Zusammenfassung
Ich stelle an den Schluß meiner Darstellung die Fälle der Verjährung und Begnadigung. Dogmatisch haben wir es hier mit Strafaufhebungsgründen zu tun1, die sich auf alle strafbaren Handlungen einschließlich der Erscheinungsformen des Versuchs, der Teilnahme und der Konkurrenz erstrecken, deren Kenntnis daher voraussetzen. Dem Wesen nach bedeuten Verjährung und Begnadigung den Verzicht des Staates auf Bestrafung. Er beruht auf staatsund kriminalpolitischen Rücksichten, die bei der Verjährung zur allgemeinen Strafaufhebung kraft Gesetzes, bei der Begnadigung zur Zulassung der Aufhebung durch Staatsakt geführt haben.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Referenzen
Vgl. dazu oben S. 383/84.
An Literatur hebe ich hervor: Dambach: Beiträge z. Lehre v. d. Kriminalverjährung, 1860; Geib: Lehrb. II, 1862 S. 135 (beide mit Quellen bzw. Literaturnachweisen für die frühere Zeit); v. Schwarze: Z. Lehre v. d. Verjährung, 1867; Heinze in H. H. II, 1871, S. 594ff.; H. Ä. Lschner: Gem. Strafr. I, 1881, S. 693ff.; v. Risch: GerS. 36, 1884, S. 241 ff.; Binding: Handb. I, 1885, S. 808ff. und dagegen v. Risch: Z. 9, 1889, S. 235 ff.; Löning: V. D. Allg. T. I, 1908, S. 384ff.; v. Bar: G. u. S., III, 1909, S. 382ff. (beide auch geschichtlich wertvoll). Schwartzkopf: Z. Rechtfertigung d. Kriminalverjährung, 1910 (Referat Kriegsmann: Z. 31 S. 715); Lourie: Strafr. Abh. 1914, H. 178 (Referat Rittler: Z. 36 S. 635). Mehrfache Dissertationen siehe bei v. Liszt und Allfeld. Zu den Entwürfen vgl. meine Kritiken Z. 42 S. 547; Z. 47 S. 61; Oetker: Reform I, 1910, S. 279ff.; Sauer: GerS. 91, 1925, S. 441 ff.; Graf Dohna: Reform, 1926, S. 205ff.
Denn wenn die Aburteilung gelingt, ist meist auch anschließende Vollstreckung durchführbar.
Oder höchstens ausnahmsweise.
Anders vielleicht bei schwerer Tat. Die Blutrache konnte sich evtl. durch Geschlechter fortsetzen (vgl. Bd. I S. 41, 103 Anm. 1).
Vgl. Bd. I S. 51 (allgemeingeschichtlich); S. 951 (Italiener); S. 1136 (fränkisch); S. 128/29 (Mittelalter); S. 178 Anm. 3 (Bambergensis; nicht Carolina).
Vgl. dazu näher Bd. I 7F.
Schon auf dem Prätorischen Edikt beruht die einjährige Klagenverjährung bei den delicta privata der iniuria und calumnia; dazu kam fünfjährige Verjährung der öffentlichen Klage nach der lex Julia de adulteriis, 18 v. Chr. (vgl. Bd. I S. 64), ferner beim furtum publicum (Entstehungszeit unbekannt). — Über einen Fall von Verfolgung nach 37 Jahren vgl. Bd. I S. 76 Anm. 11.
Entsprechend der Verjährung fiskalischer Ansprüche; vgl. Allfeld: S. 304 Anm. 8.
Vgl. näher Bd. I S. 151 und His daselbst.
Vielfach auch kürzere Fristen; bei Notzucht allgemein Erfordernis sofortiger Klage.
Vgl. Hinschius: Kirchenrecht, Bd. V S. 145, 667, 943.
Vgl. dazu Bd I S 178
Vgl. Bd I S 208ff
Vgl. v. Bar: a. a. O. S. 383.
Practica. Pars III, Quaestio 141, An et quanto tempore delicta praescribantur. Vgl. dort die zahlreichen Zitate der Italiener.
a. a. O. Nr. 9: Ut dubium prorsus non sit, quin per vicennalem praescriptionem delicta tam publica quam privata tollantur. Das habe auch (vgl. Nr. 11 ff.) im Sachsenrecht zu gelten, dessen praescriptiones (Jahr und Tag) nur für causae civiles gelten und ad causas criminales haudquaquam extendi debent. In casibus jure Saxonico non expressis recurrendum sit ad dispositionem iuris communis. Es folgen nähere dogmatische Erörterungen über Bedeutung und Wirkung der Verjährung.
Vgl. Nr. 40; ebenso stuprum, fornicatio (Nr. 46), nicht aber Inzest (Nr. 49). Für wörtliche Beleidigung einjährige Frist (Nr. 58).
So Häresie, Apostasie, Parricidium, Assassinium, Geldfälschung, Kindesunterschiebung; vgl. Nr. 52, ebenfalls an die Italiener anschließend.
Vgl. Nr. 53.
Vgl. Bd. I S. 254 (dort Druckfehler in Anm. 8: Nicht 10, sondern 20 Jahre).
Vgl. Bd. I S. 232.
Das römische und gemeine Recht hatten die Verjährung in Strafsachen analog derjenigen in Zivilsachen als Mittel betrachtet, um im öffentlichen wie privaten Interesse Ruhe eintreten zu lassen. Jetzt sucht man nach tieferer theoretischer Begründung aus der Vernunft und kommt dabei überwiegend zur Ablehnung. Grundsätzlich insbes., weil die Strafe notwendige Verbrechensfolge sei (Strafpflicht des Staates), praktisch, weil die Aussicht auf Straffreiheit gefährlich wirke. Vgl. näher Geib: a. a. O. S. 136; Löning: a. a. O. S. 405ff. — Dementsprechend beseitigt das Str Gb. Josephs II. v. 1787 § 183 die Verjährung völlig. Das Preuß. Landrecht 1794 II 20 § 63 gibt nur Anspruch auf Begnadigung, wenn der Verbrecher verborgen geblieben, aber seit mehreren Jahren überzeugende Beweise einer gründlichen Besserung gegeben hat.
