Zusammenfassung
In der Sozialgeschichte des aufgeklärten Absolutismus und in der älteren deutschen Staatslehre, wie sie Otto Hintze und Gerhard Oestreich bzw. Hans Maier und Werner Conze erforscht haben, findet man die Spuren wieder des typisch deutschen Wohlfahrtsstaates. Die Verdichtung der Staatstätigkeit über die Verwaltungsbehörden und Geldbesteuerung; die Förderung der Wirtschaftsproduktivität der Manufakturen — als Nachhall des Merkantilismus — und der Bodenbearbeitung — unter dem Einfluß der französischen Physiokraten —; die Rekrutierung und Disziplinierung der stehenden Heere; die „Peuplierung“ als Ansatz moderner Siedlungs- und Bevölkerungspolitik; schließlich die Gelehrsamkeit der Professoren in den kameralistischen, später wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten — alle diese Tendenzen schieben sich in eine neuartige „Medizinische Polizey“ hinein. Am Beispiel des badisch-pfälzischen, später Wiener und St. Petersburger Medizinreformers Johann Peter Frank wird sichtbar, wie „Glückseligkeit“ und Gesundheit, „Wohlseyn“ und Wohlstand zur Staatsaufgabe wird. Von der Eheberatung, Schwangerenbetreuung und Säuglingspflege über die Bekämpfung der Infektions- und Armutserkrankungen bis zur Gründung von Gebäranstalten und Hospitälern, ja bis in die Arbeitsmedizin und Umwelthygiene reicht der Katalog dieser „Staatsarzneykunde“. Hier im kurpfälzischen Heidelberg denke man an den Medizinreformer Franz Anton Mai. Das Thema der öffentlichen Sicherheit verwandelt sich zur sozialen Sicherheit, wobei sich der Begriff freilich erst in unserem Jahrhundert durchsetzt, wie Franz Xaver Kaufmann aufweist.
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Veröffentlichungen des Autors
Die Wirklichkeit der Industriegesellschaft als Krankheitsfaktor. In: Der Kranke in der modernen Gesellschaft. Hrsg. Alexander Mitscherlich. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1972, S. 37–50
Medizin im Sozialstaat. Medizinsoziologische und medizinpolitische Aufsätze. Ferdinand Enke, Stuttgart 1978
Im Dienst des Leviathan — Ivan Illich herrschaftssoziologisch weitergedacht. In: Maßlose Medizin? Antworten auf Iwan Illich. Hrsg. Rainer Flöhl. Springer, Berlin, Heidelberg, New York 1979, S. 7–31
Pflicht zur Gesundheit? In: Risikofaktoren-Medizin. Hrsg. K.D. Bock. Vieweg, Braunschweig, Wiesbaden 1982, S. 208–225
Gesundheit als öffentliches Gut. In: Wie krank ist unsere Medizin? Salzburger Humanismusgespräche 1982. Hrsg. Oskar Schatz. Styria, Graz, Wien, Köln 1983, S. 111–132
Die „Idee des Menschen“ in der Medizin. Überlegungen zu einer Medizinsoziologie zwischen Gesellschaftlichkeit und Leiblichkeit des Menschen. In: Geistige Grundlagen der Medizin. Hrsg. Rudolf Gross. Springer, Berlin, Heidelberg, New York 1985, S. 90–111
Die Medizin in der wissenschaftlich-technischen Zivilisation. In: Helmut Schelsky — ein Soziologe in der Bundesrepublik. Eine Gedächtnisschrift von Freunden, Kollegen und Schülern. Hrsg. Horst Baier. Ferdinand Enke, Stuttgart 1986, S. 204–213
Benötigen wir eine Ethik der Medizin? Der Freiraum des Arztes zwischen Markt, Politik und Recht. In: Medizin und Gesellschaft. Hrsg. Ludwig Bress. Springer, Berlin, Heidelberg, New York 1987, S. 131–147
Gesundheit als öffentliches Gut. In: Medizinisches Denken und Handeln. Eine sozialwissenschaftliche Visite. Hrsg. Franz Wagner. Universitätsverlag R. Trauner, Linz 1987, S. 96–117
„Vater Sozialstaat“. Max Webers Widerspruch zur Wohlfahrtspatronage. In: Max Weber. Ein Symposion. Hrsg. Chr. Gneuss und J. Kocka. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1988, S. 47–63
Gibt es eine Ethik des Sozialstaats? Über Moral und Interessen im Sozial- und Gesund-heitswesen. In: Neokorporatismus und Gesundheitswesen. Hrsg. Gérard Gäfgen. Nomos, Baden-Baden 1988, S. 231–252
