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Intersubjektivität, Bildlichkeit und die Welt der Schizophrenen

Eine unversehens merkwürdige Bildergeschichte

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Wahn Welt Bild

Part of the book series: Heidelberger Jahrbücher ((HJB,volume 46))

  • 233 Accesses

Zusammenfassung

Der Autor diskutiert im ersten Teilseines Beitrags die kreatologischen Zusammenhänge und wahrnehmungsphänomenologischen Spezifika einer nominalen und nichtnominalen Bildtheorie im Allgemeinen und die Besonderheiten der Bildlichkeit im Falle schwerer psychopathologischer Zustandsbilder. Aufgebaut wird die Studie auf der Phanomenologie der Intersubjektivität und eine vom Autor entwickelte selbstpsychologische Theorie der Identität. Der zweite Teil des Beitrags beschäftigt sich mit dem Werk des Patienten Friedrich Leonhardt Fent, eines gelernten Schildermalers und Musterzeichners aus der Sammlung Prinzhorn. Die aus der Analyse der Produktionsästhetik kontextual entwickelte Bildinterpretation stützt sich im Wesentlichen auf die vorangehenden theoretischen Überlegungen, sowie auf langjahrige praktische Erfahrungen des Autors mit eigensinniger Kunstproduktion und mit psychoanalytischer Psychosenbehandlung.

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Notes

  1. Zur Frage der Unterscheidung zwischen Divergenz und Differenz, zwischen Selbstheit und Selbigkeit s. auch P. Ricoeur: Das Selbst a1sein Anderer. Fink, München 1996; die ZeitverhäItnisse der Selbstidentität betreffend s. P.Ricoeur: Zeit und ErzähIung I–üI. Fink, München 1988-1991. Detailliert habe ich mich zu dieser Frage geäußert in Fáadi & j. Vajda: Az identitás metakritikája és a zsidó identitás (Die Metakritik der Identität und die judische Identität, ung.), Kijárat Kiadó Budapest 2002.

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  2. Dazu auch R. Jochims: Visuelle Identität. Konzeptionelle Malerei von Piero della Francesca bis zur Gegenwart. InseI, Frankfürt am Main 1975.

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  3. Diese metaphysische Tendenz hält unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit in der Grundausrichtung des üblichen Diskurses des Arbeitsfelds „Psychopathologie des Ausdrucks“ bis heute an. Die attributive Identitatsbestimmung sttitzt sich darauf, was sich sehen läßt und die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zieht, Die Erforscher dieser „charakteristischen“ Topoi spekulieren mit der Rhetorik oder Emphase des Ausdrucks (vgl. B. Waldenfels: Das Paradox des Ausdrucks. In: Deutsch-Französische Gedankengänge, Suhrkamp, Frankfürt am Main 1995. S. 105–123), mit dem Ansehen in allerlei Hinsicht. Das letztere wirkt mil Nachdruck ablenkend und mit all seiner Macht suggestiv, wobei das Ausgedrtickte in der Formulierung verborgen bleibt, Dieser Sachverhalt solI aber nach der Intention eines schöpferisch tätigen Urhebers während der Wahrnehmung einer besonders akzentuierten Spur (vestis) nicht zur Einsicht gelangen, sondern wie eine gezogene Zeitspur für das Gespür (tractum) wirken (vgl. F.jadi: Des Wahnsinns schönes Geschenk. In: Dgl.: Von der Zeichnung. Institut für Buchkunst, Leipzig 1998,S. 7-21). Wie wir auf unserem KongreB in den Beiträgen der Klinikerkollegen horen konnten, besteht weiterhin ein großes „lexikographisches“ Interesse an Merkmalen oder Merkmalkatalogen und an einer Erkenntnistheorie mil entsprechend zweiwertiger Logik. Die Vertreter der nomologischen Theorie der Bildlichkeit möchten am liebsten eine binäre Logik des Bildes (eigentlich des Abbildes oder des Bildes als „mentales Spiegelbild“) etablieren (R. Brandt: Die Wirklichkeit des Bildes.Sehen und Erkennen-Vom Spiegel zum Kunstbild. Hanser, München 1999). Dieser zu kurz gedachte Diskurs verkennt reduktionist isch die Polyvalenz jeder Bildlichkeil und ihre mit Tendenz und Wahrscheinlichkeit operierende mehrwertige Systemund Prozesslogik total und baut auf Erwartungen, die in der Wissenschaft im Allgemeinen an „das Reale“ gestellt werden. Eine profunde phänomenologische oder hermeneutisch-phänomenologische Forschung (vgl. F.-W. von Herrmann: Der Begriff der Phänomenologie bei Heidegger und Husserl. Klostermann. Frankfürt am Main 1988). die geschichtlich einer eigenen Stringenz der Theorie des Bildbewusstseins unterworfen ist, beschäftigt sich im Gegensatz zu einer attributiven Systematisierung mit Seinsvalenzen, die meiner Meinung nach aus den Artefacta nur auf der Basis einer Phänomenologie der Intersubjektivität herauszuarbeiten sind. Iede andere objektivistische oder spekulative Annäherung an dieses Thema reduziert die Kunstwerke auf Mitteilungsmedien, tiber die man vermuten mussste, dass sie wie wahre Aussagesatze diskursiv „eindeutig formulierte“ oder „falsche“ Informationen transportieren. Eine solche, der Sache keineswegs gerecht werdende Vorstellung würde aber eben den innovativen und ontologischen Status von Kunst verfalschen und den Sprachentzug und die medienimmanente Unschärfe, die beim Umschlagen der Bedeutungsfelder für das Verstehen der Bildlichkeit eine wesentliche Rolle spielen, die Formreduktion und die synthetischen Prozesse des produktiven Eigensinns, die in den kreatologischen Prozessen eine zentrale Funktion einnehmen, völlig ignorieren. Das Kernproblem bei der wissenschaftlichen Analyse von Artefakta kommt meistens dadurch zum Vorschein. dass Kunstwerke jenseits der diskursiven Alltagsprache und gebundenen Rede zur Geltung kommen und daher ein angemessener Verstehensprozess auch grundsätzlich auf dieser syntropischen Ebene ansetzen muss.

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  4. Über die Entstellung der Sprachlichkeit beim „Sinnen“ s. J. Lohmann: Philosophie und Sprachwissenschaft. Duncker & Humblot, Berlin 1975, S. 13.

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  5. Zur Problematik des Ähnlichkeitsdenkens in poetischen und rhetorischen Texten sowie in Bildbeschreibungen G. Funk. G. Mattenkott und M. Pauen: Ästhetik des Ähnlichen. Zur Poetik und Kunstphilosophie der Moderne. Fischer, Frankfurt am Main 2001.

