Zusammenfassung
Die zeitgenössischen Forderungskataloge der Umweltethiker stellen an uns bedeutsame Anforderungen; sie haben sozusagen großes mit uns vor. Man denke an die entschiedenen Projektionen von Arne Naess (1989) in seiner deep ecology oder an die Entwürfe des Berner Juristen Saladin (Saladin & Zenger, 1988) zu einem Katalog der Rechte der Natur. Der Philosoph Meyer-Abich (1990) expliziert unter dem Titel “Verantwortung für die Natur” die Verschärfung dieser Forderungen als zunehmende Entfernung von unserer Alltagspraxis, indem er einen achtstufigen Entwicklungsschritt entwirft von der “Egozentrik des autonomen Individuums” als Schritt (1) zu Nepotismus oder Sippenmoral als Schritt (2), Nationalismus (3) der Volksgenossen unter sich zur Anthropozentrik der Gegenwart (4) als Gemeinschaft der Mitmenschen nah und fern. Dem folgt die reine Anthropozentrik (5) der Menschheit als “geschlossener Gesellschaft” und schließlich der “Mammalismus” der höheren Säugetiere unter sich (6), also das Äquivalent einer pathozentrischen Umweltethik. Die eigentlich radikalen Schritte sind dann Biozentrik als Bezug auf die Gemeinschaft der Lebewesen, deren Interessen es zu respektieren gelte, und schließlich (8) Physiozentrik als der Verantwortung für die äußere Struktur des Planeten, von Landschaften bis zu den Eigenheiten des Klimas. Entsprechend werden von den Vertretern des ökologischen Holismus (Callicott, 1979) nur noch die Biosphäre als ganzes und die großen Ökosysteme, aus denen sie besteht, als in sich wertvoll angesehen. Menschen, Tiere und Pflanzen seien dies nur insofern, als sie zur Erhaltung des Ganzen beitragen. An diesen sicherlich eindrucksvollen Entwürfen stört, daß sie uns allein lassen mit unseren begrenzten Möglichkeiten, diesen hypertrophen Anforderungen auch zu genügen. Anders gesagt: Der enormen Forderung fehlt eine korrespondierende Analyse der Möglichkeiten, diese Forderungen auch umzusetzen. Wir stehen vor einer Kluft zwischen Sollen und Können.
Die Arbeit an diesem Papier wurde mit Mitteln des Schwerpunktprogramms Umwelt des Schweizerischen Nationalfonds gefördert: Projekt Nr. 5001-35276 “Interventionsmodelle zur Förderung umweltverantwortlichen Handelns” und Nr. 5001-48832 “Umweltverantwortliches Alltagshandeln in kommunalen Umfeldem: Theoretische Analyse, empirische Untersuchung und Überwindung von Veränderungshindernissen”.
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Gessner, W., Bruppacher, S. (1999). Restriktionen individuellen umweltverantwortlichen Handelns. In: Linneweber, V., Kals, E. (eds) Umweltgerechtes Handeln. Umweltnatur- & Umweltsozialwissenschaften. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-60091-3_3
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