Zusammenfassung
Schon die Personenwelt1 des Märchens ist charakteristisch und eng begrenzt, schon sie gibt dem Märchen sein besonderes Gepräge.
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1. Die Personen des Märchens
Zu diesem und dem folgenden Kapitel vgl. A. v. Löwis of Menar, Der Held im deutschen und russischen Märchen. Jena 1912.
A. v. Lowis of Menar (a. a. O.) betont im Gegensatz zu dieser auch von Thimme, Das Märchen. Handbücher zur Volkskunde, 2. Bd. 1909, vertretenen Auffassung, daß nicht die Kinder, sondern Jünglinge und Jungfrauen weitaus am häufigsten die Hauptpersonen seien. Diese Behauptung gilt nicht speziell für die Grimmschen, sondern für die Gesamtheit deutscher Märchen überhaupt. Auch wenn wir ihre formale Richtigkeit zugeben, werden wir von psychologischem Gesichtspunkt aus unsere Behauptung daneben aufrechterhalten können. Denn bei näherem Zusehen sind alle jene heiratsfähigen Jünglinge und Jungfrauen doch nur Kinder. Sie sind als Kinder charakterisiert und müssen auf das Kind durchaus wie seinesgleichen wirken. Es ist nicht zu bezweifeln, daß das Kind diese Gestalten als Kinder auffaßt, und in unserem Zusammenhang kommt es allein darauf an. Auch Thimme hat an jener Stelle wohl ähnliches im Auge gehabt. Ein Beispiel statt vieler für die Berechtigung unserer Auffassung: man denke nur an die Prinzessin im Froschkönig (1), welche einen Tag vor ihrer Hochzeit noch auf dem Schloßhof Ball spielt und weint, als ihr goldener Ball in den Teich fällt!
Lowis of Menar (a. a. O., S. 21) erklärt die schroffe „Zweiteilung zwischen der eigenen und der erwünschten Umwelt“ aus dem von Axel Olrik (Epische Gesetze der Volksdichtung. Z. f. dtsch. Altertum u. dtsch. Literatur 51, S. 1 ff., 1909) aufgestellten Stilgesetz des Gegensatzes, das sich hier gel tend mache. Doch warum wird dieses hier wirksam? Den psychologischen Grund haben wir entschieden darin zu suchen, daß eben jene extremen Verhältnisse dem Gefühl und der Phantasie besonders anregend sind. Ein zweiter Grund ist die leichtere Verständlichkeit des zum Extrem Stilisierten, noch dazu, wo es in gegensätzlichem Verhältnis auftritt. Näheres über die Polarisation auf S. 32. Den Hauptgrund für die Freude an der Schilderung von Glanz und Pracht vermute ich jedoch in dem Umstand, daß sich dem Kinde die staunende Bewunderung, mit welcher die Erwachsenen jene Herrlichkeiten zu rühmen pflegen, mitteilt, selbst ohne daß es genaue Vorstellungen davon hat.
Vgl. die Antithese in der Sprache des Kindes. Cl. u. W. Stern, Die Kindersprache, 3. Aufl. Leipzig 1922, S. 189.
Löwis of Menar, a. a. O., S. 38 ff.
Löwis of Menar, a. a. O., S. 38 ff.-Auch O. Sterzinger stellt fest, daß die Steigerung eine Typisierung im Gefolge hat. Vgl. Das Steigerungsphänomen beim künstlerischen Schaffen. Z. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissensdiaft 12, S. 76(2).
Wie sehr in der Auffassung des Kindes das Individuelle gegenüber dem Typischen zurücktritt, geht aus den Beobachtungen von E. und G. Scupin (Bubi im vierten bis sechsten Lebensjahr. Leipzig 1910) über ihren bald fünfjährigen Sohn hervor. Er verwechselt beständig die böse Knusperhexe und die böse Stiefmutter Hänsels und Gretels, S. 117 und S. 43. Offenbar bedeuten ihm beide nur eine böse Frau, welche die armen Kinder quälte.
Die Nummern beziehen sich auf die vollständige Ausgabe der Grimmschen Märchen: Die Kinder-und Hausmärchen der Brüder Grimm in ihrer Urgestalt. Hrsg. von F. Panzer. München 1913.
Vgl. Lowis of Menar, a. a. O., S. 41: „Doch macht das Märchen keinen Anspruch darauf, daß alle seine Helden sich so hervorragend durch Tugendhaftigkeit auszeichnen“, S. 43: „Mit der Wahrheit braucht der Held es nicht allzu genau zu nehmen, wenn er sich in Situationen befindet, wo ein Geständnis des wahren Sachverhaltes ihm Schaden brachte.“
Für die Bedeutung der Märchenpersonen und ihres Handelns vgl. die Betrachtung unter anderen Gesichtspunkten von J. Bilz, S. 97 ff.
W. Grimm, Das Wesen der Märchen, S. 354 f.: „Die Tiermärchen öffnen eine andere Welt.“ Kleinere Schriften, hrsg. v. Hinrichs. Berlin 1881,1., S. 333 ff.
Die Vögel faßt Wilhelm Grimm als Geister auf. A. a. O., S. 340.
Diese Behauptung wird bestätigt durch die wiederholte Angabe auf unseren Fragebogen, daß neben dem Märchen sich Tiergeschichten großer Beliebtheit erfreuen.
In den Märchen von der Wassernixe (79) und von der Nixe im Teich (181) sind die Nixen überhaupt nicht beschrieben, jedenfalls wird ein Fischschwanz mit keiner Silbe erwähnt.
Das Fehlen der kombinierten Gestalten aus affektiven Gründen zu erklären, wie man vielleicht geneigt wäre, also etwa, weil sie dem Kinde furchterregend und unheimlich sein könnten, geht nicht an, weil das Märchen sonst in dieser Hinsicht nicht allzu ängstlich ist. So wird im Märchen Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen (4) mit Totenkopf en Kegel gespielt-gewifi eine unheimliche und gruselige Vorstellung.
Vgl. S. 32.
Vgl. Löwis of Menar, a. a. O., S. 39.
Vgl. „Scheintätigkeit“ bei Karl Groos, Die Spiele der Menschen, Jena 1899, und „Scheindeutung“ bei Karl Bühler, Die geistige Entwicklung des Kindes, 4. Aufl. 1924, S. 208.
K. Groos, Das Seelenleben des Kindes, 6. Aufl. Berlin 1923, S. 157 f.
Berlin 1893.
Seelenleben, a. a. O., S. 159.
Vgl. dazu A. Busemann, Über die Freude der Kinder am besonders Großen und Kleinen. Z. f. angew. Psychol. 24, 1924.
Vgl. dazu die Beobachtungen an Kindern, die angefangene Geschichten weitererzählen, bei Use Obrig, Kinder erzählen angefangene Geschichten. München und Berlin 1934, und H. Hetzer, Die entwicklungsbedingten Stilformen von kindlichen und jugendlichen Schreibern. Frankfurt a. M. 1954.
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© 1953 Johann Ambrosius Barth-Verlag, Frankfurt
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Bühler, C., Bilz, J. (1953). Die Personen des Märchens. In: Das Märchen und die Phantasie des Kindes. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-66643-8_7
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