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  6. E. W. Huber: Ikonologie. Zur anthropologischen Grundlegung einer kunstwissenschaftlichen Methode. Mäander, Mittenwald 1978; G. Didi-Hubermann: Waswir sehen blickt uns an. Zur Metapsychologie des Bildes. Fink. München 1999.

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  7. K. Vogeley & G. Curio: Imagination und Halluzination. In: K. Sachs-Hombach/ K. Rehkärnpfer (Hrsg.): Bild Bildwahrnehmung-Bildverarbeitung. Interdisziplinäre Beiträge zur Bildwissenschaft. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden 1998. 285–293.

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  8. L. Popper: Zur Mißverständnistheorie. In: Dgi.: Schwere und Abstraktion. Brinkmann & Bose, Berlin 1984, S. S. 77.

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  9. Z.B. P. Klee: Das Bildnerische Denken. Schwabe, Basel 1990.

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  10. W. Kemp: Material der bildenden Kunst — Zu einem ungelösten Problem der Kunstwissenschaft. Prisma 9 (1975): S. 30.

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  11. C. Freitag-Schubert: Farbmaterial und Verfahren. Eine kunstw issenschaftliche und kunstpsychologische Untersuchung aus kunstpädagogischem Interesse. VDG, Weimar 1998.

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  12. Zu bemerken ist, dass es dem Künstler bei seinem Stil in der Regel um die ethisch-ästhetische Identität des Werkes und nicht urn einen Wiedererkennungswert geht. Vgl. L. Wiesing: Stil statt Wahrheit. Kurt Schwitters und Ludwig Wittgenstein tiber asthetische Lebensformen. Fink, München 1991. Dieser kontextual-bildlichen Bestimmtheit des Spieles entsprechend verändert sich notwendigerweise der Stil eines Künstlers in oder nach der Psychose wesentlich. Diese Veränderung muss nicht unbedingt auch einen Wechselder „stilistischen“ Mittel oder der Gestaltfaktoren bedeuten. In der Regelwird das Urteil des Patienten, welches Bild er für gut oder schön hält, von dem abhängen,welche Inhalte in seiner psychotischen, d.h, gelebten fiktionalen Welt dominieren und wie gut diese phantasmatischen Vorstellungen sinngernäß oder abbildlich umgesetzt werden konnten. Eine notwendige Distanz zu den suggestiven Implikationen des faszinierenden Fleckes ist in der Psychose kaum möglich, d.h, die Anderheit des Fleckes wird völlig ausgeblendet. Daher können wir immer wieder geeignete Verfahren finden, mit deren Hilfe man zu diesen Bildern einen verstandesmäßigen Zugang mittels eines entsprechenden Entschltisselungsverfahrens finden kann. Sie erschließen sich aus der Gedankenperspektive der Psychose nach gewissen Codices, die aus Patientenberichten tiber Schlusselerlebnisse, aus Selbstableitungen der analogischen Denkperspektive und eventuell aus der Auflösung der poet ischen Wortagglutinationen der Patienten zu erstellen sind und die man allerdings nur mit viel Mühe und umsichtiger Nachdenklichkeit über den Bilderschatz der spezifischen Privatsprache auf einen gemeinsamen Nenner bringen kann. Zum Verstehen der psychotischen Rede kommt uns die Tatsache zur Hilfe, dass die Patienten,aber besonders die Schizophrenen, in der psychotisch veränderten Rede für bestimmte besonders peinliche Sachverhalte eigenartige Morpheme oder tarnende „Decknamen“ bzw. bizarr wirkende verschachtelte oder neologismatische Formulierungen benutzen. Die pathologischen kontemplativen Denkvorgänge, die eine angemessene Auslegung punktuell aufzudecken und mit eigenem Denken zu durchdringen hat, spieien auch in der Konstituierung der psychotischen Weitinterpretation eine zentrale Rolle. Hyperrationalismus und Konkretisrnus, die dabei zu Tage treten, werden aber von entgleisten negativen Elementaraffekten gespeist. Diese unangenehmen Affekte werden von den Patienten schon im Vorfeld ihrer Gestaltfindung blockiert oder entstellt. Dies ergibt die Logik der Rekonstruktion der unbewussten Primaraffekte. Eine Bildinterpretation, die beim Auslegen der Gedankenzusammenhänge der spezifischen Bildlichkeit in den Bildern von Psychotikern den Verstehenszusammenhang der psychotischen Weltaußer Acht lässt, spricht den Patienten eben die leidvolIe Erfahrung mit jenen Ausweglosigkeiten, Tautoiogien und fatalen Faszinationen ab, die sich aus der psychotischen Welterfahrung als Abwehr eines selbstvernichtenden Wahnsinns ergeben. Das Primat einer verrückten Welt in den Bildern von produktiven Psychotikern schließt keineswegs einen Anknüpfungsversuch an bildnerische Gestaltungstraditionen, ikonographische Modelle oder andere Bildähnlichkeiten mit entsprechender Verweismöglichkeit aus. Aber eben Bilder lehren uns, dass eine Ableitung aus der Physiognomik des Aussehens, die Kurzschlüsse aus der Bildähnlichkeit oder die logischen Verführungen der Phrastik eines analogen Denkens, wie es in der magisch-mystischen Denkform üblich ist, den unvorsichtigen Betrachter leicht in die Irre oder häufig zu Sirnplifizierungen führen können, Zu den Spielarten der künstlerischen Bildproduktion von Nicht-Psychotikern gehört immer das „Verklären des Gewohnlichen“ ebenso wie das ästheti sche Anvisieren des „Besonderen“, wobei eine Relativierung dieser Kategorien zu den Grundregeln dieses Spieles, wie es auch in der Traumarbeit geschieht, lege artis dazu gehört, Je nach Egoismus des Künstlers wird zwischen Kunstproduktion und Leben eine starke oder schwache Trennung gemacht, wobei das Ideal einer Kunstproduktion, die das Leben selbst bedeutet, und ein Selbstverständnis der kontinuierlichen Produktion oder der freien künstlerischen Selbstbehauptung als Konkretisierung immer ein uneinlösbarer Traum bleibt. Das Erkennen der Metaebene dieses Traumes oder dieser Fundamentalutopie, d.h, die Enttäuschung der Selbsttäuschung ist ein wesentliches Element der ästhetischen Erfahrung im Allgemeinen, aber sie trägt auch zu der Spiellust bei, die jede ästhetische Praxis begleitet. Der Seinsgrund des psychotischen Erlebniswandels liegt im Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit, d. h. in der Emanation des Selbstverständlichen zum absolut Besonderen (vgl. W. Blankenburg: Der Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit. Ein Beitrag zur Psychopathologie symptomarmer Schizophrenien. Enke, Stuttgart 1971). Die Spezifität dieses weltkonstituierenden, absolut Besonderen besteht darin, dass es allmählich zu einer Art Weltformel oder einem grundsätzlichen Apriori werden kann, um welche die zirkulären Tautologien der bedenkenlos ausgebauten psychotischen Wahrnehmungsinterpretationen und ein spezifisch strukturiertes Denken ohne simultane Nachdenklichke it kreisen werden. Man findet die ersten spezifischen kreatologischen oder heuristischen Abweichungen meistens schon in der Produktion des Vorgestalterischen und Fragmentarischen der Werke, da das Vorgestalterische der Steuerung der eigenen Überwachungs-systeme besser entgeht und der Zug einer solchen Spur praktisch unnachahmlich ist. Darin unterscheiden sich Psychotiker und Nicht-Psychotiker überhaupt nicht. Die bestechende Unmittelbarke it der vorgestalterischen und fragmentarischen Elemente sowie die eigenartige Kombination dieser und anderer Details bzw. Regeln, wie die Anwendung bestimmter Kompositionsgesetze oder Bildfindungen und die sehr spezifische Intensität, wie ein Psychotiker die Affektabfuhr, den Sprachentzug oder die Sprachzersetzung mit einer Fülle von ad absurdum geführten ikonoklastischen Heimlichkeiten, kryptischen Verrätselungen oder aus der Überfülle agglutinierten Bedeutungsüberiagerungen zu gewährileisten sucht, ergeben den Kern seines psychotischen Stils. Dieser psychotische Stil wird sehr oft in die allgemeine Rhetorik der psychotischen Beweisführung als eigene Dignität hineingewoben. Mit der Beweiskraft der konkret gewordenen Vorstellungsbilder und mit der lebensweltlichen Konkretisierung der rhetorischen Figuren wird eingleisig abgeleitet, wie einer in das Zentrum der vermuteten Machenschaften anderer „unschuldig“ hineingeraten musste oder in eine wundersame Verwandlung der Außenwelt schicksalhaft und ohne die Möglichkeit einer Wiederkehr oder Restitution fatal hineinverwickelt wurde.

