die Ausbreitung der Malaria in Ländern der Dritten Welt.
Zur kritischen Überprüfung des modernen Krankenhauses unter dem Gesichtspunkt der lebensgeschichtlichen Situation des Patienten siehe insbesondere G. Scharffenorth/A.M.K. Müller (Hrs.), Patienten-Orientierung als Aufgabe. Kritische Analyse der Krankenhaussituation und notwendige Neuorientierungen, Heidelberg 1990.
Unter anderen Gesichtspunkten habe ich diesen Streit erläutert in meinem Buch: Die tägliche Gewalt. Gegen den Ausverkauf der Menschenwürde, Freiburg i.Br. 1993, z. B. 44 ff.
In der deutschen Diskussion verficht diese Auffassung, Anregungen Peter Singers aufnehmend, am extremsten N. Hoerster, Abtreibung im säkularen Staat. Argumente gegen den § 218, Frankfurt a.M. 1991.
I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten BA 66 f. (Werke, hrs. v. W Weischedel, IV, 61).
Vgl. den Tagungsbericht: Die Begriffe „Menschenwürde“und „Sanctity of Life“und ihre Tragweite für ethische Konfliktlagen in der modernen Medizin, in: Ethik Med 1993, 5, 53–58.
Vgl. D. Birnbacher, Der „Fall Erlangen“aus der Sicht eines Ethikers, in: A. Bubner, Die Grenzen der Medizin, a.a.O., 78–83.
Vgl. dazu jetzt als Überblick E. Amelung (Hrs.), Ethisches Denken in der Medizin, Berlin/Heidelberg 1992.
Vgl. C. Byk, The European Convention on Bioethics, in: Journal of Medical Ethics 19, 1993, 1–16.
H. Schipperges, Wandlungen im Ethos des Arztes, in: P. Koslowski u.a. (Hrs.), Die Verführung durch das Machbare. Ethische Konflikte in der modernen Medizin und Biologie, Stuttgart 1983, 101–119(112).
J.W. v. Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, 2. Buch, 1. Kap. (Hamburger Ausg. VIII, 1541).
So z.B. Schipperges a.a.O.
Vgl. beispielsweise die Aufnahme Goethescher Gedanken bei K.M. Meyer-Abich, Wege zum Frieden mit der Natur. Praktische Naturphilosophie für die Umweltpolitik, München 1984, oder die Anknüpfung an Schweitzer bei G. Altner, Naturvergessenheit. Grundlagen einer umfassenden Bioethik, Darmstadt 1991.
Vgl. zur näheren Begründung W Huber, Selbstbegrenzung aus Freiheit. Über das ethische Grundproblem des technischen Zeitalters, in: Evangelische Theologie 52, 1992, 128–146.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“(Art. 1,1 des Bonner Grundgesetzes).
Vgl. dazu die zusammenfassende Darstellung in: H. Kim Lyerly, Chirurgische Intensivmedizin, Berlin/Heidelberg 1993, 553 ff.
Vgl. Bundesärztekammer, Kriterien des Hirntodes, in: Dt. Ärzteblatt 79, 1982, 45–55; 83, 1986, B 2940–2946; Bundesärztekammer, Weißbuch Anfang und Ende des menschlichen Lebens — Medizinischer Fortschritt und ärztliche Ethik, Köln 1988, 123 ff.
Weil die Kirchen diese Verknüpfung übernahmen, hat inzwischen (in der deutschsprachigen evangelischen Theologie erstmalig) eine breitere kritische Diskussion begonnen. Vgl. K.-P. Jörns, Organtransplantation: eine Anfrage an unser Verständnis von Sterben, Tod und Auferstehung, in: Berliner Theologische Zeitschrift 9, 1992, 15–39;
ders., Eingriff ins Sterbegeschehen. Ein Diskussionsbeitrag aus theologischer Sicht, in: Dt. Ärzteblatt 89, 1992, A 2444–2447;
ders., Leib und Tod. Organspende — eine Christenpflicht?, in: Ev. Kommentare 25, 1992, 593–597;
H. Grewel, Zwischen Mitleid, Mord und Menschlichkeit. Eine ethische Standortbestimmung um Lebensrecht und Lebensschutz an den Grenzen des Lebens, in: Diakonie 1993, 3, 133–139;
U. Eibach, Medizin und Menschenwürde, Wuppertal 1993, 476 ff.;
ders., Organtransplantation. Stellungnahme zur Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD, in: Diakonie 1993, 3, 194–197;
R. Anselm/Chr. Kupatt, An den Grenzen des Lebens. Organtransplantation — humanmedizinischer Fortschritt, in: Lutherische Monatshefte 1993, 2, 16–21.