Im Lehrbuch (2. Aufl., 1803, S. 58 ff.) bezweifelt Feuerbach eine „besondere politische oder rechtliche Ursache“ der Verjährung (die offenbar lediglich in Analogie der privatrechtlichen Klagenverjährung entstanden sei). Er stellt sie aber als gemeinrechtliches Institut dar. In der Kritik des Kileinschrodschen Entwurfs, 1804, S. 241/42 scharfe Ablehnung vom Boden seiner Theorie des psychologischen Zwanges (vgl. Bd. I S. 293). „Das stärkste Hindernis der Wirksamkeit der Strafgesetze ist die Hoffnung der Straflosigkeit... Der Staat wirkt daher offenbar dem Zwecke seiner Strafgesetze entgegen, wenn er... in die Wagschale dieser Hoffnung noch neue Gewichte legt.“ Für die Verjährung „einen vernünftigen Grund aufzufinden“ haben „unsere Kriminalisten sich bisher vergebens bemüht“.
Art. 139: „Der Ablauf einer bestimmten Zeit ist für sich allein kein Rechtsgrund, um das Verbrechen und dessen Strafe zu tilgen.“ Freisprechung aber (vorbehaltlich Privatgenugtuung) soll eintreten, wenn der Täter dem Gericht unbekannt geblieben bzw. seine Verfolgung durch Schuld des Richters unterlassen worden und ferner der Übertreter „ununterbrochen gute Aufführung bezeigt hat“. Die Fristen (Art. 140) sind 2, 5, 10 und 20 Jahre. — Auf das Wohlverhalten des Täters stellt auch ab Österreich, StrGB. von 1803, I § 206ff., II §§ 274ff. Daran anschließend StrGB. von 1852.
Vgl. darüber eingehend LöNing: a. a. O. S. 416ff.
Mittels der prozessualen Konstruktion, daß aus dem rechtskräftigen Urteil eine actio iuclicati gegen den Verurteilten entstehe, auf die man dann die römische dreißigjährige Klagenverjährung anwandte.
Code pénal von 1791 und code des délits et des peines von 1795.
Art. 635–643. Maßgebend, wie früher, lediglich Zeitablauf. Verschiedene Fristen für crimes, délits und contraventions (10, 3 bzw. 1 Jahre); ür Vollstreckungsverjährung ungefähr doppelt so lang. Unterbrechung bei crimes und délits durch jede Verfolgungshandlung, damit Beginn neuer Verjährung; Ruhen der Verjährung (so die Praxis) während gesetzlicher Hindernisse bzw. tatsächlicher höherer Gewalt. Bei Preßdelikten sechsmonatliche Frist.
Vgl. dazu Löning: a. a. O. S. 425ff.
So Hannover 1840, Hessen 1841, Preußen 1851, Oldenburg 1858.
Ausschluß bei Todes- bzw. lebenslanger Zuchthausstrafe in Sachsen (1838, 1855, 1868), Braunschweig 1840, Baden 1845, Thüringen 1855, Bayern 1861. Einschränkungen bei Flucht bzw. neuen Verbrechen in Württemberg 1839, Sachsen, Baden, Bayern.
Ausschluß von Todes- bzw. lebenslanger Zuchthausstrafe in Sachsen, Hannover, Thüringen, überwiegend Braunschweig. Unterbrechung durch neue schwerere Delikte in Württemberg und Bayern. Ausschluß bei Flucht nach Unterbrechung der Verjährung in Hannover, Preußen, Oldenburg.
In Württemberg, Preußen, Oldenburg, Bayern schließen sie an die Dreiteilung in Verbrechen, Vergehen, Übertretungen an.
Bei den schwersten Verbrechen meist die alte gemeinrechtliche Frist von 20 Jahren. In Preußen bei Todesstrafe 30 Jahre.
Über Ruhen der Verjährung finden sich nur vereinzelt Vorschriften.
Vgl. § 66: „Durch Verjährung wird die Strafverfolgung und die Strafvollstreckung ausgeschlossen.“
Die Motive (Reichstagsvorlage §§ 64–70) berufen sich für die Zulassung der Vollstreckungsverjährung auf die Wissenschaft und die Mehrzahl der Partikularrechte, für die ausnahmslose Verjährung der Strafverfolgung auf die Wissenschaft und fast alle neueren Gesetze.
Vgl. näher Löning: a. a. O. S. 450ff.. Ausnahmen: Das von der Rezeption nicht berührte englische Rechtsgebiet ist auf dem Standpunkt des Mittelalters stehen geblieben. Es kennt keine allgemeine Verjährung, sondern nur Fristen für die Verfolgung in einzelnen Spezialgesetzen. Rückständig sind auch Schweden, Str Gb. 1864 und Gesetz von 1890 (Verjährung nur bei Strafen bis zu 2 Jahren Zuchthaus) und Dänemark, Str Gb. 1866 (keine Vollstreckungsverjährung; Verfolgungsverjährung nur bei geringeren Delikten; statt dessen ist Eingreifen des Justizministeriums im Einzelfalle nach 10 Jahren betr. Verfolgung und Vollstreckung zulässig.)
Vgl. dazu näher insbes. Geib, Löning, v. Bar: a. a. O.
D. h. die Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit gesicherter und gerechter Beweisf ührung nach langer Zeit. So bereits (unter der Herrschaft der gesetzlichen Beweistheorie) Lauterbach: de crim. praescr. 1655 (vgl. näher LÖning: a. a. O. S. 405/06); so neuerdings noch in scharfer Einseitigkeit Binding: Handb. I S. 823. — Diesem Gesichtspunkt entspricht in gewissem Umfang die Zulassung der Unterbrechung der Verjährung durch Strafverfolgung.
So bereits Pufendorf: de iure naturae et gentium, 1672. Heute herrschende Ansicht.
So schon Engau: Verjährung, 1760. Dem entsprechen dann Forderungen an gute Führung des Täters; vgl. oben S. 553 Anm. 6, 8. Für Österreich wurde dieser Standpunkt noch 1891 von Lammasch: Studien z. Strafgesetzentw. mit Entschiedenheit vertreten; vgl. mein Referat Z 12 S. 927. Siehe dazu auch unten S. 558 Anm. 3.