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  13. E. Bethe: Buch und Bild im Altertum. Harrasowitz, Leipzig 1945, 22–27.

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  14. Wiesing (L. Wiesing: Die Sichtbarkeit des Bildes. Geschichte und Perspektiven der formalen Ästhetik, Rowohlt, Reinbeck bei Hamburg 1997, S. 77–78) zitiert in diesem Zusammenhang Nietzsche, der beklagt: „Jeder Begriff entsteht in dem Gleichsetzen von Nichtgleichem“.

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  15. S. H. Weinrich: Bildfeld. In: J. Ritter (Hsgb.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 1. Schwabe. Basel 1971, Sp. 921. Zu dieser Hinweisstruktur gehören metaphorische Wortzusammensetzungen. Idiome, bildlich Gesprochenes, Sprich-und Schlagwörter, geflügelte Worte und andere Tropen.

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  16. S. dazu G. H. Seidler: Der Blickdes Anderen. Eine Analyse der Scham. Verlag Internationale Psychoanalyse, Stuttgart 1995; J. D. Lichtenberg, F. M. Lachmann und J. L. Fosshage: Das Selbst und die motivationalen Systeme. Zu einer Theorie psychoanalytischer Technik. Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2000.

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  17. Zu der Frage von bewusster und unbewusster Selbsttäuschung s. M. Löw-Beer: Selbsttäuschung, Alber, Freiburg 1990.

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  18. Hier sei bemerkt, dass die wichtigsten Theoretiker der Phänomenologie der Wahrnehmung bei ihren Überlegungen immer die bildenden Künste, besonde rs aber die Arbeitsweise der Maler und das Wirksamwerden der Malerei vor Augen hatten (s. W. Schapp: Beiträge zur Phänornenologie der Wahrnehmung (1910). Heymann, Wiesbaden 1976: M. Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung (1945). deGruyt er, Berlin 1966).

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  19. A. Tischer: „Ein Himmelfahrtstraum im St.-Jürgen-Asyl“. Friedrich Leonhardt Fent (1867-1927) sowie A. Tischer: „Die Macht der hypnotischen Suggestion“. In: A. Tischer (Hsgb): Die Macht der hypnotischen Suggestion. Die Bremer Künstler der Prinzhorn Sammlung. Donat, Bremen 1996. S. 53–67 und S. 31-37. Da meine Interpretation der Bilder auf grundlegend anderem theoretischem Fundus und Quellenmaterial ruht und owie ich meine, zu einde utigeren und an vielen Stellen unwiderlegbaren Resultaten führt, diskutiere ich die leichten Ähnlichkeiten oder Parallelen zu den kulturhistorischen Bildkommentaren Tischers hier nicht eingehender. Tischers eklata nte Fehldeutungen zeigen wiederum, dass wir die einzelnen Phänornene in den künstlerischen Arbeiten von Psychotikern nur dann entsprechend einordnen können, wenn wir über die intra-und interpersonale Dynamik des psychopathologischen Bildes oder wenigstens über die Motive des Zeigen-oder Sagen-Wollens unter den speziellen Bedingungen der verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen einigermaßen im Klaren sind. Die Werkdeutung wird nach dem Finden der Grundperspektive in vielen Fällen dadurch sehr erleichtert, dass eine gelebte Fiktionalität eine hyperreale oder hyperlogische Lebenswelt ins Bild setzt. Die Existentialen der Fiktionalität künstlerischen Gestaltens unter dem Einfluss der psychotischen Erlebnis-und Wahrnehmung swelt sind aber von Patient zu Patient grundlegend different.

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  20. K. Wilmanns: Zur Psychopathologie des Landstreichers. Barth. Leipzig 1906. S. auch K. Schneiders Bemerkung zu der Frage der untersch iedlichen Wahndynamik von primit iven Reaktionen und reaktiven Psychosen (K. Schneider: Uber den Wahn. Thieme. Stuttgart 1952, S. 22-23).

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  21. Jugend 1910. S. 419. Anzeige „Steiner’s Paradiesbett“ oder „Paradies am Nordpol“

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  22. Bei den Paradiesbett-Anzeigen kommt eben so die Assoziation von Kälte wie von Wärme vor (s. Jugend 1902 S. 108 b).

