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Transkulturelle Psychiatrie und das dritte Jasperssche Wahnkriterium

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Was ist Wahn?
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Zusammenfassung

Es ist sicherlich nicht übertrieben, wenn man den Wahn als das Problem der transkulturellen Psychiatrie schlechthin bezeichnet. Zwar bringen andere psychopathologische Symptome im Kulturvergleich ebenfalls Schwierigkeiten mit sich; diese sind jedoch eher zu umgehen oder zu überwinden als beim Wahn: Wo das “Sehen” von Geistern oder das “Tagträumen” zum Alltag gehört, wird das Symptom “Halluzination” problematisch (vgl. Smythies 1956; Al-issa 1977; Bram und Simos 1981), und wo die Sprache das Wort “Ich” nicht enthält, sind “Ichstörungen” möglicherweise schwieriger zu erfassen (vgl. hierzu Wulff 1966, 1978).1

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Notes

  1. Keineswegs bedeutet allerdings das Fehlen des Wortes “ich” auch bereits das Fehlen von Ichstörungen, wie manchmal übereilt geschlossen wird. So ist es beispielsweise eine unzulässige Verkürzung, wenn dasjenige, was die klinische Psychopathologie bei Ichstörungen als gestört ansieht, mit “bürgerlichen Individualitätsvorstellungen” (Wulff 1978, S. 166) gleichgesetzt wird. Diese (und deren vermeintliche Störungen) wird man anderswo (z.B. in Vietnam) zwar kaum finden, mit Sicherheit wird man aber — sofern man nämlich überhaupt auf Menschen trifft-Subjekte finden, die mit Objekten handelnd umgehen und deren Realität sich im Umgang miteinander jeweils herstellt. Das Sich-Gegenüberstellen von Objekten (als jeweils von der Gegenüberstellung unabhängig) und das Konstituieren einer intersubjektiven Realität (beides braucht nicht bewußt im Sinne von “gewußt” sein, es muß vielmehr gelebt sein) kann mithin in anderen Kulturen ebenso gestört sein wie in der unsrigen. Der Begriff “Störung des Ich-Bewußtseins” ist daher zur Bezeichnung der Ich-Störung irreführend, denn es geht hier nicht um eine Störung des Bewußtseins, das jemand von sich (explizit) hat, sondern um eine Störung des Bewußtseins, das ein jeder ist (vgl. Spitzer 1985, 1988d).

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  2. Wie unten gezeigt wird, kann das dritte Jasperssche Wahnkriterium — die “Unmöglichkeit des Inhalts” — sowohl im Sinne von “Richtigkeit” als auch im Sinne von “Norm” oder “Realität” näher interpretiert werden. Um dem nicht vorzugreifen und um einen allgemeinen Ausdruck für falsche oder unnormale oder irreale Urteile gemeinsam zu verwenden, sprechen wir von “inadäquaten” bzw. “adäquaten” Urteilen.

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  3. Daß sich Wahn in Urteilen manifestiert, hat Jaspers ebenfalls klar zum Ausdruck gebracht: “Der Wahn teilt sich in Urteilen mit. Nur wo gedacht und geurteilt wird, kann Wahn entstehen” (Jaspers 1973, S. 80, Hervorhebung von mir, M.S.).

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  4. Die Ergebnisse der transkulturellen Psychiatrie hinsichtlich der “Wahnformen” werden aus systematischen Gründen im Abschnitt 7.1 eigens dargestellt und diskutiert.

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  5. “Most hospital diagnoses include labels of paranoid or undifferentiated, rather than the previous labels of catatonic, hebephrenic, or simple. Katz, Cole, and Lowery (1964) reported that 76% of all schizophrenics admitted to state hospitals in New York were diagnosed either as paranoid, undifferentiated or unascertained. A Maryland state hospital reported 71% of schizophrenic patients were paranoid or undifferentiated. Outpatient climcs in the United States in the early 1960s diagnosed 74% of their patients as paranoid or undifferentiated (Weiner, 1966)” (Magaro 1980, S. 134).

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  6. Interessant ist, wie Lenz die zeitbedingten Veränderungen nicht nur der Patienten, sondern auch der psychiatrisch tätigen Ärzte beschreibt, die offenbar ganz ähnlich ausfielen: “Obgleich man sich vor 100 Jahren mit der Schilderung der Familien-und Lebenssituation des Kranken oder auch mit der Schilderung eventueller krimineller Handlungen und ihrer äußeren Umstände sehr ausführlich beschäftigte, … brachte man dem Wahn selbst keinerlei Interesse entgegen … Nirgends fand man in den mir zur Verfügung stehenden Krankengeschichten der ersten Jahrzehnte [d.h. etwa von 1850 bis 1880] eine Beschreibung des Wahnes selbst oder gar ein Gespräch des Arztes mit dem Patienten, das auf seinen Wahn eingegangen wäre. Man hat manchmal direkt den Eindruck, daß eine heilige Scheu bestand, auf den Wahn selbst näher einzugehen, als ob dies etwas wäre, das tabu ist. Hier war erst ein realistisches Denken betreffend den Wahn, eine Entmystifizierung notwendig, wie sie Ende des vorigen Jahrhunderts überall praktisch verwirklicht wurde” (Lenz 1964, S. 51).

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  7. Aus unserer eigenen Erfahrung können wir für die Gegenwart die Einbeziehung von Themen aus östlichen Religionen oder Jugendsekten ergänzen (vgl. auch Lang 1980).

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  8. Die Tatsache, daß der Begriff “Massenwahn” (vgl. Bitter 1965) existiert, scheint dieser Behauptung zu widersprechen. Dem ist faktisch jedoch nicht so, da ein solcher Begriffsgebrauch entweder von vornherein metaphorisch gemeint ist oder zumindest von einem sehr umfassenden Wahnbegriff ausgeht, der der Umgangssprache, nicht aber der klinischen Praxis entnommen ist.

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  9. Wie wir an anderer Stelle am Beispiel von Kurt Goldstein und Karl Jaspers gezeigt haben (Spitzer 1987a; 1988a), ist die Einführung eines physikalischen Realitätsbegriffs in die Psychopathologie nicht nur nutzlos, sondern führt auch in Widersprüche und zu klinisch unbrauchbaren Theorien.

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© 1989 Springer-Verlag Berlin Heidelberg

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Spitzer, M. (1989). Transkulturelle Psychiatrie und das dritte Jasperssche Wahnkriterium. In: Was ist Wahn?. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-74722-9_2

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