Vgl. näher Löning: a. a. O. Es ist klar, daß dieser Gesichtspunkt keine entscheidende, sondern höchstens unterstützende Bedeutung haben kann. Denn er kann zwar zutreffen, ebensowohl aber fehlen. Und er entzieht sich in breitem Umfang der Feststellung. Entsprechendes gilt von der vermuteten Besserung des Verbrechers. Macht man sie nicht zum Tatbestandserfordernis des Einzelfalles, so läuft sie in breitem Umfang auf eine Fiktion hinaus.
Vgl. oben S. 554 Anm. 7, 8. Unerwünschten Härten im Einzelfalle müßte dann die Begnadigung abhelfen. Vgl. aber unten S. 557 Anm. 4.
Die neueste Reichskriminalstatistik für 1926 weist 712, 391 Urteile wegen Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze auf.
Der Versuch, auch hier mit Beweisvergänglichkeit zu arbeiten, wurde seinerzeit unternommen in einer auf Anregung Ziebarths verfaßten Göttinger Dissertation: Rindfleisch: D. Verjährung d. Strafvollstreckung, 1892; vgl. dagegen meine Kritik Z. 12 S. 921.
Vgl. darüber Bd. I § 21 S. 457ff.
Vgl. dazu Bd. I § 22 S. 490 ff.
Vgl. dazu bereits Bd. I S. 510.
Dieser Gesichtspunkt insbes. kommt auch bei schwersten Verbrechen zugunsten der Verjährung in Betracht. Im übrigen haben wir es hier mit besonders langen Zeiträumen (20 bzw. 30 Jahren) zu tun.
Ein sehr anschauliches Beispiel dafür ist hier die kurze (6monatliche) Verjährungsfrist für Preßdelikte, die der zwar hohen aber vorübergehenden Bedeutung der Tagespresse entspricht.
Unnötige Strafen aber sind verwerflich. Vgl. Bd. I S. 492/93.
Daß dies in Einzelfällen anders liegen kann, ist möglich. Die erforderliche allgemeine Regelung aber kann, wie schon oben betont, nur nach Durchschnittsmaßstäben erfolgen.
In diesem Sinne sprach sich einstimmig auch der 24. deutsche Juristentag, Sept. 1898, dafür aus, daß die Verfolgungsverjährung, wie bisher, nur an Zeitablauf, nicht an die Bedingung des Wohlverhaltens geknüpft werde (dies wollte das Gutachten von Lammasch). Letztere Feststellung würde eingehende gerichtliche Untersuchung über Täterschaft und späteres Wohlverhalten in jedem Einzelfalle fordern, bloß um zu ermitteln, ob Verjährung vorliege. Damit würde jedesmal die ganze Sache aufgerührt und so der Hauptzweck der Verjährung, nicht mehr an alte Dinge zu rühren, vereitelt werden. — Über die Gutachten von Lammasch und Hoegel vgl. mein Referat Z. 19 S. 303.
Denn hier ist die Tat und das Gedächtnis an sie zunächst bereits durch Prozeß und Urteil festgehalten.
Anders zunächst Rg. E. 12, 434 (materieller Charakter, deshalb Freisprechung). Dann mehrfache Betonung des gemischten Charakters, vgl. E. 32, 251; E. 46, 274; E. 59, 199, insbes. aber E. 41, 167/68: Nicht-Ablauf Prozeßvoraussetzung, deshalb Einstellung des Verfahrens. Vgl. dazu über den entsprechenden Fall der res iudicata E. 41, 153ff. Hier sagt das Rg.: „Die Frage, ob ein Strafverfahren prozessual zulässig ist, geht der Frage voran, ob in dem Strafverfahren materiell eine Strafe verhängt werden darf.“ In gleichem Sinne insbes. Frank § 66 II; M. E. Mayer: S. 522; Olshausen § 66 Nr. 7, 8; Lobe: § 66 Nr.1; LöWerosenberg: StrPrO. 16. Aufl., 1925, Buch II Abschn. 1 Nr. 17b; Sauer: Grundlagen d. Prozeßrechts, 1929, S. 330ff. Dagegen für Freisprechung (also materielirechtlich) insbes. v. Liszt; v. Liszt- Schmidt, Löning, v. Bar: a. a. O., Allfeld: S. 303. Mir scheint für die erstere Auffassung (Einstellung des Verfahrens) vor allem auch das kriminalpolitische Bedürfnis zu sprechen: Mit der Freisprechung verbindet sich rechtlich wie für das Volksbewußtsein regelmäßig der Gedanke der Reinigung des Täters (mindestens im Sinne der Nicht-Beweisbarkeit der Tat oder bei Strafaufhebung wegen Rücktritts vom Versuch und tätiger Reue im Sinne der Anerkennung von Wohlverhalten). Solche Reinigung aber widerstreitet hier den Tatsachen und verletzt damit zugleich das Rechtsbewußtsein. Auch der Wortlaut des Gesetzes (StrGB. § 66 Ausschluß der „Strafverfolgung“) wie die Motive (Verjährung der Strafklage) sprechen für obige Auslegung.
Das Reichsgericht vermeidet eine solche Fassung.
So ist es Verstoß gegen materielles Recht, wenn die Strafaufhebung durch Verjährung zu Unrecht verneint wurde. Deshalb ist Revision hiergegen auch dann zulässig, wenn sie wegen prozeßrechtlicher Verstöße ausgeschlossen ist. Vgl. Rg. E 59, 199 (und dort zit. frühere). Siehe ferner unten S. 561 Anm. 5; 562 Anm. 1; 568 Anm. 7.
Beseitigt wurde damit in Ubereinstimmung mit der Mehizahl der neueren Gesetze (so die Motive S. 59 zu § 65 Entw.) die in Preußen (1851) erfolgte Erhöhung auf 30 Jahre für todeswürdige Verbrechen.
Ergebnis (StrGB. § 67): Falls angedroht ist: Tod oder lebenslanges Zuchthaus: 20 Jahre; Freiheitsstrafe über 10 Jahre: 15 Jahre; geringere Verbrechen: 10 Jahre; Vergehen bei Androhung von Gefängnis über 3 Monate: 5 Jahre, sonst 3 Jahre; Übertretungen: 3 Monate.
