Zusammenfassung
Mit der Verfassungsgerichtsbarkeit hat die deutsche Rechtskultur nach dem zweiten Weltkrieg eine Institution übernommen, die das Verständnis von Gerichten als ’unpolitisch‘ und fest an positives Recht gebundenen Institutionen aushölt. Mehr noch als andere oberste Gerichte institutionalisieren sie das Paradox, daß Rechtsprechung zugleich Sicherheit und Veränderbarkeit von ’Recht‘ gewährleistet.1 Dabei wird die Verfassungsrechtsprechung gerne als eine ’offene Gesellschaft‘ dargestellt2, die sich nicht wie diejenige anderer Rechtsbereiche zum Interpretationsmonopol von Juristen eigne. Besonders im politischen Streit wird das Anrufen des Bundesverfassungsgerichts zunehmend als ’Widerstandsrecht‘ benutzt, um Auffassungen von Minderheiten gegen Entscheidungen der Mehrheit zu schützen. Die Berufung auf die Verfassung wird natürlich im Gesetzgebungsprozeß antizipiert: Nicht nur von der Regierung wird — zuweilen ängstlich — nach der Verfassungskonformität von Gesetzesvorlagen gefragt, so daß die Einschätzung einiger weniger Ministerialbeamten im Verfassungsreferat des Justizministeriums zur Rahmenbedingung der Politik werden kann; auch die Fraktionen und Parteien gewöhnen sich notgedrungen daran, vor die Diskussion kontroverser Alternativen stets die Frage nach der Möglichkeit der Verfassungsmäßigkeit zu stellen3.
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Note
So der Leitgedanke bei Niklas Luhmann: Ausdifferenzierung von Recht, Frankfurt 1981, der diesem allerdings eine essentialistische Wendung gibt („In der Differenz von Recht und Unrecht findet das Recht seine Identität“).
Am deutlichsten ausgesprochen bei Peter Häberle: Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, in: Juristenzeitung 1975, 297–305.
Vgl. die ausführliche Darstellung anhand der politisch weitreichenden Verfassungsgerichtsurteile der 70er Jahre bei Christine Landfried: Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber, Baden-Baden 1984.
Das Aliensbacher Jahrbuch für Demoskopie weist für das Vertrauen in öfffentliche Institutionen langfristig die höchsten Werte für das BVerfG aus.
Niklas Luhmann: Legitimation durch Verfahren, Neuwied & Darmstadt 1969.
BVerfG: Jahresbericht 1991.
Vgl. R. Zuck: Der „3. Senat des Bundesverfassungsgerichts“. In: Die öffentliche Verwaltung 9 (1974) 305–307.
BVerfG: Jahresbericht 1991.
Brun-Otto Bryde: Verfassungsentwicklung, Habil., Hamburg 1980, S. 136.
Fritz Scharpf: Die politischen Kosten des Rechtsstaats, Tübingen 1970, S. 59 ff.
K. Zweigert & H. Dietrich, Bundesverfassungsgericht — eine Institution mit Zukunft. In: W. Däubler & K. Küsel (Hrsg.), Verfassungsgericht und Politik — Kritische Bemerkungen zu problematischen Urteilen, Reinbek 1979, S. 19.
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Blankenburg, E. (1995). Das Verfassungsgericht. In: Mobilisierung des Rechts. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-57870-0_8
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