Zusammenfassung
Das Konzept der Aufklärung und Einwilligung (Informed Consent) in der Medizin wird von zwei Seiten kritisiert. Kritiker halten das Informed Consent-Modell für ein Produkt einer Autonomie-dominierten Medizinethik, die in der medizinischen Praxis zu einer Unterbewertung und Vernachlässigung intersubjektiver Werte führt. In der Beziehung zwischen Arzt und Patient spielen nicht nur Rationalität und Selbstbestimmung von „Vertragspartnern“ eine Rolle, sondern auch intersubjektive Faktoren wie z.B. Vertrauen, Sorge und Fürsorge. Für das Heilen spielen gerade diese zwischenmenschlichen Aspekte eine entscheidende Rolle und müßten in einer medizinethischen Theorie umfassender berücksichtigt werden. Die Stärke von medizinethischen Theorien, die intersubjektive Aspekte der Arzt-Patient-Beziehung in den Vordergrund stellen, wie es z.B. die „Ethics of Care“ und die Tugendethik („Virtue-Ethics“, vergl. Pellegrino und Thomasma 1988 und 1993) tun, liegt in der Berücksichtigung von subjektiven, voluntativen und emotionalen Faktoren. Diese spielen bei der Aufklärung und Einwilligung sowie bei Entscheidungsprozessen in der Medizin („clinical decisionmaking“) eine von der ethischen Theorie häufig nicht ausreichend beachtete Rolle. Daher müssen emotionale Faktoren und Beziehungsaspekte in der Praxis des Prozesses der Aufklärung und Einwilligung verstärkt berücksichtigt werden.25 Empirische Untersuchungen weisen im Prozeß des Informed Consent besonders bei der Informationsvermittlung und beim Informationsverständnis sowie den klinischen Rahmenbedingungen, in denen Aufklärung und Einwilligung stattfindet, erhebliche Mängel auf (siehe Kap. 3.3). Die berechtigte Kritik am Prozeß des Informed Consent vermag prinzipiell jedoch nicht den medizinethischen Ansatz des Respekts vor der Selbstbestimmung des Patienten (Autonomie-Prinzip) in Zweifel stellen. Das Festhalten am medizinethischen Modell des Informed Consent und die Forderung nach Verbesserung des Prozesses der Aufklärung und Einwilligung innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung schließen sich nicht aus, sondern müssen in der medizinischen Praxis gemeinsam berücksichtigt werden.
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Vollmann, J. (2000). Ethische Probleme des Informed Consent-Konzeptes. In: Aufklärung und Einwilligung in der Psychiatrie. Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie, vol 96. Steinkopff, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-53783-7_4
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-642-53783-7_4
Publisher Name: Steinkopff, Heidelberg
Print ISBN: 978-3-642-53784-4
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