Zusammenfassung
Bruno Jöckel1 hat in seinem Buch eine Reihe der bekanntesten Grimmschen Märchen, darunter auch das Dornröschen, einer tiefenpsychologischen Betrachtung unterzogen. Er kommt zu der Auffassung, daß die Märchen, die sich, wie er sagt, „ausschließlich im Kosmischen“ bewegen, uns etwas vom jugendlichen Menschen erzählen, der am Ende seiner Kindheit eine Zeit der Verwandlung durchläuft. Das Entwicklungsgesetz des „Stirb und Werde“ ist dargestellt. Der Reifungsweg enthalte, so heißt es bei Jöckel, ein „Reifungselend“. Not und Tod sind die Schatten, denen das Individuum anheimfallen muß, ehe ihm die Reife des erwachsenen Menschen zukommen kann. Im Märchen vom Dornröschen kann der Vater sein Kind trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nicht davor bewahren, daß es seinem Schicksal zufolge „in die unmittelbare Nähe zeugenden Lebens“ gerät. Dornröschen sticht sich in die Spindel der „Norne, Hegerin letzten Wissens“. Der hundertjährige Schlaf, den das Mädchen durch den Spindelstich erleidet, bedeutet nach Jöckel die „totenähnliche Zeit des Überganges“, die das heranwachsende Mädchen durchzumachen hat, bis es „als reifer Mensch dem vollen Leben zurückgegeben wird“. Jöckel meint, daß die reifenden Märchenhelden „niemals eine Wahl willensmäßiger Entscheidung haben“.
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Literatur
1. „Rumpelstilzchen“ als Märchenfigur und das „Gramannl“ in den Angstträumen während des Gestaltwandels vom Kleinkind zum Schulkind
Kinder-und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm. Vollständige Ausgabe. Leipzig (o. J.).
Die Polarität im Aufbau des Charakters. Bern 1950.
Das Märchen und die Phantasie des Kindes. Leipzig 1925.
Friedrich Panzer. Vollständige Ausgabe in der Urfassung. Wiesbaden (o. J.).
A. a. O.
Der erste Gestaltwandel des Kindes. Leipzig 1936.
Vgl. ähnliche Beobachtungen bei einer größeren Zahl von Kindern, über die A. Gesell und F. L. Ilg in The Child from Five to Ten, New York und London 1946, berichten.
A. a. O.
Die seelischen Veränderungen des Kindes beim ersten Gestaltwandel. Leipzig 1936.
Kind und Jugendlicher in der Entwicklung, a. a. O.
2. Kindliche Bereitschaft, sich dem Übermächtigen zu stellen
Die Grausamkeit im deutschen Märchen. Rhein. Jahrb. f. Volksk. 6. Jg.
A. a. O.
Diese Beobachtung wurde im Jahre 1917 und hinsichtlich des europäischen Kulturkreises gemacht. Im amerikanischen Kinderleben spielen Märchen im Vergleich mit anderen Geschichten eine untergeordnete Rolle. Vgl. Ch. Bühler, Nachwort S. 87 f.
3. Märchenwirklichkeit und Traumwirklichkeit
Altgermanische Jünglingsweihen und Männerbünde. Bühl/Baden 1917.
4. Abholwesen des Traumes
Die Angst des Kindes. Bern 1948.
Wandlung und Reifung in den Träumen von Kindern und Jugendlichen, veröffentlicht in Menschliche Reifung im Sinnbild. Leipzig 1943.
5. Rollentausch und Verwandlung im Kindermärchen und Kinderspiel
A. a. O.
In effigie. Jb. Psychol, und Psychother. 1 (1952) und in Anankastische Selbstregulationen, Nervenarzt 25 (1954).
Aranda Traditions. Melbourne 1947.
Der Weg zur Reife. Berlin 1939.
6. Austreibungswesen (Stiefmütter und Hexen) als Ferment der Wandlung von einer Lebensstufe zur andern
Der Weg zum Märchen. Berlin 1939.
A. a. O.
C. Kulenkampff, Entbergung, Entgrenzung. Überwältigung als Weisen des Standverlustes. Nervenarzt 26 (1953).
B. Jockel, a. a. O.
Die psychologischen Aspekte des Mutterarchetypus. Eranos Jb. 1938.
Das Urbild der Mutter. Zbl. Psychotherapie 1936.
A. a. O.
Die Symbolik der Erlösung und Wiedergeburt im Deutschen Volksmärchen. Zbl. Psychotherapie 15, 3/4.
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© 1953 Johann Ambrosius Barth-Verlag, Frankfurt
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Bühler, C., Bilz, J. (1953). Austreibungswesen (Stiefmütter und Hexen) als Ferment der Wandlung von einer Lebensstufe zur andern. In: Das Märchen und die Phantasie des Kindes. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-66643-8_18
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