Wichtig Preßgesetz v. 1874 § 22: 6 Monate; vgl. oben S. 557 Anm. 5; ferner insbes. Steuergesetze. Vgl. auch Einf. Ges. z. StrGB. § 7 (für Branntweinsteuer, Biersteuer, Postgefälle 3 Jahre).
Vgl. StrGB. § 70. Die dazwischenliegenden Fristen sind: Bei Zuchthaus oder Festungshaft über 10 Jahre: 20 Jahre; Zuchthaus bis 10 Jahre, Festungshaft von 5–10 Jahren, Gefängnis über 5 Jahre: 15 Jahre; Festungshaft oder Gefängnis von 2–5 Jahren: 10 Jahre; bei geringerer Dauer oder bei Geldstrafe über 150 M.: 5 Jahre.
Vgl. darüber näher meine Darstellung Z. 37, 1916, S. 7 ff.; dazu oben S. 174.
So insbes. Kitzinger: Ort u. Zeit, 1902, S. 203ff.; V. 1). Allg. T. 1, 1908, S. 150/53, 191/95; Löning: daselbst S. 429, 436ff.; Wach: daselbst Vi S. 13; v. Bar: G. u. S. III, S. 402 ff.; v. Liszt: S. 279; v. Liszt/Schmmidt: S. 439; Allfeld: S. 306; Wachenfeld: S. 291; Frank: § 67 II; Lobe: § 67, II.
Vgl. näher darüber meine oben Anm.1 zit. Arbeit. In Preußen (Str Gb., 1851, § 46) begann die Verjährung „mit dem Tage des begangenen Verbrechens oder Vergehens“. Danach wurde allgemein der Erfolg als maßgebend betrachtet. Oppenhoff: Komm., 2.Aufl., 1858, § 46 Nr.10 rechnet unter diesen Begriff auch die endgültigen Folgen des Delikts (Eintritt von schwerer Verletzung, Tod usw.). Zur heutigen Fassung des StrGB. erklären die Motive, sie „erledigt einen Zweifel“. Ein anderer Zweifel aber bestand, soviel ich sehe, nicht. Auch wird kein Gesetzgeber mit einer solchen Begründung die Annahme eines dem durchaus herrschenden direkt entgegengesetzten Prinzips rechtfertigen, das bisher nur in einem einzigen deutschen Staate (Sachsen) bestand. Vgl. dazu auch die nähere Begründung in Rg. E. 5 S. 282ff.
Dem entspricht es, daß die Motive zur Reichstagsvorlage statt „Tat“ mehrfach „Verbrechen“ sagen. Ferner bezeichnet in §§ 61, 63, 71 StrGB. das Wort „Handlung die strafbare Handlung.
Von Frank (§ 67 II), der, wie erwahnt, den Augenblick der der Handlung fü ;r maßgebend erklärt, wird obiger Standpunkt jetzt scharf bekämpft. Im Anschluß an Wach spricht er von „Vergewaltigung des Gesetzes durch unberechtigten Doktrinarismus“. Darauf ist zu erwidern: Es handelt sich um die Frage, ob eine bloße Wortauslegung des Gesetzes ohne Rücksicht auf Entstehungsgeschichte und Zweck maßgebend sein darf. Die Antwort lautet hier wie anderwärts: Nein, so lange der Wortlaut auch eine verständige Auslegung ermöglicht. In solchen Fallen ist es anerkanntermaßen die Aufgabe der sog. logischen Interpretation, die bloß grammatische einschränkend oder ausdehnend zu berichtigen. Doktrinär wäre eine Auslegungsmethode, die darauf verzichtet. Frank selbst erklärt zu der heutigen Uesetzestassung: „Einer ausurucklichen Bestimmung bedurfte es deshalb, weil hiernach die Verjährung bereits vollendet sein kann, bevor die Strafbarkeit begonnen hat.“ Kritik: Darf man einem Gesetzgeber wirklich zutrauen, daß er den bisherigen Rechtszustand grundlegend ändert, um ein sachlich derart fernliegendes und verfehltes, dem materiellen Wesen der Verjährung, das gerade auch Frank anerkennt, widerstreitendes Ziel zu erreichen ? Noch dazu ohne ausdrückliche Erklärung der Motive ? Bloß deshalb, weil eine solche Konstruktion — so Frank — prozessual möglich ist ?
Insbes. Binding: Handb. I S. 834ff.; Grundriß, S. 304/05; Oppenhoff 14. Aufl., 1901, § 67 Nr. 4ff.; Olshausen: 10. Aufl., 1916, § 67 Nr. 9 (dagegen jetzt 11. Aufl., 1927, daselbst).