Klientele im Sozialstaat. Der Zugriff der politischen Klasse auf das Gesundheitswesen. In: Ethik und öffentliches Gesundheitswesen. Hrsg. Hans-Martin Sass. Springer, Berlin, Heidelberg, New York 1988, S. 79–90
Das Arzneimittel in der sozialen Kommunikation zwischen Arzt, Apotheker und Verbraucher. In: Arzneimittel im sozialen Wandel. Hrsg. Horst Baier. Springer, Berlin, Heidelberg, New York 1988, S. 63–75
Ehrlichkeit im Sozialstaat. Gesundheit zwischen Medizin und Manipulation. TEXTE + THESEN 207. A. Fromm, Zürich, Osnabrück 1988
Solidarität und Subsidiarität. Ersatzreligionen des Sozialstaats. In: Deutsches Ärzteblatt 86 (1989), Heft 17, S. 783–786
Verwaltete Gesundheit — entmündigte Bürger. In: Experten im Dialog der Gegenwart. TEXTE + THESEN + VISIONEN 250. A. Fromm, Zürich, Osnabrück 1992, S. 312–321
Arzneimittel in der sozialen Kommunikation: Moralität, Legalität und Humanität. In: Arzneimittel und Verantwortung. Grundlagen und Methoden der Pharmaethik. Hrsg. Wolfgang Wagner. Springer, Berlin, Heidelberg, New York 1993, S. 331–342
Der Sozialraum Europas. Werte- und Strukturwandel der sozialen Sicherung im Vergleich. Österreichische Krankenhaus-Zeitung 34 (1993), S. 663–668
Die Arbeits- und Umweltmedizin im Wertewandel der postmodernen Gesellschaft. Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin. 34. Jahrestagung in Wiesbaden 1994. Güntner, Stuttgart 1994, S. 19–41. Wiederabgedruckt: E.W. Baader Gedächtnis-Vorlesungen für Arbeitsmedizin 1968–1998. Hrsg. H. Valentin u. G. Zerlett. Gentner, Stuttgart 1998, S. 177 – 192
Der Wertewandel im Gesundheitswesen in europäischer Perspektive. (Angermühler Gespräche Medizin-Ethik-Recht 4 ). Wissenschaftsverlag Rothe, Passau 1996.
Die Makro-Ebene. Forderungen an die Politik und an den Gesetzgeber. Verantwortungsebenen bei der Verteilung von Gesundheitsgütern. (Der Versicherte als Leitbild von Strukturreformen der gesetzlichen Krankenversicherung. Institut für Gesundheits- Systemforschung Kiel. Schriftenreihe Bd. 55). Kiel 1996, S. 9–20
Kundenorientierung statt Rationierung. Plädoyer für eine marktwirtschaftlich orientierte Gesundheitspolitik. Deutsches Ärzteblatt 93 (1996), Heft 42, S. 1895 – 1898
Wertewandel in Pflege und Rehabilitation — vom ärztlichen Paternalismus zur Selbstbestimmung des Patienten. Zeitschrift für Gastroenterologie (Suppl. 3) 1997, S. 65–71
Der Werte- und Strukturwandel im Gesundheitswesen — mit medizinsoziologischem Blick auf die Sozialmedizin inmitten der Erlebnisgesellschaft. In: Medizin im Wandel. Hrsg. Volker Becker und Heinrich Schipperges. Springer, Berlin, Heidelberg, New York 1997, S. 41–57
Gesundheit als Lebensqualität. Folgen für Staat, Markt und Medizin (TEXTE + THESEN 270 ). A. Fromm, Osnabrück, Zürich 1997
Gegen Staat und Körperschaftszwang. Ärzte und Patienten als Kunden des Gesundheitswesens. In: Deutsches Ärzteblatt 95 (1998), Heft 15, S. 652–654
Wertewandel im Gesundheitswesen — mit Blick auf die Rehabilitationsmedizin. In: Rehabilitationsmedizin. Ein Handbuch. Hrsg. H. Delbrück und E. Haupt. Urban & Schwarzenberg, München, Wien, Baltimore, 2. Aufl. 1998, S. 132–139
Tun wir das Richtige im Gesundheitswesen? In: Umbau oder Abbau im Gesundheitswesen? Hrsg. Klaus Merke. Quintessenz, Berlin 1998, S. 20–29 u. 51–62 (Disk.)
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Baier, H. (1999). Gesundheit als organisiertes Staatsziel oder persönliches Lebenskonzept?. In: Gesundheit — unser höchstes Gut?. Schriften der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, vol 4. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-60166-8_3
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