Zur Analyse von Affekten gegenüber Sucht- und Suizidpatienten

Zusammenfassung

Das emotionale Klima, in dem Sucht- und Suizidpatienten oft behandelt werden, hat mich von Beginn meiner klinischen Tätigkeit an beeindruckt. So habe ich immer wieder Kollegen erlebt, die in heftigste Affekte gerieten, wenn sie z. B. in Kontakt mit Alkoholikern kamen. Diese Patienten wurden häufig regelrecht beschimpft und entwertet, und man gab erst Ruhe, wenn sie sich, gedemütigt und kleinlaut geworden, mit einer möglichst langen Entwöhnungsbehandlung einverstanden erklärten. Der zunehmende Zwang zur Aufnahme von Alkoholikern auf psychiatrischen Stationen wurde von vielen Kollegen als eine Art Plage erlebt, der man sich baldmöglichst entledigen sollte. In ihrer sozialen Akzeptanz rangierten die Süchtigen beim therapeutischen Personal auf dem untersten Rang vor den dann folgenden Neurotikern, den sog. „Entwicklungen“, und einer bestimmten Gruppe von Suizidpatienten, nämlich denen, die es anscheinend mit dem Sterbenwollen nicht besonders ernstgemeint hatten und darum mehr oder weniger offen verachtet wurden. Als Beispiel hierfür möchte ich ein Telefonat mit einem Chirurgen anführen. Er sagte zu mir: „Wir haben hier jemanden für Sie, das ist ein ganz unehrlicher Kandidat.“ Ich fragte: „Wie bitte? und er sagte: “Na, ein ganz Unehrlicher, Sie wissen schon! „Ich sagte:“ Ich weiß gar nichts. Meinen sie, daß der Patient einen Suizidversuch gemacht hat? „Antwort:“ Ja genau, der hat sich in die Ellenbeuge geschnitten, aber die Arterie nicht erwischt.“