Die grundsätzliche Formel des Rg. lautet: Ausnahme in den Fällen, „wo der strafbare Charakter einer bereits vorliegenden strafbaren Handlung sich definitiv erst durch den noch unbestimmten schließlichen Erfolg entscheidet“. So E. 5, 283; wörtliche Wiederholung in E. 21, 228; E. 42, 171. Außer Betracht bleiben danach die ein vollendetes Grunddelikt näher qualifizierenden Folgen (§ 224, 226, entsprechend bei gemeingefährlichen Delikten usw.). Im übrigen müssen sämtliche Deliktsmerkmale gegeben sein (vgl. E. 21, 228; E. 26, 261; E. 33, 230; E.42, 171). Maßgebend daher bei Betrug der Eintritt der Vermögensbeschädigung (E. 42, 171; E. 62, 419, des letzten Teilerfolgs); bei Erpressung die Zahlung der erpreßten Summe (E. 33, 230), bei StrGB. § 271 die erfolgte Beurkundung (E. 21, 228; E. 40, 402); bei StrGB. § 330 die Vollendung und Abnahme des Baues (E. 26, 261), bei fahrlässiger Brandstiftung der Ausbruch des Brandes (E. 9, 152; E. 26, 261, beide betr. unvorsichtige Heizungsanlage, durch die erst nach Jahren ein Brand entstand). Bei Bankrottdelikten die die Strafbarkeit bedingende Konkurseröffnung bzw. Zahlungseinstellung (E. 3, 350, E. 5, 283). Beim Versuch ist maßgebend die Ausführungshandlung (E. 42, 171; Täuschung bei § 263). Teilnahme und mittelbare Täterschaft können erst verjähren, wenn es zu Ausführungshandlungen kam. Denn vorher fehlt eine strafbare Handlung. So betr. Anstiftung E. 5, 283. Wird das Delikt vollendet, so ist erst dieser Zeitpunkt maßgebend, vgl. E. 41, 17. Beim fortgesetzten Delikt ist der letzte Akt entscheidend (E. 10, 203; E. 14, 145; E. 25, 207; E. 40, 406; E. 38, 387; E. 59, 289; E. 62, 214). Gleiches gilt für Kollektiv delikte (E. 8, 394). Bei Dauerverbrechen, z. B. Freiheitsberaubung, ist das Aufhören des rechtswidrigen Zustandes maßgebend (E. 22, 161, betr. Wehrpflichtsverletzung; E. 44, 429). Omissivdelikte verjähren in dem Augenblick, wo die Pflicht zum Handeln wegfällt (E. 8, 394; E. 9, 353; E. 59, 7; E. 62, 214 und dort Zit.), Komissivdelikte durch Unterlassung wie sonstige Erfolgsdelikte. Für Preßdelikte ist der Moment der Verbreitung entscheidend (E. 32, 69; E. 35, 270; E. 61, 30, vorbehaltlich Strafbarkeit nach allgemeinen Grundsätzen).
Vgl. meine Arbeit Z. 37 S. 10 Anm. 59.
Vgl. StrGB. § 171 Abs. 3 (Bigamie); ferner Nebengesetze.
Vgl. StrGB. § 69 Abs. 2: „Ist zur Strafverfolgung ein Antrag oder eine Ermächtigung nach dem Strafgesetz erforderlich, so wird der Lauf der Verjährung durch den Mangel des Antrags oder der Ermächtigung nicht gehindert.“ Auch hier kommt der materielle Charakter der Verjährung zum Ausdruck. Andernfalls könnte sie erst von dem Augenblick der Antragstellung laufen; denn dann erst ist eine Aburteilung prozessual möglich.
Vgl. Rg. E. 46, 274; ebenso bereits E. 32, 251 (betr. Ruhen der Verjährung). Auch hier handelt es sich um materiellrechtliche Auffassung. Demgemäß betonen beide Urteile, daß die Verjährung nicht lediglich prozessuale Bedeutung habe.
Vgl. E. 61, 30; dazu oben S. 382.
Vgl. E. 41, 17; E. 59, 184; dazu StrGB. § 68, unten S. 564 Anm. 2. Abzulehnen ist E. 36, 350, wonach bei wegen Zusammenhangs verbundener Sache der Haftbefehl gegen einen Mitschuldigen auch Unterbrechung der Verjährung gegenüber dem andern bewirken soll. Dagegen bereits M. E. Mayer: S. 527, Frank: § 68 III.
Vgl. E. 47, 388; E. 57, 140 (betr. § 1763 und 173 Abs. 2). Dazu oben S. 522.
Vgl. E. 47, 388. So hiernach auch, wenn Bestrafung auf Grund des speziellen Gesetzes wegen mangelnden Strafantrags oder wegen Verjährung nicht möglich ist. Anders dagegen, wenn der Tatbestand des speziellen Gesetzes (hier wegen mangelnder Schuld, mangelnder Einsicht der Jugendlichen) in concreto überhaupt nicht vorliegt.
Durchaus herrschende Ansicht: Vgl. Allfeld: S. 306; Frank: § 67 I, Olshausen: § 67 Nr. 2; Lobe: §.67 Nr. 4 und dort Zitierte.
Ebenfalls anerkannt; vgl. oben.
Dagegen v. Liszt: S. 278; v. Liszt/Schmidt: S. 439. Im übrigen für Versuch und Beihilfe durchaus herrschende Ansicht; vgl. oben Anm. 6. Dagegen wird überwiegend abgelehnt die Berücksichtigung der Strafmilderung für jugendliches Alter. So Rg. E. 3, 52. Allfeld, Frank, Olshausen, Lobe a. a. O. und dort Zitierte. Mir scheint dies dogmatisch wie kriminalpolitisch unbegründet. Wenn das zit. Rg. Gewicht darauf legt, daß die Dreiteilung in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen auch für Taten Jugendlicher gelte, so trifft dasselbe für Versuch und Beihilfe zu. Die Behauptung ferner, daß bei der Verjährung nur die objektive Tat, nicht subjektive, in der Person des Täters liegende Gründe maßgebend seien, widerlegt sich durch den Hinweis auf Gewerbs-, Gewohnheitsmäßigkeit und Rückfall. Die weitere Annahme (vgl. Allfeld), daß von Strafmilderungsgründen nur diejenigen des besonderen Teils maßgebend seien, scheitert an den Fällen des Versuchs und der Beihilfe. Kriminalpolitisch endlich ist zu betonen: Ist die Verjährung überhaupt, wie anerkannt, ein berechtigtes Institut, so rechtfertigen sich gerade hier geringere Fristen für Jugendliche. Dem Jugendlichen verzeiht man sachlich wie zeitlich — und mit Recht — seine Sünden viel eher als dem Erwachsenen. Und es ist gerade hier besonders zweischneidig, den Erwachsenen zu strafen für das, was er in der Jugend verbrach. Im Ergebnis mit mir übereinstimmend insbes. Binding: Handb. I S. 846; Löning: a. a. O. S. 436 Anm.
Vgl. oben S. 547 Anm. Dagegen wirken verjährte Taten nicht rückfallsbegründend im Sinne des §§ 24, 250 Nr. 5, 261 StrGB., weil sie zu keiner Be strafung führten.
