Zusammenfassung
Der hypothetische und wandelbare Charakter der für die Psychiatrie maßgebenden Grundannahmen und die Fragwürdigkeit einer von systemgebundenen Vorentscheidungen abhängigen Diagnostik bleiben dem mit der Feststellung und Behandlung abnormer seelischer Verfassungen beschäftigten Arzt in der Regel verborgen. Sie werden offenkundig, sobald andere Wissenschaften ohne Kenntnis oder unter Mißachtung stillschweigend anerkannter fachlicher Konventionen psychopathologische Sachverhalte nach ihren Regeln befragen und beurteilen. Als J. Lange 1934 in der 3. Auflage des von Hoche herausgegebenen Handbuches der gerichtlichen Psychiatrie die spezielle Psychopathologie nach dem Schema der seinerzeit gültigen Diagnosentafel dargestellt hatte, äußerte E. Mezger Bedenken gegen die Tendenz, den Juristen an „offizielle Diagnosen“gewöhnen zu wollen: Der Psychiater solle im einzelnen Falle den Richter selbst sehen lassen, was von der Norm abweiche, um ihm alsdann die Bedeutung der Abweichung anhand psychiatrischer Erfahrung klarzumachen. Mit den im internen Gebrauch wichtigen, aber auch umstrittenen diagnostischen Etiketten könne der Jurist wenig anfangen. Er vermeine, mit den Diagnosen etwas Festes in die Hand zu bekommen, doch es seien Worte, die oft in ihrer Abgrenzuxig wie in ihrer Anwendung höchst problematisch seien. Die psychiatrische Diagnostik ist seit dieser kritischen Anmerkung eines Außenstehenden so wenig zur Ruhe gekommen wie in früheren Zeiten. Behauptet hat sich vorerst der Rahmen, den sie bei ihrer letzten grundsätzlichen Umgestaltung in der Systematik Kraepelins gewonnen hatte.
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© 1974 Springer-Verlag Berlin · Heidelberg · New York
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Janzarik, W. (1974). Einleitung. In: Themen und Tendenzen der deutschsprachigen Psychiatrie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-65672-9_1
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