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Zusammenfassung

Der zu Beginn dargelegte Sachstand zu Problemen des Klimawandels (Kap. 1), ihre transdisziplinäre Beurteilung (Kap.2) und die vorstehenden Erörterungen von Elementen rationaler Klimapolitik (Kap. 3.1–3.3) erlauben die Entwicklung und Formulierung allgemeiner Schlussfolgerungen und Empfehlungen zu einem angemessenen Umgang mit der Klimaproblematik. So können folgende Feststellungen getroffen werden:

  1. 1.

    Die wissenschaftlichen Untersuchungen über die möglichen Entwicklungen der Treibhausgas-Emissionen und daraus folgende Entwicklungen des Weltklimas und deren Folgen für Mensch und Umwelt geben Anlass zu großer Besorgnis. Dennoch sind angesichts des unvollständigen Wissensstandes und der verbleibenden wissenschaftlichen Unsicherheit über die Eintrittswahrscheinlichkeit und Folgen eines Klimawandels kontroverse Beurteilungen möglicher Handlungsoptionen begründbar (Kap. 2.5). Eine eindeutige und abschließende, also quasi „endgültige“ Beurteilung der Qualität jeweils zugrundeliegender Rechtfertigungsstrukturen erscheint gegenwärtig nicht möglich.

  2. 2.

    Die kontinuierliche Erforschung klima(folgen-)relevanter Fragestellungen ist auf eine Reduktion der Unvollständigkeit und Unsicherheit der Wissensgrundlagen gerichtet, kann sie aber aus prinzipiellen Gründen nicht beseitigen. Klimapolitisches Handeln bleibt Handeln unter Ungewissheit (Kap.2; insbes. Kap. 2.3–2.5). Handeln unter Ungewissheit kann und sollte sich daher an normativen Kriterien rationaler Risikobeurteilung orientieren (Kap. 1.4).

  3. 3.

    Es besteht eine Rechtfertigungspflicht für Aüsführungen und Unterlassungen von Handlungen im Klimakontext (Kap. 1.4). Diese sind immer auf den aktuellen Stand des Wissens zu beziehen. Dabei hängen Rationalität und Akzeptabilität klimapolitischer Entscheidungsprozesse auch von der Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit der zugrunde gelegten deskriptiven und normativen Basis ab.

  4. 4.

    Die notwendige Befassung mit der Klimaproblematik und damit zusammenhängende Bewertungs- und Beurteilungsaufgaben erfordern aufgrund der unterschiedlichen wissenschaftlichen Facetten der Thematik und ihrer hohen gesellschaftlichen bzw. legitimatorischen Relevanz einen transdisziplinären Zugang (Kap.2.1/2.2). Der Querschnittscharakter dieser Thematik legt die Zusammenarbeit und Reflexion relevanter natur-, sozial- und geisteswissenschaftlicher Disziplinen nahe. Konkrete Forschungsvorschläge aus disziplinärer und transdisziplinärer Sicht werden im Anhang dieses Berichts expliziert.

  5. 5.

    Die Klimaproblematik ist von weltweiter Bedeutung, vergegenwärtigt man sich mögliche Betroffene und „Verursacher“ des Klimawandels. Daher sind internationale Programme zur Erforschung des Klimas und seiner Wirkungen sowie internationale Initiativen und völkervertragsrechtliche Vereinbarungen zu einem abgestimmten Umgang mit Risiken, die mit Änderungen des Klimas einhergehen, erforderlich.

  6. 6.

    Neben der Effektivität und Effizienz in Rede stehender Eingriffe ist ihr Potential zur Erreichung einer global gerechten Verteilung von Belastungen durch Klimawirkungen oder Schutzmaßnahmen zu ihrer Abwehr oder Vermeidung zu prüfen. Dabei ist auch ein fairer Ausgleich von Anrechten gegenwärtiger und zukünftiger Generationen und ihrer unterschiedlichen Betroffenheiten auf geographischen wie zeitlichen Skalen anzustreben (Kap.3.l/3.2). Dies gilt auch für etwaige Kapital- und Know-How-Transfers, soweit sie geeignet sind, das Instrumentarium der Klimavorsorge zu ergänzen. Zumutbare regionalisierte Vorsorgepflichten ergeben sich aus der „Verursachung“, d.h. den gegenwärtigen und historischen Emissionsprofilen der nahen Vergangenheit, sowie der ökonomischen Leistungsfähigkeit der beteiligten Industrie- und Entwicklungsländer und ihrer Potentiale auf wissenschaftlich-technischem Gebiet.