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  23. Zum Bildfeld des Bettes gehören nicht nur die Wortzusammensetzungen, sondern auch die Sprichwörter mit dem Wort „Bett“ (K. F. W. Wander [Hsgb.]: Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk. Bd. 1. Akademische Verlagsgesellschaft Athanaion, Kettwig 1987, Sp. 347–350; F. Freiherr von Lippenheide: Sprichwörterbuch. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1907. S. 65.). Zu den erotischen Tropen des Wortes „Bett“ s. E. Bornemann. Der obszöne Wortschatz der Deutschen, Pawlak, Herrsching 1984. Ein geflügeltes Wort mit Bett aus „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ lautet: „Wer nie sein Brot mit Tränen aß./Wer nie die kummervollen Nächte/ Auf seinem Bette weinend saß./Der kennt euch nicht, ihr himm lischen Mächte“ (!).

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  24. Es gab auch eine andere bekannte Firma. die „Reform-Betten“ anbot, nämlich die Firma Jaekels [Simplicissimus 11(1906/7): 681. Beiblatt der Fliegenden Blätter 19. April 1907, S. 7]. Eine dieser Anzeigen, wo auf dem Bett „Schlafe Reform“ steht, wirbt mit einer auch für uns interessanten Schlagzeile „Es ist kein Wahn“(!) [Simplicissimus 11 (1906-7): 681]. Eine „Schlafe Patent“-Anzeige wurde ebenfalls mit verschiedenen Aufschriften versehen: Simplicissimus 11 (1906/7): 700, 716, 755. Hier ist zu bemerken, dass die Bettenan zeigen der Zeit-wie auch noch heute-auf das Wortfeld „miteinander schlafen“ anspielen, wenn sie den angenehmen Schlaf preisen. Im Zusammenhang mit der Reformbewegung entstanden um die Jahrhundertwende anspruchsvolle Gebrauchsgüter häufig mit der Zusatzbezeichnung Reform. Man propagierte hedonistisch ein Gesundheits-und Freiheitsbewußtsein, eine Reform der Lebensform, Natürlichkeit und Ursprünglichkeit [s. dazu den umfangreichen Ausstellung skatalog der Mathildenhöhe K. Buchholz. R. Latocha, H. Peckman & K. Wolbert (Hsgb.): Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900. Haeusser Media/Verlag Häusser. Darmstadt 2001]. Erreicht werden sollte dies wiederum mit viel, bewusst eingeübter rhythmischer Bewegung, gesunder Nahrung, Sonnenbad als Sonnenanbetung, unmittelbarer „Nähe zur Natur“ usw. Das Ziel dieser Utopie war aber nicht nur ein gesundes, seelenfrohes und langes Leben, sondern auch eine besondere Spiritualität, ein „gesunder Geist“, der „mit dem Kosmos in Verbindung steht“, So war die Reformbewegung in der Form eines, dem Lamarckismus, der Eugenik und Theosophie nahestehenden Körper-und Lebenskultes eine extraparlamentarische, sich für sozial haltende Bewegung der „kultivierten“ Mittelschicht und best immter Individualisten, Esoteriker, so z.B, der aus der Theosophenbewegung stammenden Gruppe Steiners, der Neugeistbewegung der Couéisten, der Spirit isten und anderer Okkultisten usw., die ein neues Selbstbewusstsein und Glück mit der Utopie eines „gesunden Volkskörpers und Volksgeistes“ ansteuerten. Das hier gezeigte Bett gehört zu dem sog. „Neuforrn-Design“, wie man Art Deco auch nannte. Es gab sogar eine „Reform Anstalt“ für rehabilitative Zwecke [s. Anzeige Simplicissimus 11(1906/7): 659]oder auch ein Reform-Bier der „Reformquelle“ (Simplicissimus 1906. S. 363) und auch ein „Reform-Korsett“ (Gartenlaube Kalender 1905, hinterer Innendeckel).

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  25. Zur Gestalt des Wirbels oder Strudels als eine unbewusste Gestalt, die auf die Strukturierung des Blickes durch die Triebe hinweist, s. I. Hermann: Rapports aptiaux de quelques phenomènes psychiques. Acta Psychologica 7 (1950): 225–246 und Dgl.: Az ember ösi ösztöne i. Magvetö Kiadó, Budapest 1984. Auch F. Jádi: Der Traum des Doktors. Colloquium Psychoanalyse 1 (1997): 5-31.

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  26. Jugend 1910, S. 251. Anzeige „Steiner’s Paradiesbett“ oder „Szene aus dem Faust“. In dem Entstehungsjahr der Fent-Arbeiten wurde eine Paradiesbett Anzeige in der Jugend 1910, S. 922 mit einem Gedicht veröffentlicht, wozu ein Walzerlied von Felix Wolff gehört, Die Anzeige teilt auch mit, dass die Firma für Gaststätten und Kaffeehäuser kostenlos Phonola Platten mit diesem Lied, gesungen von Frl. M. Serno, abgibt. Auf der Anzeige sehen wir einen Mann und eine Frau in zwei verschiedenen Reformbetten liegend.

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  27. Vgl. den Aufruf „Audiatur et altera pars!“ am unteren Blattrand bei Fent. Der Spruch stammt aus der Schwurformel der Athener Richter im Altertum, die sich geschworen hatten, den Beschuldigten ebenso anzuhören wie die Beschuldiger oder die Ankläger, Von Fent ist dieser Aufruf a1s konkrete Aufforderung gedacht. d.h. man solie auch seine Worte hören, besonders aber die entschuldigende Behauptung, dass er durch Suggestion zu sexuellen Straftaten gezwungen worden und so unschuldig zur Anstaltsaufbewahrung verurteilt sei. Hier ist noch zu berücksichtigen, dass der Teufel auch für den „ganz anderen Mann“ steht, welcher gleichzeitig das latent homoerotische Begehren symbolisiert und als eine allgemein bekannte Allegorie des männlichen Unident ischen zu verstehen ist. Paradoxerweise ist das ketzer ische Blatt mit seinem Alterego dem Anstaltspfarrer gewidmet. Die heute kaum mehr vorstellbare Fülle an Teufelsbildern in Reklame und Karikatur und anderen Gattungen der bildenden Kunst regte wahrscheinlich um diese Zeit auch die kunstg eschichtliche Publizistik an, sich mit dem Teuflischen und mit dem ganz Anderen zu beschäftigen: W. Michel: Das Teuflische und Groteske in der Kunst, Piper, München 1919.

