Zusammenfassung
Über viele Jahrzehnte — viel zu lange — war der Begriff der Schizophrenie per se mit demjenigen der Chronizität unauflösbar verknüpft. Chronizität aber hieß Unheilbar-keit. Durch das ganze letzte Jahrhundert zieht sich die Diskussion, ob im institutionellen Rahmen die Heilbaren von den Unheilbaren, d.h. den chronisch Kranken, getrennt werden sollen. Unter diesen chronisch, d.h. unheilbar Kranken figurierten die Menschen, die wir heute schizophren nennen, an erster Stelle. Es kam so weit, daß Kraepelin und seine Nachfolger die Chronizität zu einem Grundmerkmal der Schizophrenie machten. Es kann heute nicht genug betont werden wie unheilvoll dieses Dogma der Unheilbarkeit der Schizophrenie gewirkt hat. Die Untersuchungen von M. Bleuler (1972), Huber et al. (1979) und unsere eigenen in Lausanne haben nun aber zur Genüge gezeigt, daß dieses Dogma endgültig aufgegeben werden muß. Sogar wenn man strenge Kriterien in Bezug auf Symptomatologie und Dauer des Verlaufes anlegt, kommt man zum Ergebnis, daß es Schizophrene gibt, die nach jahrelangem Kranksein einen erstaunlich positiven Wandel durchmachen können. So habe ich kürzlich über 5 Fälle berichtet, die nach über 10jähriger chronischer Entwicklung ein neues Gleichgewicht gefunden hatten und bei denen die Nachuntersuchung keinen Rest der schizophrenen Symptomatik mehr zeigte. Warum hat Kraepelin diese Fälle nicht gesehen? Wahrscheinlich deshalb, weil zu seiner Zeit das Dogma stärker war als die Realität, weil Schizophrene in ihrer Chronizität fixiert blieben, da jede Behandlung von vorneherein als aussichtslos galt.
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Müller, C. (1986). Die Behandlung chronischer Schizophrener. In: Heimann, H., Gaertner, H.J. (eds) Das Verhältnis der Psychiatrie zu ihren Nachbardisziplinen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-70952-4_14
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