  7. 7.

    Bestehende umweltvölkerrechtliche und umweltpolitische Handlungsgrundsätze (Vorsorgeprinzip, intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit, Langzeitverpflichtungen, Nachhaltigkeit etc.) sind für eine Rechtfertigung internationaler und nationaler Klimaschutzpol itik notwendig, aber fur die Festlegung einer klimapolitischen Handlungsstrategie nicht hinreichend. Die Grundsätze können zwar als Leitlinien für eine Klimaschutzpolitik herangezogen werden, sind aber vielfältig interpretierbar und konkretisierungsbedürftig (Kap.3.l/3.2). Dies gilt ebenso für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in These 9. Die offene normative Relation zwischen Vorsorgegrundsatz und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen lässt sich prinzipiell nicht bestimmen, sondern nur interpretieren.

  8. 8.

    Mit der Implementierung der in These 7 genannten Handlungsgrundsätze ist daher noch keine Wahl bestimmter Strategien oder Maßnahmen determiniert. Insbesondere wird durch die Orientierung am Vorsorgeprinzip nicht darüber entschieden, ob Vermeidungs- oder Anpassungsstrategien zu bevorzugen sind. Beide Strategien enthalten Aspekte der Vorsorge (Kap.3.3). Je nachdem, ob präventive oder adaptive Handlungsmuster realisiert werden, muss mit unterschiedlichen Zielkonflikten gerechnet werden (Kap. 2.6), die sich aus ihren jeweiligen Bedingungen, Kosten, und (Neben-) Folgen ergeben können.

  9. 9.

    Angesichts der Diskrepanz zwischen dem Bedarf an klimawissenschaftlicher Information und seiner Unvollständigkeit bzw. begrenzten Verfügbarkeit erscheint es nicht gerechtfertigt, zugunsten einer massiven Vermeidungsstrategie kurzfristig und gravierend in das ökonomische System einzugreifen (Kap. 3.3). Dabei ist zu beachten, dass kurzfristige massive Eingriffe in das ökonomische System Risiken für die Gesellschaft mit sich bringen. Es sind deshalb langfristig vorhersehbare, d.h. berechenbare und allmählich wirkende Maßnahmen zu ergreifen, die in der näheren Zukunft vergleichsweise geringe Auswirkungen auf das Klimasystem haben werden, bei kontinuierlicher Anwendung aber einen langfristigen Effekt versprechen. Ihre Realisierung sollte stufenweise und im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen (Kap.3.l/3.3).

  10. 10.

    In derartige allmähliche Umsteuerungen kann ein Höchstmaß an Lernfähigkeit und Reversibilität eingebaut werden. Die gilt in Bezug auf die Setzung von Zwischenzielen, die Modifikationen der Zielhierarchie und die Maßnahmen. Hierzu soll sowohl aktuelles empirisches Wissen aus dem laufenden Monitoring klimatischer Entwicklungen und ihrer Modellierungen als auch Erkenntnisse über gesellschaftliche Normbildungsprozesse sowie über die Wirksamkeit und die Nebenfolgen von einzelnen Instrumenten einfließen. Die Idee der flexiblen Planung im Klimaschutz bietet die Möglichkeit, Erfahrungen mit dem Einsatz neuer Instrumente zu sammeln und für weitere Planungsschritte zu verwerten. Außerdem wird die Reaktion der Klimapolitik auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse ermöglicht, ohne das Vorsorgeziel aufgeben zu müssen (Kap. 2.6/3.3). Entsprechend ist der Post-Rio-Prozess als gestufter Entscheidungsprozess zu verstehen; er erscheint der Planungsaufgabe strukturell — wenngleich nicht notwendigerweise auch hinsichtlich seiner konkreten Ergebnisse — angemessen.

  11. 11.

