Zusammenfassung
Der Begriff des Überlegungs-Gleichgewichtes wurde vermutlich erstmals von J. RAWLS in seiner Theorie der Gerechtigkeit als Mittel zur Formulierung eines methodologischen Prinzips vorgeschlagen. Allerdings beruft er sich dabei auf ähnliche Gedanken bei N.GOODMAN in [Forecast], S. 62-66, die dort noch keine eigene zusammenfassende Bezeichnung erhalten hatten. GOODMAN war in diesem Buch bei der Diskussion der Frage, wie man induktive Schlüsse rechtfertigen könne, auf eine analoge Situation in der deduktiven Logik zu sprechen gekommen, nämlich: Wie rechtfertigt man deduktive Schlüsse? In einem ersten Schritt könnte man geneigt sein, die Antwort zu geben: Die Gültigkeit eines deduktiven Schlusses beruht darauf, daß er mit allgemeinen Regeln des deduktiven Schließens im Einklang steht. Hier kann man sofort nachbohren und weiterfragen : Und worin besteht die Gültigkeit dieser allgemeinen Regeln? Nach GOODMANS Auffassung liegt die korrekte Antwort hierauf -ganz im Widerspruch zur Auffassung von Philosophen, die eine solche durch tiefsinnige Spekulationen über die Natur des menschlichen Geistes zu geben versuchen — viel mehr, auf der Oberfläche‘, als es zunächst den Anschein hat, und zwar : Deduktive Schlußprinzipien werden dadurch gerechtfertigt, daß sie mit einer akzeptierten deduktiven Praxis im Einklang stehen. Prima facie klingt dies zirkulär. Doch handelt es sich nach GOODMAN nicht um einen fehlerhaften, sondern um einen fruchtbaren Zirkel. Tatsächlich verwendet er den Ausdruck „Zirkel“ hier nur metaphorisch. Denn das, worum es sich handelt, ist eine wechselseitige Anpassung des einen an das andere : „Eine Regel wird verbessert, wenn sie einen Schluß liefert, den zu akzeptieren wir nicht bereit sind ; und ein Schluß wird verworfen, wenn er eine Regel verletzt, die wir nicht zu ändern gewillt sind“ (a.a.O. S. 64). Auch im Fall des induktiven Räsonierens nehmen wir wechselseitige Berichtigungen und Angleichungen zwischen Regeln und akzeptierten Schlüssen vor: „Voraussagen sind gerechtfertigt, wenn sie mit gültigen Prinzipien (‚canons‘) der Induktion im Einklang stehen; und die Prinzipien sind gültig, wenn sie die akzeptierte induktive Praxis genau kodifizieren“ (a.a.O. S. 64).
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Literatur
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Stegmüller, W. (1986). Überlegungsgleichgewicht („reflective equilibrium“). Reflexionen über das Verhältnis von Kuhns Ideen über Paradigmen und Paradigmenwechsel und dem Theorienkonzept von J. D. Sneed. In: Realismus und Strukturalismus. Anwendungen: Literaturtheorie. Tauschwirtschaft. Entscheidungstheorie. Neurosentheorie. Kapital- und Mehrwerttheorie. Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, vol 2 / H. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-61620-4_2
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