Zusammenfassung
Die Entwicklung der Psychiatrie und des Rechts verläuft nicht ruckartig in mit Jahreszahlen abgrenzbaren Etappen. In unserer Übersicht haben wir das Jahr 1975 wegen der Strafrechtsreform formal als Trennung des 3. und 4. Kapitels eingesetzt und danach die „Gegenwart“ beginnen lassen. Tatsächlich sind die im vorangehenden Kapitel geschilderten Verhältnisse in der forensischen Psychiatrie teilweise auch in der unmittelbaren Gegenwart noch unverändert gegeben, wie dort auch gelegentlich vermerkt wurde. Teilweise reichen die nachfolgend in diesem 4. Kapitel geschilderten Verhältnisse bis weit vor das Jahr 1975 zurück, die angesprochenen Probleme besitzen aber besondere Aktualität. Beispielsweise haben die vorstehend geschilderten Bemühungen um die „Sozialtherapie“ schon Anfang der 60er Jahre begonnen, Anfang 1975 wurde daraus ein Reformgesetz, Ende 1984 ist der Plan dieses Gesetzes de facto wieder aufgegeben worden. Die Bemühungen um die „Sozialtherapie“ sind damit nicht „gestorben“, aber sie sind erheblich relativiert und modifiziert worden. Dies wurde im vorangehenden Kapitel bereits vermerkt.
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Notes
Roxin C (1979) Zur jüngsten Diskussion über Schuld, Prävention und Verantwortlichkeit. In: Festschrift für Paul Bockelmann. Beck, München.
Jakobs G (1982) Zum Verhältnis von psychischem Faktum und Norm bei der Schuld. In: Kriminologische Gegenwartsfragen, Bd. 15. Enke, Stuttgart.
Witter H (1987) Die Grundlagen der Beurteilung der Schuldfähigkeit im Strafrecht. In: Witter H (Hrsg) Der psychiatrische Sachverständige im Strafrecht. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo.
Sveri K (1983) Fri fran paföljd („Ohne Folgen“). In: Festkrift till Hans Thornstedt. Nordstedt, Stockholm.
Als der profilierteste Vertreter des „Agnostizismus“ in der forensischen Psychiatrie besteht S. Haddenbrock darauf, daß vom Sachverständigen nichts über das „Andershandelnkönnen“ im Sinne von „Willensfreiheit“ gesagt werden könne. Er hat sich (in einer persönlichen Mitteilung an mich) auch gegen die von mir vertretene Beschränkung der „Falsifikation“ ausgesprochen, weil auch die Negation von Willensfreiheit kein Gegenstand seinswissenschaftlicher Untersuchung sein könne. Dem stimme ich (selbst „Agnostiker“) zu, wenn der Freiheitsbegriff metaphysisch verstanden wird, bezogen auf einen als selbständige Instanz vorgestellten Willen. Die „Falsifikation“, obgleich psychologischer Art, bleibt aber in der physischen Ebene. Es geht um den Ausschluß psychologischer „Fähigkeiten“, die unerläßliche Voraussetzung jeder wie auch immer verstandenen „Freiheit“ des Handelns sind. Gegenstand seinswissenschaftlicher Untersuchung kann immer nur Handeln als „Willensbenehmen“ sein. Ein hinter dem Willensbenehmen stehender nur gedachter, freier oder unfreier Wille ist eine als solche nicht untersuchbare Abstraktion. Die im Willensbenehmen zu Tage tretende Zielsetzung, mag sie gut oder böse sein, hängt von der psychologischen Fähigkeit ab, die Realität unserer gemeinsamen Welt zu erfassen. Wir verlangen im Strafrecht wie in unserer gesamten Sozialforschung, daß ein böses Willensbenehmen unterlassen wird, und unterstellen, daß es ein Andershandelnkönnen gibt. Die Unterstellung der „Freiheit“ zum Andershandelnkönnen verliert aber ihre Grundlage, wenn die als Voraussetzung dazu unerläßliche psychologische Fähigkeit des Realitätsbezugs fehlt.
Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM III (1984) (Deutsche Bearbeitung und Einführung von K.Köhler und H.Saß). Beltz, Weinheim Basel. In diesem Buch findet man auch die ICD-9. Definitionen der ICD-9: Psychosen: Psychiatrische Erkrankungen, in denen die Beeinträchtigung der psychischen Funktionen ein so großes Ausmaß erreicht hat, daß dadurch die Einsicht und die Fähigkeit, einigen der üblichen Lebensanforderungen zu entsprechen, oder der Realitätsbezug erheblich gestört sind. Neurosen: Die Unterscheidung zwischen Neurose und Psychose ist schwierig zu definieren und bleibt umstritten, wird jedoch beibehalten, da sie allgemein gebräuchlich ist. Neurosen sind psychische Störungen ohne jede nachweisbare organische Grundlage, in denen der Patient beträchtliche Einsicht und ungestörte Realitätswahrnehmung haben kann und im allgemeinen seine krankhaften subjektiven Erfahrungen und Phantasien nicht mit der äußeren Realität verwechselt. Das Verhalten kann stark beeinträchtigt sein — obwohl es im allgemeinen innerhalb sozial akzeptierter Grenzen bleibt — aber die Persönlichkeit bleibt erhalten. Die wesentlichen Symptome umfassen: ausgeprägte Angst, hysterische Symptome, Phobien, Zwangssymptome und Depression. Persönlichkeitsstörungen: Personen mit tief eingewurzeltem Fehlverhalten, das im allgemeinen zur Zeit der Adoleszenz oder früher erkennbar wird, die meiste Zeit während des Erwachsenenalters besteht, obwohl es häufig im mittleren und höheren Lebensalter weniger deutlich wird. Die Persönlichkeit ist abnorm entweder hinsichtlich der Ausgeglichenheit ihrer Komponenten, deren Qualität und Ausdrucksform oder hinsichtlich des Gesamtbildes. Unter dieser Abnormität oder Psychopathie leidet der Patient, oder andere haben darunter zu leiden, und es ergeben sich nachteilige Folgen für das Individuum oder die Gesellschaft.
Wegener H (1983) Einleitung. Vorüberlegungen zum Tagungsthema; Schöch H (1983) Die Beurteilung von Schweregraden schuldmindernder oder schuldausschließender Persönlichkeitsstörungen aus juristischer Sicht. Mschr Krim: 66: 326–327.
Rösier M, Hengesch G (im Druck) Dokumentation in der Forensischen Psychiatrie. (Referat bei der frankophonen Gruppe der Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie am 26. September 1987 in Rouffach/Alsace).
Graßl P, Mende M (1988) Bericht über die 2. Tagung „Dokumentation in der forensischen Psychiatrie“ (am 11.12.1987 in München). Mschr Krim 71: 3,196. Dem Autor liegt die „2. Fassung Mai 1986 des FPDS-Langform“ (Nedopil) vor, die er von der forensisch-psychiatrischen Abteilung der Psychiatrischen Klinik der Universität München erhalten hat. Die Publikation einer Kurzform des FPDS ist ihm nicht bekannt geworden.
Saß H (1985) Der Beitrag der Psychopathologie zur forensischen Psychiatrie — Vom somatologischen Krankheitskonzept zur psychopathologischen Beurteilungsnorm. In: Janzarik W Psychopathologie und Praxis. Enke, Stuttgart. Saß H (1987) Psychopathie — Soziopathie — Dissozialität. Springer, Berlin Heidelberg New York. Siehe auch Anm. 11.
Rösier M (1988) Entwicklungsmöglichkeiten des phänomenologischen Ansatzes in der psychiatrischen Dokumentation. Forensia 9: 175–182.
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Witter, H. (1990). Perspektiven der Psychiatrie in der Gegenwart. In: Unterschiedliche Perspektiven in der allgemeinen und in der forensischen Psychiatrie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-75162-2_5
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