    Die Angemessenheit vorsorgenden Klimahandelns kann nach unterschiedlichen Kriterien — so etwa ökonomischer und/oder ethischer Rationalität — verschieden beurteilt werden (Kap. 3.2). Es gibt keine neutrale oder übergeordnete Meta-Perspektive, aus der heraus sich die Überlegenheit bestimmter Betrachtungsweisen und daraus abgeleiteter Kriterien gleichsam „letztverbindlich“ und „endgültig“ beurteilen ließe. Die Plausibilität der jeweiligen Argumentationsmuster kann nur transversal und in Form eines kritischen Vergleichs konträrer Rechtfertigungsmuster geprüft werden (Kap.3.2). Konkretere Beurteilungen sind darüber hinaus mit großen Unsicherheiten behaftet, da sich einerseits ein ökonomisch optimaler Klimapfad kaum berechnen lässt und andererseits nur begrenzt vorhersagbare Präferenzen und Lebensstile zukünftiger Personen die Einlösung von Maximen intergenerationeller Gerechtigkeit erschweren.

  12. 12.

    Ein breites Spektrum klimapolitischer Eingriffsmöglichkeiten ist in der Diskussion. Entsprechende Optionen auf unterschiedlichen nationalen, europäischen und internationalen Ebenen sind durch spezifische Effektivitäts- bzw. Effizienzanforderungen charakterisiert. Vor dem Ziel der Klimavorsorge und ihrer anzunehmenden Dringlichkeit scheint die kurzfristige Ergreifung von Maßnahmen flexibler Mechanismen und die konsequente Ausnutzung möglicher „No-regret“-Potentiale zumutbar zu sein, soweit hierüber umgehend und effektiv verfügt werden kann (Kap. 3.3). Weiterhin können ordnungsrechtliche Instrumente - ggf. auch zeitlich versetzt - herangezogen werden, um einen langfristig wirksamen Klimaschutz sicherzustellen.

  13. 13.

    Für das Ziel eines langfristigen Klimaschutzes dürfte es sich auf nationaler Ebene als bedeutsamer erweisen, wenn über 2005 hinausgehende Klimaschutzstrategien konzipiert würden, anstatt das gesetzte Ziel einer 25-prozentigen Reduzierung der CO2-Emissionen gleichsam punktgenau zu erreichen und sich möglicherweise darin zu erschöpfen (Kap. 3.3). Die Herausforderung einer langfristigen Klimapolitik wird vielmehr sein, über einen Zeitraum von zwanzig bis dreißig Jahren eine Umorientierung des Systems der Energieversorgung einzuleiten, die von einer Abhängigkeit kohlenstoffhaltiger Energieträger wegführt.

  14. 14.

    Das durch die Ergebnisse der Konferenzen in Bonn und Marrakesch vom Sommer bzw. Herbst 2001 grundsätzlich ratifizierbar gewordene Kioto-Protokoll ist aus Sicht vieler Beobachter in seiner jetzigen Form unzureichend. Trotz mancher Kritik in Öffentlichkeit und Wissenschaft an seinen Details scheint es aber grundsätzlich als Element einer Gesamtkonzeption zum Klimaschutz geeignet zu sein, da die durch Zugeständnisse u.a. im Bereich der Senken ausgedünnte Substanz des Protokolls von seiner hohen völkervertragsrechtlichen Bedeutung zu unterscheiden ist. Es ist aufgrund der Aussicht auf zukünftige Verpflichtungszeiträume die einzige Handhabe, mit den Mitteln des Völkervertragsrechts langfristige und effektive klimagünstige Entwicklungen einzuleiten (Kap. 1.6). Das Kioto-Protokoll kann in den kommenden Jahrzehnten den Erkenntnissen der Klimaforschung angepasst und in kommenden Verpflichtungszeiträumen ggf. verscharft werden. Die Erfüllung der in Bonn festgelegten vertraglichen Verpflichtungen sind als Minimalziele der Klimapolitik zu betrachten, die weitergehende nationale und/oder EU-weite Vorreiterrollen nicht grundsätzlich ausschließen, wie sie auch in anderen Politikbereichen bereits eingenommen wurden. Derartige Vorreiterrollen müssen jedoch in besonderem Maße gerechtfertigt werden (Kap. 3.2).

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Schröder, M. et al. (2002). Fazit. In: Wütscher, F. (eds) Klimavorhersage und Klimavorsorge. Wissenschaftsethik und Technikfolgenbeurteilung, vol 16. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-55981-5_25

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