Zusammenfassung
Das System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in der Bundesrepublik Deutschland leidet aus Ökonomischer Sicht nach Meinung vieler an einer Insuffizienz seines Steuerungs- (Lenkungs-, Allokations-)Mechanismus. Die Produktion, Verteilung und Finanzierung von Gesundheitsgütern steckt nämlich in mehrfacher Hinsicht in einer „Rationalitätenfalle“:
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Die Gesundheitsgüter werden von Politikern (Regierung, Parlament) versprochen und von Leistungsanbietern (Ärzte, Krankenhäuser, Pharmaindustrie usw.) produziert, die in ihrem legitimen Streben nach Wählerstimmen- bzw. Einkommensmaximierung darum konkurrieren, das Leistungsangebot nach Menge und Qualität möglichst weit auszudehnen.
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Die Gesundheitsgüter werden von Nachfragern (Patienten) konsumiert, die sie in der Regel zum Nulltarif beanspruchen können; insoweit unterliegen die Nachfrager keiner Budgetbegrenzung, so daß sie in ihrem legitimen Streben nach Nutzenmaximierung am liebsten bis zur absoluten Sättigungsgrenze damit versorgt werden wollen.
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Und schließlich wird die daraus resultierende Leistungsexpansion des Gesundheitssektors durch Zwangsversicherungen (Kassen) finanziert, die untereinander wegen der beschränkten Kassenwahlfreiheit ihrer Mitglieder zumindest teilweise im Wettbewerb stehen; sie wollen und können deshalb die von den Leistungsanbietern geschaffene Leistungsnachfrage nicht eindämmen — zumal sie die entstehenden Ausgaben ihren Mitgliedern (Versicherten) durch das Umlageverfahren quasi als Steuer auferlegen dürfen.
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Cassel, D., Henke, KD. (1988). Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland zwischen Utopie und Pragmatik: Kostendämpfung als Strukturreform?. In: Sass, HM. (eds) Ethik und öffentliches Gesundheitswesen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-73541-7_2
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