Zusammenfassung
Die paradigmatischen Affekttötungen, in deren Rahmen ein bis dahin klinisch unauffälliger Täter zermürbt durch lange vorausgehende Demütigungen und Kränkungen auf eine brüske Abweisung, ein höhnisch-schnippisches Reizwort oder eine demütigende Beleidigung im „Affektsturm“ mit eruptiv durchbrechender Aggression durch Würgen, Schlagen, Treten oder ein rein zufällig bereithegendes Werkzeug sein Opfer tötet, sind relativ selten. Diesen „Lehrbuchfällen“ steht eine große Zahl von Tätern gegenüber, die unter mehr oder minder starker affektiver Erregung Tötungshandlungen vollziehen, wenn sie z. B. von einer schuldhaft herbeigeführten oder unverschuldeten Situation gewissermaßen „überrollt“ werden und mit Schreck, Angst oder Panik reagieren, einen vorbestehenden „Affektstau“ an einem Ersatzopfer abreagieren, in einem mehr vordergründigen Konflikt die Fassung verlieren oder etwa in einem ausufernden Streit unbeherrscht Vergeltungsimpulse ausagieren. Weniger die sehr seltenen typischen Fälle als die ungleich größere Zahl der sich hierum rankenden Taten unter starker affektiver Erregung sind es, die sowohl für den Sachverständigen bei der Beurteilung der Frage nach dem Vorliegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung als auch beim Richter im Rahmen der rechthchen Würdigung Unbehagen aufkommen lassen. Dieses Unbehagen schimmert eigentlich mehr oder minder deutlich durch die gesamte psychiatrische und juristische Literatur und die meisten Urteilstexte, und es ist sehr deutlich von Glatzel (1985) und Saiger (1989) artikuliert worden. Dieses Unbehagen hat seine ganz natürliche Ursache in dem Umstand, daß die psychische Tatzeitverfassung nur selten an objektiven Feststellungen rekonstruierbar ist, weite Bereiche des Tavorfelds un der Tatsituation nur über die Erlebensseite des Täters zugänglich werden und Tatzeugen, weil das Opfer ja getötet wurde, üblicherweise nicht vorhanden sind.
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Venzlaff, U. (1993). Über zweiphasig ablaufende Affekttaten. In: Saß, H. (eds) Affektdelikte. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-78514-6_9
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