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  28. N.b. das Traumbild wird im esoterischen Sprachgebrauch auch „Zauberspiegel der Seele“ genannt. Zum Wortbild des Zauberspiegels s. auch J. & W. Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bd. XV. Sp. 365–366. Unter Zauber-, Erd-, Berg-oder Bergkristallspiegel verstand man eine runde, glasklare Kugel, mit deren Hilfe man in die Mitte der Erde und mittels eines Zauberspruchs in die Zukunft schauen kann.

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  29. Das sog. Paradiesbett der Firma M. Steiners & Sohn Akt.-Ges., Frankenberg i. S. wird in einer großformatigen Anzeige abgebildet (Beiblatt der Fliegenden Blätter 15. März 1907, S. 2).

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  30. Jugend 1910, S. 298 b. In der Bildmitte sieht man einen im Bett liegenden König unter Wasser, umgeben von tropischen Raubfischen, die teilweise mit geöffnetem Maul umherschwimmen.

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  31. Schon in der Jugend 1906, S. 858 b finden wir eine Anzeige des Paradiesbettes als Krankenhausbett. Hier meldet ein Militärarzt bei der Visite, neben einem im Bett liegenden und grinsenden Patienten stehend, seinem General, dass die Patienten nach der Gesundung das Paradiesbett-offensiehtlieh wegen der guten Qualität der angepriesenen Ware. so die Anzeige-nieht mehr verlassen wollen.

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  32. Lustige Blätter 1909, Nr. 32., S. 15. Das in dem Gesamtkonzept häretisch wirkende Bild trägt den Titel „Das gerettete Paradies“ und zeigt den alternden Monarchen ins Bett eilend, umgeben von jungen Haremsdamen, die ibn mit Freude begrüßen oder einladend auf das Bett zeigen.

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  33. Jugend 1907, Nr. 37, S. 822.

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  34. Jugend 1908, S. 202 a.

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  35. Die Aufschrift spielt sarkastisch mit dem Namen des Festtages Himmelfahrt Christi. An diesem Tag, 40 Tage nach seinem Tode, stieg Jesu in den Kirchenhimmel hoch und stieß ein den Teufel darstellendes Bild herunter, Zum Himmelbett s. auch J. & W. Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bd, IVIII. SP.1342. Beim Himmelbett handelt es sich um ein Bett mit einem Baldachin. Man assoziiert ein Himmelbett mit einem alten Schloss und seinem feudalen Eigentümer, dem ein ruhiger Schlaf gegönnt ist. Das Himmelbett wird so zur beliebten Allegor ie des Wunsches nach sorglosem Schlaf und größtmöglicher Verwöhnung, Auch in der Vorzeigerhetorik des angeberischen Luxus spielt es eine wichtige Rolle. Hier konnte auch ein, bei Psychotikern nicht seltenes Spiel mit der paradoxen Selbstironie (er, der arme Teufel gehöre eigentlich ins Himmelbett, wo die Frau liegt) versteckt sein (s. auch F. Jádi: Noblesse oblige. In: I. Jádi/B. Brandt-Claussen (Hsgb.): August Natterer. Die Beweiskraft der Bilder. Leben und Werk. Deutungen. Wunderhorn. Heidelberg 2001, 215–322). Man bemerke die immer wieder auftauchenden Vertauschungen von Mann und Frau.

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  36. Schon um 1904 finden wir kleine Anzeigen dieser Fabrik, wo ein „echtes“ Himmelbett mit Putti oder Eroten abgebildet ist (Jugend 1904, S. 543). Auch an anderen Stellen dieses Iahrgangs findet sich die gleiche Zeichnung.Vgl. auch die Anzeige in der lugend 1905,S. 339. hier spielt eine Erote über einer im Bett liegenden Frau Geige (!).

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  37. Tatsächlich wird in einer lustigen, fingierten Photoreportage (Lustige Blätter 1909. Nr. 36., S. 3, Bildmitte) „das Bett des neu en Kanzle rs“ so genannt.

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  38. Zu den mythologischen Bezügen der antiken Siegesgött er (zu Victor — Victrix [aus der Figuration der Nike] als Attribute verschiedener Götter der Römer sowie zu der wichtigen Statue der Victoria Romana in der romischen Kaiserzeit) s. W.H. Roscher: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mytholog ie. Bd. VI. Teubner, Leipzig 1884–86, Sp. 282–302 sowie Dgl.: Bd. III/I. Sp. 305–358. Bei der Frauenfigur kann man entfernte Bezüge auch zu bestimmten Germania-Darstellungen und zu der Hauptfigurine der Quadriga des Brandenburger Tores in Berlin nachweisen. Dies wiederum wurde auch zum bekannten Logo der Berliner Illustrierten Zeitung urn 1900. Zu diesem Thema s. M.-L. von Plessen (Hsgb.): Marianne und Germania. Frankreich und Deutschland. Zwei Welten — eine Revue.Argon, Ausstellungskatalog der Berline r Festspiele, Berlin 1989,S. 94 und 206. Die Viktoria-Figur wurd e in der Reklame auch für Fahrräder, Schuhe usw. verwendet. Es gab auch ein Chaiselonguebett „Viktoria“ (Reklame mit liegender Frau s. Gartenlaube Kalender 1901, lndustrieller Anzeiger 1905, S. 15; lndustrieller Anzeiger 1906, S. 34). Eine witzige Nebensächlichkeit ist noch zu erwähnen, dass die Firma Emil Wünsche(!) in den Lustigen Blättern 1906, Nr. 22. S. 15. für eine Vitrix Kamera warb.

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  39. Die göttliche Eigenschaft der Hauptfigur wird auch mit der Größe dargestellt. Vgl. die Verszeile von W. O. E. Hartleben, mit der dazugehörenden Zeichnung (Jugend 1899 S. 122).

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  40. Zu kuriosen Erfindungen in den Anzeigen dieser Zeit s. A. Zettler: Curiosa Electrica. Allerhand seltsame Erfindungen und Entdeckungen zu Nutz und Frommen aller Freunde der Elektrotechnik. Zettler, München 1964.

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  41. Elektrotechnischer Anzeiger 10(1893): 18.

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  42. Elektrotechnischer Anzeiger 10(1893): 1884.

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  43. Elektrotechnischer Anzeiger 9 (1892): 1375. DasTitelblatt einer Angebotsliste der Druckerfirma B.Schütz, Leipzig (1896), die sich in meinem Besitz befindet, ziert eine ähnliche Darstellung.

