Zusammenfassung
Im Methodenstreit der deutschen Psychologie Ende der fünfziger Jahre konnte es fast so scheinen, als habe während der nationalsozialistischen Zeit gerade in der Ganzheitspsychologie Felix Kruegers der Ungeist der deutschen Psychologie geherrscht. Hatte man nach dem Krieg insgesamt die Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Psychologie im Nationalsozialismus umgangen, so wurde nun gerade die politische Vergangenheit der Leipziger Schule zum Gegenstand von Anspielungen und Kritik. Die Gründe dafür lagen weniger in der besonderen Rolle, die Felix Krueger und seine Schule im Nationalsozialismus gespielt hatten, als vielmehr darin, daß die Ganzheitspsychologie in den fünfziger Jahren noch die bundesrepublikanische akademische Psychologie dominierte (vgl. Maikowski, Mattes & Rott, 1976). Vertreter der Generation von Psychologen, die in dieser Zeit an den psychologischen Instituten groß wurde, wollten die irrationalistische Weltanschauung und Methodik der Ganzheitspsychologie durch eine messende und mathematisierte Psychologie ersetzen, die sich an US-amerikanischen Entwicklungen orientierte (vgl. Geuter, 1980b; Russell & Roth, 1958). Wie über den Wert dieser verschiedenen Wege der Psychologie war man sich auch über Kruegers politisches Verhalten und das Schicksal der Leipziger Schule im Nationalsozialismus uneins. Stellte ein Gegner die Ganzheitspsychologie als diejenige Schule hin, die am meisten vom Nationalsozialismus profitierte (Merz, 1960), so erklärte ihr Hauptverteidiger Albert Wellek (1960) Krueger zum politischen Gegner des nationalsozialistischen Systems.1
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Geuter, U. (1985). Das Ganze und die Gemeinschaft — Wissenschaftliches und politisches Denken in der Ganzheitspsychologie Felix Kruegers. In: Graumann, C.F. (eds) Psychologie im Nationalsozialismus. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-70064-4_3
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