Zusammenfassung
Der explizite Regelungsgehalt des Gesetzes erfaßt nur einen vergleichsweise kleinen Teil der zu regelnden Fälle. Zum Schließen von Lücken sind daher die rechtspolitischen Zielvorstellungen und die dogmatisch-systematische Konzeption des Gesetzgebers von maßgeblicher Bedeutung, da sie bereits eine, wenn auch sehr abstrakte Regelung der explizit nicht geregelten Fälle enthalten. Den im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens geäußerten Absichten und der systematischen Konzeption kommt insoweit eine andere Bedeutung zu als den obiter dicta des Richters. Letztere erscheinen belanglos, weil sie nicht den konkreten Fall betreffen, den allein zu entscheiden der Richter berufen ist. Der Gesetzgeber ist aber gerade nicht auf die Regelung eines bestimmten Falles beschränkt, ihm ist vielmehr aufgetragen, alle Fälle zu lösen. Die herkömmliche Dogmatik reduziert den in Gesetz und Begründung enthaltenen Regelungsgehalt, wenn sie ausschließlich das Gesetz als Erkenntnisquelle ansieht. Das Gesetz wird dabei als Aneinanderreihung einzelner Vorschriften verstanden, die jeweils als Resultat der politischen Auseinandersetzung über die ursprüngliche Regelung durch den Entwurf angesehen werden. Die mit den jeweiligen „punktuellen“ Formulierungen verfolgte Gesamtkonzeption der parlamentarischen Mehrheit bleibt weitgehend außer Betracht. Der Hinweis auf die „systematische Auslegung“ und die Berücksichtigung der gesetzgeberischen Motivation in einigen höchstrichterlichen Entscheidungen vermag die These nicht zu entkräften, da systematische Interpretation nur innerhalb des Gesetzes betrieben wird, die Vorstellungen des Gesetzgebers über die Funktion des Gesetzes im System unserer Rechtsordnung überhaupt dagegen nicht genügend beachtet werden. Die gesetzgeberische Motivation wird nicht regelmäßig als Entscheidungshilfe herangezogen, so daß man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, daß sie häufig nur zur Stützung eines bereits vorher gefundenen Ergebnisses verwandt wird.
Rödig, J., Baden E., Kindermann H. (Hrsg.) Vorstudien zu einer Theorie der Gesetzgebung. Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung. Bonn 1975, S. 27–31
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Es empfiehlt sich, nicht länger von dem Gesetzgeber zu sprechen; vgl. dazu etwa P.Noll, Gesetzgebungslehre, Reinbek 1973, S.44 f.
Ausfuhrlich dazu Homann und Nunius unter 3.3.2. und 3.3.3.
vgl. E. Baden, Zur Sprachlichkeit der Gesetze, unten 3.2.4.4.2.
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Rödig, J. (1980). Zum Stellenwert der Gesetzgebungstheorie in der herkömmlichen Dogmatik sowie in der traditionellen Methodenlehre. In: Bund, E., Schmiedel, B., Thieler-Mevissen, G. (eds) Schriften zur juristischen Logik. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-67391-7_17
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