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  44. Zu der Tradition der metaphysischen Verknlüpfung von Licht und Bewußtsein s. A. Zajonc: Die gemeinsame Geschichte von Licht und Bewußtsein. Rowohlt, Reinbeck bei Hamburg 1994.

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  45. Vgl. U. Müller: Die Gestalt Lucifers in der Dichtung vom Barock bis zur Romantik. Ebering, Berlin 1940.

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  46. Eine Anzeige kündigt offentlich das besondere Kommende an. welches neben einem Text oft auch bildlich „von seiner besten Seite“ gezeigt wird. Daher heißt sie Annonce. Eine gute Annonce zeigt aber immer etwas anderes als das zustandsmäßig Kommende (bed ingt Eintretende) selbst. Im Reklamebild wird auf den positiv veränderten Zustand hingewiesen, welcher eintritt, wenn man den angezeigten Gegenstand erwirbt und seinen Besitz genießt. Die Anzeige ist ur sprünglich kein visuelles Medium. sondern als „Reklame“ ein akustisches Phänornen und gehört zu dem Geschäft der lauten Marktschreier. Das Teuflische der Reklame erweist sich eben in der Paradoxie dieses Doppelcharakt ers, nämlich darin, dass sie sich von ihr er schönsten Seite und trotzdem „obscur“ zeigt und mit dem repräsentativen Aufzeigen uns eres Wunsches sich suggestiv lobpreist. Über okkultistische Theorien der Reklame s. O. Siemens: Einführung in das Wesen der Reklame. „Suggestion“ 1917, Nr. 107, S. 23–27.

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  47. Z. B. Lustige Blätter 1909, Nr. 50. Eine Figurine mit Globus. einen Gegenstand haltend, wurde auch für das Dralle Parfum „Augusta Victoria — Veilchen“ verwendet (Simplicissimus 1904, S. 417).

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  48. Simplicissimus 1905. S. 297. Die Woche 18. Aug. 1906, S. VIII. Ein anderes Beispiel z.B. Lustige Blätter 3. Juni 1903. Reklame mit Licht und Teufel s. Lustige Blätter 3. Nov. 1909. das gleiche auch 10. Nov. 1909 und später.

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  49. S. den Verweis auf die Ephemeriden und weitere Hinweise über den Einfluß der Sterne wie Mars. Venus usw. in den Texten Fents. Nach esoterisch-pansophischer Vorstellung (W.-E. Peukert: Pansophie. Ein Versuch zur Geschichte der weißen und schwarzen Magie, Kohlhammer, Stuttgart 1935; Dgl.: Astrologie, Kohlhammer, Stuttgart 1973), die in dieser Zeit, ebenso wie heu te, im Umlauf waren, solI der Stand der Planeten durch die sog. „Planetendämonen“ oder durch den Einfluß des „kosmischen Äthers“ zukünftiges Glück und Unglück des Einzelnen bestimmen. Die metaphysisch-hermetische Lehre der Astrologie führte später diese schicksalbestimmende „interplanetare Einwirkung“ auf die sich ständig verändernde Anziehungskraft der Gestirnkonstellationen zurück. Dieser Aberglaube gehört zu dem Formenkreis der sog. „Radiästhesie (0. Prokop & W. Wimmer: Wünscheirute, Erdstrahlen, Radiästhesie. Enke Stuttgart 1977).

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  50. Zu den mythologischen Figuren der Grazien oder Chariten s. W. H. Roscher: Lexikon der griechischen und römischen Mythologie Bd. I/1. s. Anm. 32, Sp. 873–884. DiemittlereFigur, die von Fentin eine Selbstdarstellung umgewandelt ist, wird meistens Thaleia, die „blühende Festesfreude“ genannt. Sie wird mit der gleichnamigen Museder Schauspielkunst, Thalia gleichgesetzt.

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  51. Das Bild ist ab 1904 im Simplicissimus in mehreren Nummern und auch in anderen humoristischen Anzeigeblättern nachweisbar. Hier aus dem Simplicissimus 10(1905): Heft 38.

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  52. Erotische Darstellungen, die Quelle und badendende Frauen konnotieren, sind in der Kunstsehr häufig, Zu bemerken ist noch, dass man im sog. Victoria Brunnen in Oberlanstein a. Rh. ein natürliches Mineralwasser namens „Victoria“ produziert hat (s. Anzeige im Beiblatt der Fliegenden Blätter 4. Mai 1884, S. 1).

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  53. Auch für Wiesbaden warb man mit einer ähnlichen Figurengruppe, d.h. mit einem Mann, der von zwei antikisierenden Frauenfiguren umarmt wird (s. den Relief „Die Genesung“ von J. Schilling in der Anzeige der Jugend 1905 S. 238 b. Eine ähnliche Fidus-Zeichnung wurde a1sBuchschmuck für das Buch E. F.Reudebach: Die Eigenen, Räde, Berlin 1905 verwendet. Eine Anzeige dazu erschien in der Jugend 1905. Auch eine ganzseitige Henkel-Werbung (Simplicissimus 1907,S. 752) spielt mit der figürlichen Ambivalenz eines Mannes, der die Zuneigung von zwei Frauen zu genießen scheint.

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  54. Vgl. auch die Anm. 30. Zb. befindet sich eine solche Anzeige in der „Jugend“ 1904, Nr. 27, S. 543. Die allererste Anzeige eines Reform-Bettes der Firma Steiner, die ich identifizieren konnte, wurde in der Jugend 1898, S. 307 publiziert. Im Jahre 1905 wurde ein Preisausschreiben für die bildliche Darstellung (im Format 24×35 bzw. 25×17 cm) des Paradiesbettes a1sganzseitige Anzeige publiziert (Jugend 1905 S. 166 a). Mit diesem erfolgreichen Produkt warben später auch Warenhäuser (Jugend 1912, S. 990).

