Zusammenfassung
Komplexe sind eigentlich schon immer in allen Kulturen bekannt gewesen und beschrieben worden, obwohl sie nicht als solche bezeichnet worden sind. Die Naturvölker, die offensichtlich leichter psychischen Dissoziationen unterliegen, kannten immer schon die Besessenheit durch Geister, Dämonen oder sogar Götter. Diese setzen sich als eine 2. Persönlichkeit an die Stelle ihres Ich-Komplexes und lösen Wirkungen und Handlungen aus, die der normalen Persönlichkeit des Betreffenden eigentlich fremd sind. Wie Eliade (1957) beschrieben hat, besteht ein großer Teil des Schamanismus darin, aus dem Körper bzw. der Seele eines derartig Erkrankten den fremden Seelenteil zu entfernen. In unserer heutigen Sprache würden wir sagen, den Ich-Komplex aus der Identifikation mit oder aus der Inflation durch den Komplex zu lösen und diesen wieder ins Unbewußte abzudrängen. Bei einem sog. Seelenverlust, d. h. einer weitgehenden Unbewußtheit des Ich tritt der Schamane eine Reise entweder in die Ober- oder in die Unterwelt an, um dort die verlorene Seele wiederzufinden. Bis zu welchem Ausmaß das Eindringen solcher Fremdseelen in die eigene Psyche glaubensmäßig bei den Naturvölkern gehen kann, schildert Lévy-Brühl (1959) an einem Traumbeispiel:
Ein Eingeborener, der mehrere Tagesmärsche entfernt wohnte, tauchte in einer Missionsstation auf und verlangte eine Frucht zurück, die ihm angeblich hier gestohlen worden sei. Erst nach eingehendem Beiragen stellte sich heraus, daß er dieses geträumt hatte und fest von dem Eindringen einer fremden Person in seine eigene Persönlichkeit im Schlaf überzeugt war. Diese war auch in der äußeren Realität zu handeln in der Lage und hatte, obwohl auf seinem Feld nichts fehlte, ihn doch offenbar bestohlen.
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Dieckmann, H. (1991). Einleitung. In: Komplexe. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-75696-2_1
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