Zusammenfassung
Die Behandlung der Affekttatproblematik in der Kriminologie und der forensischen Psychiatrie, ihre Isolierung, Hervorhebung und Sonderbehandlung hat mich seit langem mit Skepsis erfüllt und kritische Reaktionen in mir ausgelöst. Betrachtet man die forensische Praxis, aber auch die forensisch-psychiatrische und in geringerem Maße auch die forensisch-psychologische Literatur, dann fällt auf, daß die Affekttat einer unausgesprochenen Konvention zufolge mit einer Beziehungstötung identifiziert, bzw. auf diese eingeengt wird, obwohl dies weder in dem Begriff der Affekttat noch in dem Terminus der „tiefgreifenden Bewußtseinsstörung“ enthalten ist; beide Begriffe legen vielmehr eine weitere Auslegung nahe. Ferner ist die Affekttat das Produkt einer kriminologischen Typologie; dies bedeutet nicht, daß die Affekttat auch zugleich eine sinnvolle Kategorie im System der psychiatrischen und psychologischen Wissenschaft sein muß. Dies bleibt zu überprüfen. Überblickt man die Literatur, dann fällt schließlich auf, daß häufig nicht klar auseinandergehalten wird, ob Affekttat und Beziehungstötung als synonyme Begriffe gebraucht werden, oder ob man unter einer Affekttat eine besondere Form der Beziehungstötung zu verstehen hat, die dadurch ausgezeichnet ist, daß der Rechtsbegriff der „tiefgreifenden Bewußtseinsstörung“ gegeben ist. Bei vielen Autoren klingt an, daß diese engere Begriffsfassung gemeint ist. Dies bedeutet aber, daß eine kriminologische Typologie, die diagnostische Feststellung einer bestimmten Tatkategorie per se und quasi automatisch eine Aussage über die Schuldfähigkeit impliziert, und zwar im Sinne einer Deoder Exkulpierung. Diese Implikation ist in der Tat einzigartig. Jede andere psychologische oder psychiatrische diagnostische Feststellung und die Subsumtion dieser Diagnose unter die Rechtsbegriffe des § 20 StGB leitet erst über zu der durch die Subsumtion weder beantwortete noch präjudizierte Frage nach den Auswirkungen auf die sog. Einsichts- und Steuerungsfähigkeit.
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Schorsch, E. (1988). Affekttaten und sexuelle Perversionstaten im strukturellen und psychodynamischen Vergleich. In: Pfäfflin, F., Appelt, H., Krausz, M., Mohr, M. (eds) Der Mensch in der Psychiatrie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-74101-2_35
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