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  55. Zur psychopathologischen Auflösung von „Naturwahrheit“ s. das Blatt „Mars-Typen & alleinige Organismen“ von Fent (abgebildet in A. Tischer (Hsgb.): Die Macht der hypnotischen Suggestion. s. Anm. 20, S. 94), wo unter dem Titel „Die freie Liebe dieser Naturrnenschen“ ein koitierendes Paar und an der rechten Seite des Bildes ein erregter Stier mit einer schnüffelnden Kuh gezeigt wird. Den esoterischen Hintergrund des Begriffes „Naturgesetz“ betreffend s. auch H. Drummond: Das Naturgesetz in der Geisteswelt, Hinrich, Leipzig 1889. Im Zusammenhang mit den „Mars“-Blättern von Fent möchte ich noch die folgende Erläuterung beifügen. Am Anfang des 20. J.h. entdeckte man die Kanäle und die Monde des Mars. Urn 1910 ist über dieses Thema ebenso wie über die „Bedr ohung“ durch den Halleyischen Kometen sehr viel geschrieben worden. Sogar für den Sekt der Firma Henkel wurde mit Mars und dem Kometen geworben (s. Jugend 1910, Heft 10, Simplicissimus 1910, S. 849). Zum esoterischen Hintergrund der Weltraum oder Planetenfahrt, die seit dem Barock thematisiert wurde, s. J. Classen: Das Mondflugprojekt des John Wilkins von 1638. Veröffentlichungen der Sternwarte Pulsnitz Nr. 21. Pulsnitz 1985. Hier ist wicht ig zu sehen, dass man in Zeiten, in denen eine Raumfahrt technisch noch unmöglich war, doch eine solehe Reise mit den merkwürdigsten Mitteln (z.B. mit der Zugkraft von Vögeln, mit der Stoßkraft von Geschossen oder Raketen) plante, urn der Schwerkraft und der zwangsweise anhaltenden Anziehung der „aktiven Sphare“ der Erde zu entkommen. Man dachte, dass die Gravitation und der natürliche Magnetismus der Erde das gleiche seien. Entsprechend der Verwobenh eit der Verweiszusammenhänge in den Bildern von Fent muss eine, auch großform atig oft reproduziert e Anzeige des Jahres 1910 [z.B. Simplicissimus 15(1910), S. 113] für einen Photoapparat der Fima Erman zur Rate gezogen werden. Hier sehen wir eine männliche Figur auf dem Mars sitzend. Die Figur hält eine Kamera in der Hand und möchte den vorbeirauschenden Haley-Kometen photographieren.

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  56. Seit den Entdeckungen der Barockoptik werden Schattenbilder des Teufels mittels Laterna magica an die Wand geworfen, wobei das Auge selbst als eine Camera obscura aufgefaßt wird. Weiterführende Literatur: J. Pisko: Licht und Farbe. Eine gemeinfaßliche Darstellung der Optik, Oldenbourg, München 1869; D. Brewster: Briefe über die natürliche Magie, an Walter Scott, Enslin, Berlin 1833; D. Hoffmann/A. Junker: Laterna magica. Lichtbilder aus Menschenwelt und Götterwelt, Fröhlich und Kaufmann, Berlin 1982; U. Hick: Geschichte der optischen Medien, Fink, München 1999. Zur speziellen Problematik der Reklame in der Zeit urn die jahrhundertwende und am Anfang des 20. Jahrhunderts s. P. Boscheid/C. Wischermann: Bilderwelt des Alltags. Werbung in der Konsumgesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Steiner, Stuttgart 1995.

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  57. Vgl. die Bezeichnung „Vivisektion“. Dazu s. auch die Kampfschrift des leipziger Astrophysikers F. Zöllner: Über den wissenschaftlichen Missbrauch der Vivisection mit historischen Documenten über die Vivisectionvon Menschen. Staackmann, Leipzig 1890.

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  58. Detailaus: Pieter van den Heyden nach Breugel: Narrenfest. Narrenköppe bei Tanzund Kugelspiel, nach 1570, Staatsgaierie Stuttgart, Graphische Sammlung. Abgebildet In: Narren. Ausstellungskatalog, Kunstbibliothek Berlin 2001, S. 49. Eine Narrenfigurim mittelaiterlichen Kostüm, die die „lange Nase“ zeigt, sehen wir auf dem Fent-Blatt „Zur 1. Jahresfeier im Verwahrungshaus“. Abgebildet in A. Tischer(Hrsg.): Die Macht der hypnotischen Suggestion. s. Anm. 20,S. 66.

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  59. R. Kleinpaul: Spracheohne Worte 1888). Mouton, The Haugue 1972, S. 268–269. In der späteren Barockliteratur sprachman auch vom „Nasedrehen“, S.D.H. Ludolf: Vollständige und gründliche Einleitung in die Chymie… J.H. Nonnen, Erfurt 1752, S. 24. Hier schlägtder Autor vor, dass man „den Goldbegierden eine Nase drehen“ solle.

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  60. Eine anonyme Radierung aus dem 18. J.h. (Privatsammlung).

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  61. Fent befolgt die verlocken de bildliche Analogie zu seiner Person in der Figur des Teufels. Die einzige verbale Verbindung zu ihm könnte in dem Werbetext eventuell in dem Wort „Schlafzimmer“ gefunden werden. Fent ist wegen sexuellen Mißbrauchs an seiner Stieftochter angezeigt worden, so ist sein Sich-Verirren in den Anzeigen ein möglicher Abwehrversuch seiner Schuld. Die „Bettgeschichten“ seiner Biographie haben mich in meiner Idee bestärkt, den Bett-Anzeigen besondere Aufmerksa mkeit zu widmen. Auch eine andere „Batterie“ Anzeige der Firma Luschner zeigt eine Frau im Bett [Simplicisimus 15(1910): 611 und später].

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  62. Nimm mit 3(1906), Nr. 7. S. 15, auch In: Beiblatt der Meggendorfer Blätter 26. Sept. 1906.

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  63. Jugend 1906, Nr, 9. S. 182.

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  64. Diesen Strahl können wir in Hinblick auf die verbale Mitteilung auch a1s den Querschnitt des Trichters eines Sprachrohr s ansehen, der auch mit der „Schwerhörigkeit“ des Rezipienten spielt. (Sprachrohr in Strahlenform wurde in der Werbegraphik besonders für humoristische Anzeigen empfohlen s. W. Sperling: Die Karikatur in der Reklame. Mohring, Leipzig 1938. S. 54.) Die Vermischung von Fernrohr und Sprachrohr mit dem Zur-Schau-Stellen des Wunsches und der Verlautbarung eines Befehls, die in dem Abwehrmechanismus der psychischen „Projektion“ eine zentrale Rolle spielen, ist in diesen Pällen im Interesse der erh offten verwirrenden Wirkung beab sichtigt. Bei Fent werden aber diese Mechanismen wie auch das Überspringen oder Verdrehen der Denklogik bestimmter Antinomien unbewusst übersehen.