Vgl. StrGB. §§ 188, 231. Ebenso Rg. E. 44, 296; Olshausen: § 67, Nr. 6, Lobe: § 67 Nr. 6. — Frank: § 67 IV will hier die dreijährige Verjährungsfrist des Bgb. § 852 anwenden. Das liegt nahe, weil die Buße im Wesen Schadensersatz ist. Trotzdem scheint mir der prozessuale Gesichtspunkt durchschlagend, den das Rg. geltend macht: daß die zivilrechtliche Verjährung nur eine Einrede begründet, für solche Konstruktion aber im Strafprozeß kein Raum sei.
Der anschließende Satz 2 lautet: „Ist der Beginn oder die Fortsetzung eines Strafverfahrens von einer Vorfrage abhängig, deren Entscheidung in einem anderen Verfahren erfolgen muß, so ruht die Verjährung bis zu dessen Beendigung.“ Vgl. als Beispiel StrGB. § 191. Diese Bestimmung ist sachlich lediglich ein Spezialfall des obigen ersten Satzes, daher überflüssig. Sie erklärt sich geschichtlich. Ursprünglich stand im Gesetz nur dieser zweite Satz. Das Ergebnis war, daß das Reichsgericht (E. 23, 185) einen Reichstagsabgeordneten (wegen Preßdelikts) für straffrei erklären mußte, weil die Verjährungsfrist während seiner Immunität als Abgeordneter nicht ruhte, sondern ablief. Zur Beseitigung dieses Mißstandes wurde sehr berechtigterweise durch G. v. 26. März 1893 der obige allgemeine Grundsatz geschaffen. Man unterließ aber die Streichung des nun überflüssigen zweiten Satzes, der jetzt nur ein Beispiel für den ersten ist (vgl. auch Allfeld: S. 307).
Vgl. E. 32, 250 (die Verjährung ruht, wenn auf Grund Auslieferungsvertrages der Ausgelieferte zeitweilig gegen Verfolgung wegen anderer Delikte geschützt ist, hinsichtlich der letzteren). Dagegen kein Ruhen bei Einberufung zum Kriegsdienst: E. 52, 56 (weil die Aussetzung der Verhandlung hier auf billiger Berücksichtigung der erschwerten Verteidigung, nicht auf einem gesetzlichen Hindernis der Strafverfolgung beruht). Ebensowenig bei Geisteskrankheit nach der Tat oder Abwesenheit: E. 52, 36 (weil hier Verfolgung möglich, nur Durchführung der Hauptverhandlung ev. unmöglich ist; letzteres bei Abwesenheit gemäß StrPO. § 277 (319), bei Geisteskrankheit, falls Verhandlungsunfähigkeit vorliegt). Vgl. ferner E. 58, 264: Nach Sächsischem Recht dauert (abweichend von der Reichsverfassung) die Immunität, daher das Ruhen der Verjährung, während der ganzen Wahlperiode (nicht nur der Sitzungsperiode); E. 59, 200: Die Verjährung ruht nach § 191 Str Gb. nur hinsichtl. derjenigen Person, gegen die ein Strafverfahren eingeleitet ist. Anders, wenn durch eine Beleidigung Mehrere verletzt und nur gegen Einzelne dieser Verletzten gemäß § 191 StrGB. das Strafverfahren eingeleitet wurde. Da nach „sachlichem“ (also materiellem) Recht für die eine Beleidigung nur eine Strafe erkannt werden kann, ruht hier die Verjährung hinsichtlich der gesamten Tat, also gegenüber allen Beleidigten.
Vgl. StrGB. § 68: Jede Handlung des Richters, welche wegen der begangenen Tat gegen den Täter gerichtet ist, unterbricht die Verjährung. „Die Unterbrechung findet nur rücksichtlich desjenigen statt, auf welchen die Handlung sich bezieht“ (vgl. oben S. 562 Nr. 5). „Nach der Unterbrechung beginnt eine neue Verjährung.“
Reichstagsvorlage S. 59.
Mitgespielt haben dabei wohl auch einseitige Berücksichtigung des Gedankens der Beweisvergänglichkeit (vgl. oben S. 555 Anm. 5) und zivilrechtliche Analogien. Wenn Frank § 68 I den Grund darin finden will, daß es dem Schuldigen nicht zum Vorteil gereichen soll, wenn er es versteht, sich der Justiz zu entziehen, so wäre die ganze Verjährung unberechtigt. Denn dieses Streben hat, Ausnahmen vorbehalten, jeder Beschuldigte.
Die nur bei zu kurzen Fristen begründet wäre. Als solche betrachte ich die Dreimonatsfrist bei Übertretungen.
Und die überdies zufällige und willkürliche sind, je nachdem die Verfolgung zeitlich früh oder spät eintritt. Im letztern Falle ergeben sich schon bei einmaliger Unterbrechung annähernd verdoppelte Fristen.
So mit Recht Bornhak: Jur. Ztg. 6, 1901, S. 489.
Bornhak: a. a. O. berichtet den unglaublichen Fall, daß der Chef einer größeren Staatsanwaltschaft den ihm untergeordneten Beamten geradezu die Verhängung von Disziplinarstrafen angedroht habe, wenn er bemerke, daß sie irgendeine Sache hätten verjähren lassen. Ferner, daß Amtsvorsteher und Bürgermeister polizeiliche Strafverfügungen zurücknehmen und später erneut erlassen, um so die Verjährung zu unterbrechen. Vgl. dazu unten S. 566 Anm. 4.
So bereits Oberlandesgerichtsrat Kress: GerS. 71, 1908, S. 85ff., über „natürliche“ und „künstliche“ Unterbrechung der Verjährung, mit dem Ergebnis, daß letztere nichtig sei. Daran anschließend Frank (§ 68 II am Schluß). Gegen die Zulässigkeit künstlicher Unterbrechung auch die bei Kress angegebenen Beschlüsse des Oberlandesgerichte Cassel v. 1894 (Goltd. Arch. 42 S. 264) und Köln von 1889 (Rhein. Archiv 80, II, S. 75). In der Literatur besteht hinsichtlich der Nichtigkeit Meinungsverschiedenheit; vgl. näher Kress. Für Zulässigkeit Oberlandesgericht Marienwerder 1899 (Goltd. Arch. 46 S. 347). Bei Bornhak: a. a. O. mit Recht schärfste Verurteilung der künstlichen Unterbrechung als Handeln „ nicht nur gegen den Sinn des Gesetzes, sondern geradezu in fraudem legis“. Trotzdem die Behauptung, daß „äußere Legalität“ gegeben und deshalb die Unterbrechung wirksam sei. Unrichtig dabei schon der grundsätzliche Ausgangspunkt: „Das staatliche Recht verjährt nicht, weil es gar nicht Gegenstand der rechtlichen Normierung ist“ (?).
