Zusammenfassung
Psychosomatische Erkrankungen im engeren Sinne — z.B. eine Colitis ulcerosa, ein Asthma bronchiale oder ein Ulcus duodeni — galten im psychoanalytischen Verständnis von Anfang an als Resultat eines intentionalen Verhaltens. Sie hatten im Bezugsrahmen der „psychischen Realität“ (Freud 1917, S. 338) des erkrankenden Individuums einen Sinn, der dem von der Erkrankung Betroffenen verborgen war und welcher im psychoanalytischen Verfahren hermeneutisch, d.h. im Kontext der subjektiv erlebten Lebensgeschichte, eingeholt werden konnte. Bringt man die Sachlage auf eine kurze metapsychologische Formel, dann entstand die psychosomatische Erkrankung in Gefolge eines sinnvollen Mißverständnisses. Der Erkrankende verstand seine gegenwärtigen Lebensumstände nicht mehr so, wie sie waren, sondern er mißverstand sie aus Gründen, die in seiner Vergangenheit lagen. Dabei handelte es sich um frühkindliche Konflikte, die eine gestörte Zwischenmenschlichkeit hervorgebracht hatte und die in der damaligen Lebenspraxis nicht mehr lösbar gewesen waren. Deshalb blieben sie unbewußt und wurden so von der weiteren Entwicklung abgekoppelt und nicht in ihr aufgehoben. Darin gründete auch die Virulenz der unbewußten Konflikte, an die nun eine aktuelle Situation appellierte. Sie aktualisierte unter Angstentwicklung das frühere traumatisierende Erleben. Diese nicht aus der aktuellen Situation, sondern im wesentlichen aus der subjektiven Lebensgeschichte erwachsende Angst suchte der Erkrankende mit der Bildung eines Körpersymptoms erneut zu bewältigen. Das Körpersymptom war somit Folge einer regressiven Reaktion auf eine ebenso regressive Einschätzung objektiver Lebensumstände (Schur 1955).
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Zepf, S. (1988). Überlegungen zur psychosomatischen Struktur- und Symptombildung. In: Gattig, E., Zepf, S. (eds) Selbstverständigungen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-72973-7_8
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