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  65. J. Peter: Die Photographie des Unsichtbaren, Baum, Pfullingen o.J.; F. E. Bilz: Tote leben und umgeben uns. Mit 32 Geisterphotographien. Bilz, Dresden-Radebeul 1918; F. Feerhow: Die Photographie des Gedankens oder Psychographie. Altmann. Leipzig 1913. F. Grunewald: Physikalisch-mediumistische Untersuchungen. Baurn,Pfullingen o.J.; A. von Schrenck-Notzing: Materialisationsphänomene. Ein Beitrag zur Erforschung der mediumistischen Telepathie. München 1914. Zu kunst-und kulturhistorischen Bezügen dieses Themas mit weiterführender Literaturs. den AussteUungskatalog der Schirn Kunsthalle: Okkultismus und Avantgarde. Von Munch bis Mondrian. Edition Tert ium. Ostfildern 1995 und den Austellungskatalog des Städtischen Museums Abteiberg Mönchengladbach. Im Reich der Phantome. Fotographie des Unsichtbaren. Cantz, Ostfildern-Ruit 1997. Zum Thema der Geisterseher s. auch A. Schopenhauer: Versuch über das Geistersehen und was damit zusammenhängt. In: A. Schopenhauer: Parapsychologische Schriften, Schwabe & Co., Basel 1961. S. 95-206.

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  66. Das Wort Suggestion, die in der Volkssprache der Jahrhundertwende auch „fauler Zauber“ genannt wurde,wird nicht wie damals und heute üblich (E. Törnner: Hypnotismus und Suggestion. Teubner, Berlin 1921) benutzt, sondern auf andere, bestimmter esoterischer Literatur folgende Weise gebraucht. Einerseits beklagt Pent, dass ihm wesensfremde Gedanken per Suggestion eingegeben werden, wodurch er sich nicht kontrollieren könne, (Dazu s.W. Gerard: Fernfuhlen und Fernwirken. Baum, Pfullingen o.J.) Anderseits können wir aus seinen Schriften das Wort Suggestion auch im Sinnedes darnalsweit verbreiteten Couéismus identifizieren. Es handelte sich urn eine besondere Autosuggestions-Technik, ein Willenstraining für besseres Auftretenund effektivere öffentliche Wirksamkeit. Der Gebrauch eines solchen Trainings wurde in okkultistischen Kreisen aber auch als Mittel gegen Fremdeinfluß empfohlen, wie es auch heute noch im „assertivity training“ als Vorbereitung für eine Bewerbung, eine Rede usw. vorwiegendin den Vereinigten Staten mit Hilfe von psychologisch geschultem Personal eingeübt wird [s.H. Jürgens: Couéisrnus und Neugeistpraxis, Baum, Pfullingencca. 1909; R. Baerwald: Psychologie der Selbstverteidigung in Kampf-, Notund Krankheitszeiten. Autosuggestion (Couéismus) und Willenstraining. Heinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1923; H. Jürgens: Das Geheirnnis Coué s. 55 Formeln aus der Praxisfur die Praxis. Baum, Pfullingen o.J.].

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  67. Jugend 1906, Nr. 4. S. 3, aber auch schon Jugend 1905. S. 1011. Einet was länglicheres Formater schien in anderen Zeitschriften. Diese sind aber meistens schlechtere Abdrucke. S.z.B. Lustige Blätter 1905/Nr. 46; 48; 50; 52 oder 1906 Nr. 2. In der Nr. 4. 1910 der Lustigen Blättern wurde die das Hellsehen propagierende Anzeige vorn Simplicissimus 1910, S. 498 und 888 publiziert.

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  68. In dieser Zeit erschienen unzählige esoterisch-okkultistische Bücher über Gedankenmacht, Autosuggestion oder Liebeszauber. Fur diese Bücher wurde in den Anzeigen der Illustrierten und der humoristischen Blätter rege geworben. S. z.B. Meggendorfer Blätter Nr. 1042, S. 215 a; Nimm mit 3 (1906/7):13; Meggendorfer Blätter Nr. 1010, S. 91 oder auch mit der Figur des Teufels z.B. im Simplicissimus 1906, S. 33 bzw. Meggendorfer Blätter Nr. 1034, S. 50.

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  69. Vgl. E. Siecke: Götterattribute und sogenannte Symbole, Costenoble, Jena 1909, S. 94–99.

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  70. Wegen der guten Reproduzierbarkeit aus der Zeitschrift Nach Feierabend 1010, S. 703. Es ist zu bemerken, dass dieses, auch in allen bekan nteren humoristischen Blättern jahrelang publizierte Bild in seiner Bildstruktur sehr ähnlich ist wie das Fent-Bild mit dem Titel „Himmelfahrt-Traum“ (Abb.1.).

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  71. Der Stern mit dem Strahlenkranz auf dem Kopf zeichnet sie als eine Frau aus, die mit diesem Attribut mitte ilen will, dass sie über das „zweite Gesicht“ verfügt. Eine großformatige erotische Zeichnung von Fidus zeigt eine Frau, die in ihrem Schoß einen Mann hält (Jugend 1904, S. 570). An dem Kopf der Frau. die „Satana“ genannt wird, eine Bezeichnung, die auch August Natterer benutzt hat (s. I. Jádi/B. Brand-Claussen (Hsgb.): August Natterer, S. 245, Anm. 38 und Kat. 40). sehen wir einen ahnlichen Stern wie auf dem Anzeigenbild. Diese Götterflgurine ist ein Pendant der Viktoria-Nike Figur, die wir bei der Besprechung des Bildes „Ein Himmelfahrts Traum“ kennengelernt haben, Beide sind überirdische Gestalten mit Bezügen zu den Stemen. Durch diese „astrale“ Konnotation [s. F. Freudenberg: Astrale und elementare Einflüsse, Baum, Pfullingen, o.J. (um 1905)] konnten die kommerziellen Anwendung en dieser Frauengestalten Fent besonders zugesagt haben.

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  72. Vgl. auch den damals sehr populären esoterischen Roman von A.-L. Balzer: Das Paradies der Schmerzen. Baum, Pfullingen 1907. Hier sehnt sich die von „Fremdgeistern“ gequälte Heldin nach den Sternen und „fühlt Heimatluft von den Pforten des ewigen Gartens“.

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  73. F. Jádi: Regressionszug in der Thalassa (ung.). Thalassa 10 (1999): 140–149.

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  74. S. Ferenczi: Versuch einer Genitaltheorie (1924), In: S. Ferenczi: Schriften zur Psychoanalyse, Bd. II. Fischer, Frankfurt am Main 1972, S. 321–341.

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Jádi, F. (2002). Intersubjektivität, Bildlichkeit und die Welt der Schizophrenen. In: Fuchs, T., Jádi, I., Brand-Claussen, B., Mundt, C., Kiesel, H. (eds) Wahn Welt Bild. Heidelberger Jahrbücher, vol 46. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-55719-4_11

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