Vgl. dort z. B. Hamm (Verh. S. 301): gegen diese „papierne“ Unterbrechung: Kein Institut in der Praxis habe sich schlechter bewährt, „als die Unterbrechung der Verjährung, wie sie tatsächlich gehandhabt wird. Sie ist in das StrGB. hineingekommen aus einer Art Feigheit, aus einer Angst vor den möglichen Folgen der Verjährung als eine Konzession an die Gegner der Verjährung. Wie das in der Praxis sich gestaltet hat, ist es wirklich eine Farce geworden“ usw. Der Juristentag beschränkte sich darauf, als Abhilf smittel die Bestimmung eines Endtermins für unterbrochene Verjährungen zu empfehlen.
Ebenso die Entwürfe; vgl. unten S. 569.
In E. 30, 202 weist das Rg. den Einwand, daß das Vorgehen „zwecks Unterbrechung der Verjährung“ nur eine Scheinmaßnahme gewesen sei, als für den vorliegenden Fall unzutreffend zurück, ohne sich über die grundsätzliche Frage zu äußern. — In E. 41, 356 (1908) dagegen lag offensichtlich nur eine Scheinmaßnahme vor („behufs Unterbrechung der Verjährung“ hat der Amtsanwalt beim Amtsgericht beantragt, daß dieses (!) das Polizeipräsidium (!) um Vernehmungen ersuche; das hat das Amtsgericht —leider —getan). Das Rg. erklärt dies ohne Prüfung der Frage bloßer Scheinmaßnahme für ausreichend zur Unterbrechung der Verjährung.
Also weder eine solche des Staatsanwalts oder der Polizei noch eines anderen Richters; vgl. E. 29, 234 (nicht Zivilprozeß- oder Vormundschaftsrichter). Ebensowenig Strafantrag oder Privatklage vgl. Allfeld: S. 308; Frank: § 68 II. Wohl aber gemäß ausdrücklicher Vorschrift der StrPO. § § 413, 419 die polizeiliche Strafverfügung und der Strafbescheid. Vgl. ferner Reichsabgabenordn. 1919 § 384.
Nicht erforderlich ist deren nähere juristische Kennzeichnung; vgl. näher E. 30, 302.
Gerichtliche Handlungen gegen noch unbekannte Täter bewirken daher keine Unterbrechung; vgl. E. 6, 212.
Vgl. E. 56, 381; E. 62, 425 (bloße Wiedervorlegungsverf ügungen daher unwirksam; anders hier, weil die Verfügung zweifellos die Absicht der Terminsanberaumung ergab); E. 63, 321 (Sichtvermerk des Vorsitzenden genügend, weil hier sachlich Übersendungsverfügung an die Staatsanwaltschaft). Bedenklich E. 27, 81. Hier erklärte das Rg. den Beschluß auf vorläufige Einstellung wegen Abwesenheit als Unterbrechungshandlung, weil er prozessual nur zwecks späterer Fortsetzung erfolgen durfte.
Vgl. oben S. 562 Nr. 5.
Vgl. StrPO. §§ 127 Abs. 3, 130 (vorläufige Festnahme und Verhaftung).
Vgl. E. 6, 38: Zuständigkeit „in concreto“ nicht erforderlich. Hier aber bestand gerichtliche Zuständigkeit „überhaupt nicht“, die Handlungen waren daher „an sich “ untauglich zur Unterbrechung. Vgl. auch Frank: § 68 II 1.
Vgl. E. 60, 206 (anders nur, wenn die Gesamtstrafe, z. B. infolge Wiederaufnahme oder Begnadigung, aufgehoben und durch Einzelstrafe ersetzt ist). So schon bisher die herrschende Ansicht; dagegen Frank: §74 Nr. IV; Gerland: S. 219.
Anders die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte und die Polizeiaufsicht. Hier läuft die Frist erst vom Ablauf der Verjährung; vgl. StrGB. §§ 36, 38. Für die Bu ße wollen Frank (§ 70 III) und andere die 30jährige zivilrechtliche Verjährung anwenden. Siehe dagegen oben S. 563 Anm. 2.
Vgl. StrGB. § 72: „Jede auf Vollstreckung der Strafe gerichtete Handlung derjenigen Behörde, welcher die Vollstreckung obliegt, sowie die zum Zwecke der Vollstreckung erfolgte Festnahme des Verurteilten unterbricht die Verjährung. Nach der Unterbrechung der Vollstreckung der Strafe beginnt eine neue Verjährung.“
Vgl. oben S. 564/66.
Vgl. näher StrPO. § 451.
S. 278; ebenso v. Liszt/Schmidt: S. 442 (ohne Begründung).
Gegen v. Liszt auch Allfeld: S. 309 Note 49; LÖning: a. a. O. S. 449.
Vgl. betr. Landesrecht EinfG. StrGB. § 3; dazu oben S. 52 Anm. 4.
Eine solche kann natürlich auch durch anderweite Regelung des betr. Gebiets erfolgen. Es ist aber keine anderweite Regelung der Vollstreckungsverjährung, wenn für die Verfolgungsverjährung abweichende Vorschriften gegeben werden. Sonst müßte man z. B. auch behaupten, daß das Preßgesetz (§ 22) die Vollstreckungsverjährung beseitigt habe, was wohl auch v. Liszt schwerlich tun würde.
So ein Teil der Literatur; bei den namentlich in § 22 Einf G. erwähnten Sondergesetzen, auch das Rg., E. 2, 33; E. 30, 31; E. 45, 76; vgl. oben S. 53 Anm. 3, S. 55 Anm. 3.
Vgl. näher oben S. 52 ff. (55/56).
Mit Höchstmaß von Gefängnis bis zu 2 Jahren; vgl. EinfG. StrBG. § 5.
