Zusammenfassung
In einer Schrift des Religionsphilosophen Romano Guardini heißt es, die Schwermut sei etwas zu Schmerzliches und reiche zu tief in die Wurzeln menschlichen Daseins hinab, als daß man sie den Psychiatern überlassen dürfe. Das Unbehagen des Theologen, das in dieser Feststellung spürbar wird, richtet sich offensichtlich gegen die Einseitigkeit und von dem Autor vermutete Ausschließlichkeit einer medizinischen Betrachtungsweise, die bestimmte Formen von abnormem Erleben und Verhalten a priori als Ausdruck dieses oder jenes Krankheitszustands verdinglicht. Der wissenschaftliche Erkenntniswert eines solchen Krankheitsmodells ist zwar auch für die Psychiatrie unbestreitbar. Aber so sehr diese Via regia auch zur Beobachtung von Krankheitsmerkmalen und der Auffindung ihrer körperlichen Grundlagen, ihrer Ursachen und ihrer Behandlung geeignet ist, so ist sie doch andererseits von dem Schatten des wissenschaftlichen Reduktionismus verdunkelt. Denn wenn der ärztliche Untersucher das Krankheitsspezifische seines Beobachtensgegenstandes in den Blick bekommen will, so muß er sich ja zunächst weit genug von dem Patienten entfernen, um nicht von dem allgemein Menschlichen und individuell Typischen seines persönlichen Schicksals in Bann gezogen und geblendet zu werden. Die Unbefangenheit dieses medizinischen Blicks ist längst gebrochen durch die neopositivistische Linse von Beobachtungsreliabilität und Aussagevalidität, das psychiatrische Gesichtsfeld skotomisiert durch die Notwendigkeit der Beachtung bestimmter Symptome und Symptomverbände, das ärztliche Wahrnehmungsvermögen eingeengt durch die vorgegebene Monotonie einer vereinheitlichten und zugleich verarmten Begriffssprache.
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Literatur
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Lauter, H., Kurz, A. (1988). Anthropologische Aspekte psychiatrischer Alterserkrankungen. In: Pfäfflin, F., Appelt, H., Krausz, M., Mohr, M. (eds) Der Mensch in der Psychiatrie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-74101-2_6
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