Zusammenfassung
Warum schreibe ich nicht ausschließlich über Perversion und führe diese vielleicht verwirrende Differenzierung zur Paraphilie ein, werden Sie sich fragen. Soll ein neuer Begriff darüber hinwegtäuschen, daß wir noch immer zu wenig über Dynamik und Beeinflußbarkeit des sexuellen Begehrens und seiner Varianten wissen? Wir wissen heute, daß “gestörte Sexualität” keineswegs wie eine körperliche Krankheit als etwas in seinem Gestörtheitsgrad von der Umwelt Unabhängiges definiert werden kann. So hat beispielsweise der amerikanische Soziologe Simon (1995) erst vor kurzem darauf hingewiesen, daß wir heute mit einer öffentlichen Meinung konfrontiert sind, die Vergewaltigung und Kindesmißbrauch als wesentlich “perverser” - also gestörter empfindet, als etwa gleichgeschlechtliche Liebe oder Masturbation. Das dürfte vor etwa 100 Jahren genau umgekehrt gewesen sein. Wenn wir von der Definition der Perversion bzw. Inversion Freuds ausgehen, wie er sie 1905 in den “Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie” festgeschrieben hat, dann sehen wir, daß auch Freud trotz aller Liberalität von der damals allgemein gültigen Annahme ausging, Sexualität diene dem biologischen Zweck der Fortpflanzung, und das Krankhafte beginne dort, wo der Trieb dieses biologische Ziel völlig aufgebe oder sich an ganz ungeeignete Objekte richte. In diesem Sinn war die Vergewaltigung für Freud natürlich keine Perversion.
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Literatur
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Berner, W. (1997). Die pädophilen Störungen als Perversion und Paraphilie. In: Buchheim, P., Cierpka, M., Seifert, T. (eds) Teil 1 Sexualität — zwischen Phantasie und Realität Teil 2 Qualitätssicherung. Lindauer Texte. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-60741-7_9
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