Zusammenfassung
Wer es als Fachvertreter der Philosophie unternimmt, Überlegungen zum Begriff der Zeit vorzutragen, wird es sich schwerlich entgehen lassen, an ein berühmtes Diktum aus den „Bekenntnissen“ Augustins anzuknüpfen. Die Frage, was die Zeit eigentlich sei, kommentiert Augustin dort mit der Bemerkung, er wisse es, wenn ihn niemand danach frage; er wisse es jedoch nicht, wenn er es dem Fragenden erklären wolle. (Quid est ergo tempus? Si nemo ex me quaerat, scio; si quaerenti explicare velim, nescio.) Dieses Diktum drückt auf eine geradezu klassische Weise eine Erfahrung aus, wie sie kaum einem erspart bleibt, der sich ernsthaft auf das Geschäft der philosophischen Reflexion einläßt. Denn entgegen einem weitverbreiteten Mißverständnis geht es in der philosophischen Reflexion nicht darum, dem menschlichen Wissen ganz neue und bisher noch nie betretene Bereiche zu erschließen. Im Gegenteil: die philosophische Reflexion befaßt sich zunächst immer mit Dingen, die auf irgendeine Weise jedermann bereits bekannt sind. Es handelt sich dabei um jenes Allzubekannte, das einem in der gewöhnlichen Einstellung zur Welt und zu den Dingen schon so vertraut und selbstverständlich zu sein scheint, daß man keine Veranlassung sieht, noch eigens nach ihm zu fragen. Die Gegenstände, mit denen sich die Philosophie beschäftigt, sind uns gewöhnlich nicht etwa zu fern, sondern viel zu nahe, als daß wir sie zum Gegenstand unseres theoretischen Interesses machen würden.
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Wieland, W. (1985). Prolegomena zum Zeitbegriff. In: Schipperges, H. (eds) Pathogenese. Veröffentlichungen aus der Forschungsstelle für Theoretische Pathologie der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-70512-0_2
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