Zusammenfassung
Als Alfred Weber im Sommer 1907 an die Universität Heidelberg berufen wurde, zählte er bereits zu den bekanntesten Vertretern seines Faches. Er hatte sich im Jahre 1900 bei Gustav von Schmoller, dem Haupt der „Jüngeren Historischen Schule“ der Nationalökonomie in Berlin habilitiert, war 1904 zum Professor an der Deutschen Universität Prag ernannt worden und mit sozial- und wirtschaftspolitischen Arbeiten über die Heimarbeiterfrage, die Kartellpolitik und den Imperialismus hervorgetreten.1 In der Neckarstadt traf Weber auf eine besondere Atmosphäre, die von den Zeitgenossen als „Geist von Heidelberg“ gerühmt, aber infolge der nebulösen Ausdrucksweise des deutschen Idealismus nie genau definiert worden ist. Es soll hier versucht werden, die markantesten Züge dieses „Geistes von Heidelberg“ an Hand eines seiner exemplarischen Vertreter zu bestimmen. Diese Frage wird uns über eine reine Aufzählung von intellektuellen Artefakten hinaus zu den Wertvorstellungen und Verhaltensnormen Alfred Webers und seiner Kollegen und damit zur Mentalitätsgeschichte der Heidelberger Bildungselite führen. Allerdings muß man sich dabei vor der Annahme hüten, daß es bei den Heidelberger Gelehrten einen intellektuellen Konsensus und eine einheitliche Mentalität gegeben habe. Das Wilhelminische Zeitalter war gerade in geistiger Hinsicht viel sätrker eine Epoche des Umbruchs, als ein zu stark auf politische Zäsuren fixiertes Geschichtsbild es wahrhaben möchte. Fast alle Erscheinungen der heutigen Moderne — von der Architektur des Bauhauses über die emanzipatorische Pädagogik bis hin zur erotischen Befreiung der Frau, um nur einige bewußt disparat gewählte Beispiele zu nennen — haben in dieser Zeit begonnen und sind von kleinen Randgruppen propagiert worden, in heftiger Auflehnung gegen die traditionellen Ideale und Normen.
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Demm, E. (1993). Alfred Weber und der Geist von Heidelberg. Ein Beitrag zur Mentalitätsgeschichte der Heidelberger Bildungselite. In: Heidelberger Jahrbücher. Heidelberger Jahrbücher, vol 37. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-78440-8_10
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