Aus dem katholischen Bereich vgl. u.a. R. Low, Bioethik und Organtransplantation, in: ders. (Hrs.), Bioethik. Philsophisch-Theologische Beiträge zu einem brisanten Thema, Köln 1990, 125–152;
J. Reiter, Organspende und Organtransplantation. Psychologische und theologisch-ethische Aspekte, in: Stimmen der Zeit 210, 1992, 219–233
Schon in den Kriterien der Bundesärztekammer heißt es apodiktisch: „Der Hirntod ist der Tod des Menschen“(Weißbuch, a.a.O. 125). Zu welchen Folgerungen eine solche, auf einen Punkt fixierte Definition des menschlichen Todes führen kann, zeigen die völlig überzogenen Äußerungen von W. Stroh, Organtransplantationen — eine Chance neuen Lebens, in: Diakonie 1993, 3, 188–193 (189): „Demgegenüber muß festgehalten werden, daß der Hirntod der Tod des Menschen ist und nicht nur der Tod eines Organs und damit eines Teils des Menschen. Wer sich dieser Feststellung, aus welchen Gründen auch immer, entziehen zu können glaubt, darf dann jede Sektion erst im Verwesungsfall zulassen, ebenso die Bestattung, oder er muß zumindest warten, bis sich das Gehirn des Menschen verflüssigt hat.“Das ist kein sehr tauglicher Versuch, durch geschmacklose Übertreibungen eine notwendige Diskussion zu blockieren.
Vgl. beispielsweise E. Renner, Kostenaspekte bei Organtransplantationen, in: Zentralblatt für Chirurgie 118, 1993, 13–16.
Vgl. den Beitrag von R. Pichlmayr zum Heidelberger Symposion.
Vgl. hierzu wie zu anderen Rechtsfragen der Organtransplantation die übersichtliche Darstellung von G. Wolfslast, Organtransplantation: Recht und Ethik, in: Zentralblatt für Chirurgie 117, 1992, 623–626.
Siehe Anm. 32.
H.-M. Sass, Hirntod und Hirnleben (Medizinethische Materialien des Zentrums für Medizinische Ethik Bochum, H. 17), Bochum 1989, 16 f. Auch in: H.M. Sass (Hrs.), Medizin und Ethik, Stuttgart 1989, 160–183. Vgl. von demselben: Wann beginnt das Leben? Siebzig Tage nach der Empfängnis: Die Entwicklung des Gehirns macht den Menschen aus, in: Die Zeit 1990, Nr. 49, 95.
Zur Kritik an solchen „Punktmodellen“zutreffend U. Körner, Wann beginnt das menschliche Leben, und woraus folgt vorgeburtlich Scine Schutzwürdigkeit?, in: EthikMed 1992, 4, 120–134.
Vgl. M. Honecker, Qualität des Lebens, in: Lexikon Medizin — Ethik — Recht, a.a.O., 873–880; H. Raspe, „Lebensqualität“in der Medizin, in: Ethik Med 1990, 2, 1–4;
P. Schölmerich/G. Thews (Hrs.) ,,Lebensqualität‘als Bewertungskriterium in der Medizin. Symposium der Akademie der Wissenschaften und der Literatur (Mainz), Stuttgart u. a. 1990 [Symposion Mainz 1989].
Vgl. H. Ringeling, Christliche Ethik im Dialog. Beiträge zur Fundamental- und Lebensethik II, Freiburg i.Ue./Freiburg i.Br. 1991, 233.
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Huber, W. (1994). Grenzen des medizinischen Fortschritts aus ethischer Sicht. In: Herfarth, C., Buhr, H.J. (eds) Möglichkeiten und Grenzen der Medizin. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-78798-0_16
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