Zusammenfassung
Einige Typen alter und neuer Rauschdrogen werden im Hinblick auf ihre Interferenz mit Mechanismen der Erregungsübertragung im Zentralnervensystem erörtert. Dabei ergeben sich je nach den chemisch-physikalischen Besonderheiten der Mittel teils unspezifische, teils spezifische Interaktionen mit den neuronalen Membranen. Insbesondere werden die Beziehungen zu den verschiedenen Neurotransmitter-Signalen dargestellt. Die Wechselwirkung mit diesen Einrichtungen in bestimmten Hirnarealen und die dadurch ausgelösten Störungen an Knotenpunkten eines höchst komplizierten und empfindlichen vernetzten Systems sind offenbar Voraussetzungen für das spektakuläre Phänomen des durch Drogen ausgelösten Rauschzustandes.
Rausch, ein besonderer Zustand des Bewu,ßtseins, der Wahrnehmung, des Empfindens läßt sich auf sehr verschiedene Weise hervorrufen. Offenbar fanden unsere Vorfahren bereits vor Jahrtausenden Mittel und Wege dazu. Aus zunächst wohl zufalligen Beobachtungen lernten sie, verborgene Kräfte in der Natur zur Veränderung psychischer Befindlichkeit, aber auch zur Milderung von Schmerz und zur Abwehr von Krankheit zu erkennen. Es ist höchst erstaunlich, mit welchem Gespür und Geschick der Homo sapiens aus dar ungeheuren Vielfalt von Gewächsen in den verschiedenen geographisch und klimatisch getrennten Regionen der Erde psychoaktive Blüten, Blätter, Früchte, Wurzeln, Pilze und Säfte auszulesen und durch besondere Zubereitung sich nutzbar zu machen verstand. Mit solchen Drogen erzeugte Rauschzustände dienten zu persönlicher Enthemmung, zauberten Euphorie hervor, vermittelten bei magischen und rituellen Handlungen den Umgang mit Dämonen und die Annäherung an die Geisterwelt. Darauf deuten bildliche Darstellungen; nach Erfindung der Schrift weisen Texte auf das Wirkungsbild und die Verwendung von Drogen hin. Die Verse aus dem Buch der Sprüche Salomons (31,6 ff.) „Gebt Rauschgetränk den Trauernden und Wein denen, die bitteren Sinnes sind: sie mögen trinken und ihres Elends vergessen und ihren Schmerz nicht mehr bedenken„ geben Kunde von der Einsicht in die psychopharmakologische Wirkung von Rauschgetränkai und Wein.
Die Ethnopsychopharmakologie (Efron et al. 1967) beschäftigt sich in neuerer Zeit mit Pflanzen und Früchten, die in den verschiedenen Erdteilen wegen ihrer psychotro- pen Wirkung gebraucht und zur Berauschung bei wichtigen Anlässen eingenommen werden. Solche interdisziplinären botanisch-chemisch-pharmakologischen Studien, die aber psychologische, soziologische und magisch-mythische Aspekte berücksichtigen, dürften noch manche interessante Beiträge zur Anthropologie liefern. Sie lassen auch erkennen, wie im Zug langdauemder kulturgeschichtlicher Entwicklung die Menschen lernen können, gefahrliche Rauschdrogen innerhalb historisch einheitlicher Lebensräume dosiert als Genußmittel zu gebrauchen; statt eines Rauschzustandes be-wirken solche Drogen dann nur eine Beseitigung unangenehmer Empfindungen, eine wohltuende Befindlichkeit oder eine heitere Gelassenheit, ohne zum Dauergebrauch zu zwingen und ohne Dauerschäden für Individuum und Gesellschaft zur Folge zu haben.
Andererseits nehmen aber die Rauschgiftsucht und der Rauschgifthandel seit einigen Jahrzehnten weltweit zu. Die Weltproduktion von alkoholischen Getränken wächst, der Export in die Entwicklungsländer, die keinen traditionell geregelten maßvollen Gebrauch kennen, steigt und damit die Gefahr einer Katastrophe. Die Anbauflächen für die Pflanzen mit Ausgangsstoffen für Rauschdrogen werden wegen des finanziellen Gewinns vergrößert Medikamente, die wegen ihres Suchtpotentials nur unter beschränkenden Verschreibungs- und Abgabebestimmungen den Patienten erreichen sollen oder überhaupt verboten sind, aber auch andere rezeptpflichtige, sogar rezeptfreie Mittel, Lösungsmittel, exotische Drogen, Extrakte aus vielerlei Ingredienzen werden als Rauschmittel verwendet. Dazu kommen seit einigen Jahren neue synthetische Stoffe, die zielgerichtet im Untergrund hergestellt werden. Während gewisse lang bekannte Rauschmittel sich von „Hobbychemikem“ relativ leicht aus frei verkäuflichen oder irgendwie zugänglichen Ausgangsmaterialien herstellen lassen, sind jetzt hochwirksame neuartige Rauschdrogen mit komplizierter chemischer Zusammensetzung auf dem Markt. Es handelt sich meistens um Modifikationen eines schon bekannten rauschauslösenden Stammoleküls, die in schwierigen Syntheseschritten nur in gut ausgestatteten Laboratorien von ausgezeichneten Chemikern durchgeführt werden können. Solche “designer drugs” sind nicht nur wirksame Substitute für die bekannten “harten” Drogen, sondern machen als Analogdrogen die Suchtgiftszene unabhängig von Naturstoffen; sie sind überdies oft wegen ihrer hohen Toxizität noch weit gefährlicher, gesundheits- und lebensbedrohlicher als die Ausgangssubstanzen.
Psychische, emotionale Erlebnisse, wie sie sich im Rausch nach Beobachtungen und Schilderungen einfacher Menschen sowie nach Beschreibungen einfallsreicher Autoren und erfahrener Schriftsteller subjektiv ereignen und abspielen, entziehen sich einer unmittelbaren Analyse durch naturwissenschaftliche Methoden. Sie haben aber als biologisches Geschehen eine materielle Basis in der Interaktion der Rauschmittel mit Strukturen des Gehirns. Die so evozierten physikalisch-chemischen Prozesse in bestimmten Hirnregionen lassen sich mit biochemischen Methoden und begleitenden Beobachtungen des Verhaltens und anderer Wirkungen im Tierexperiment untersuchen. Da Einblicke in die inter- und intrazelluläre neuronale Kommunikation sich für das Verständnis der Physiologie und Pathologie von Hirnfunktionen in den letzten Jahrzehnten als besonders wichtig und nützlich erwiesen haben, sollen im folgenden einige Typen von Rauschmitteln hinsichtlich ihrer Interferenz mit Mechanismen der Erregungsübertragung im Gehirn erörtert werden.
Herrn Professor Dr.R.Henn, Vorstand des Innsbrucker Institutes für Gerichtliche Medizin, gewidmet
Herrn Univ. Doz.Dr.G.Sperk, Leiter der Abteilung für Neuropharmakologie am Innsbrucker Institut für Pharmakologie, danke ich für wertvolle Hinweise.
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Konzett, H. (1991). Rauschdrogen — pharmakologische Aspekte. In: Frank, C., Harrer, G. (eds) Drogendelinquenz Jugendstrafrechtsreform. Forensia-Jahrbuch, vol 2. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-76327-4_2
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