Vgl. auch unten S. 570 Anm. 4 (Entwürfe). So insbes. Frank: EinfG. § 2 V. Völligen Ausschluß des Landesrechts nimmt Binding an, vgl. Handb. I S. 313; Grundriß S. 302. Olshausen: § 66 Nr. 2, will materielle Abweichungen gestatten, prozessuale (insbes. Unterbrechung) gemäß EinfG. StrPO. § 6 dagegen nicht. Das Ergebnis wäre z. B.: Das Landesrecht könnte die Verjährung einfach beseitigen. Übernimmt es sie aber, so müßte es auch die prozessuale Unterbrechung des Reichsrechts übernehmen. Hier aber könnte es z. B. bestimmen, daß Unterbrechung gegenüber einem Beteiligten für alle wirkt; denn das ist eine materielle Frage (vgl. oben S. 562 Nr. 5). Solche Konstruktion ist, abgesehen davon, daß ich obigen Standpunkt für das materielle Recht grundsätzlich ablehne, auch praktisch unbefriedigend.
Vgl. auch unten S. 570 Nr. 4.
Vgl. dazu meine kritischen Besprechungen Z. 37 S. 11; Z. 42 S. 547ff.; Z. 47 S. 61.
Vgl. oben S. 560/61.
§ 123. Ebenso Entw. 1919 § 122; 1925 § 79. Schon der Vorentw. 1909 (§ 95 Abs. 1) erklärte mit Recht die Begehung der strafbaren Handlung für maßgebend.
Also z. B. bei StrGB. §§ 224, 226 erst der Augenblick der schweren Verletzung bzw. des Todes. Antrag v. Hippel Nr. 382 in der Strafrechtskommission. Annahme fast einstimmig, vgl. Prot. Nr. 66 (7. Nov. 1911) S. 11. — Über die Entwürfe 1913, 1919, 1925 vgl. näher oben Anm. 1; jetzt ebenso Entw. 1927 (§ 80) und die Reichstagskommission (erste Lesung).
Das gilt auch für Fahrlässigkeitsdelikte. Legt ein Baumeister eine Heizung feuergefährlich an und es entsteht dadurch nach Jahren ein Brand (vgl. oben S. 561 Anm. 2), dann mag das fahrlässige Bauen vergessen sein (deshalb insoweit evtl. Verjährung nach § 330 StrGB.). Das Interesse an Ahndung der Brandstiftung aber entsteht überhaupt erst mit dem Brandausbruch. Das ist auch nichts Erstaunliches; denn bei vorsätzlichem Handeln gilt genau dasselbe. Man nehme nur an, daß dem obigen Baumeister Vorsatz nachgewiesen wüde.
Vgl. oben S. 564/66.
„Wenn die besonderen Umstände des Falles es gebieten.“ Vgl. Entw. 1913 § 125; 1919 § 124; 1925 § 81; 1927 § 82.
Vgl. Entw. 1913 § 129; 1919 § 128; 1925 § 84; 1927 § 85. Kritik: Die Vollstreckungsbehörde (regelmäßig die Staatsanwaltschaft, vgl. StrPO. § 451) hat Strafen zu vollstrecken, aber nicht über die Bedeutung des begangenen Delikts und seiner Wirkungen zu entscheiden. Solche Entscheidung gebührt allein dem Gericht. Die Befugnis der Staatsanwaltschaft ist hier auch praktisch besonders gefährlich; vgl. oben S. 565/66.
Val. meine damaligen Anträge Nr. 382, 386.
Vgl. dazu oben S. 564.
Oben S. 569 Anm. 1.
Vgl. oben S. 564, 565 Anm. 1.
Vgl. Prot. 239 (29. April1913) S. 13/14. Beschluß mit allen gegen eine Stimme; vgl. dazu oben S. 568 Anm. 7.
An Literatur hebe ich hervor: Geib: Lerirb. II, 1862, S. H. H. II, 1871, S. 629ff.; Binding: Handb. I, 1885, S. 860ff.; Elsaß. Begnadigungsrecht, 1888 (Straßb. Dissert.); Edg. Löning: Jur. Ztg. 1, 1896, S. 429 ff.; Heimberger: D. landesherrl. Abolitionsrecht, 1901; Fritzschen: D. landesherrl. Abolitionsrecht, 1906 (Freib. Dissert.); Mendelssohn-Bartholdy: Abolition u. bedingte Entlassung, GerS. 71, 1908, S. 358ff. (englisches Recht); Delaquis: Begnadigung u. Rehabilitation, in Fleischmann: Wörterbuch d. Staats- u. Verwaltungsrechts, 1910, S. 374ff.; Fleischmann: Abolition, daselbst S. 50ff.; Gerland: Handwörterb. d. Rechtswissensch. I S. 570 ff.; Mamroth: Jur. Ztg. 16, 1911. S. 792; R. V. Hippel: Bedingte Niederschlagung gegen Kriegsteilnehmer, Z. 40. 1919, S. 433ff.; Lobe: S. 92ff.; Graf Gleispach: Gnade u. Recht, Österr. Richterztg. 1927, S. 3ff.; Thoma: Gnadenhoheit im Memelgebiet (Landtagsdrucksache d. Memelländischen Landtags Nr. 33), 1928; Ernst V. Hippel: Umfang d. Reichsgnadenrechts, Arch. d. öffentl. Rechts, N. F. 15, 1929, S. 342 ff.; Zur Geschichte vgl. unten Anm. 7. Weitere Angaben in der folgenden Darstellung.
Vgl. dazu auch: Geib: a. a. O.; R. Löning: Z. 5, 1885, S. 227ff., 567; Sternberg: D. Begnadigung bei den Naturrechtslehrern, 1899 (Berliner Dissert.); v. Bar: G. u. S. III, 1909, S. 457 ff.; K. Beyerle: Die Gnade im Recht, Göttingen 1910; His: Strafrecht d. Mittelalters I, 1920.
Vgl. näher Mommsen: S. 452ff.; dazu Bd. I S. 76.
Vgl. Bd. I S. 61/62; 65/66.
Sowohl in der Republik wie in der Kaiserzeit; vgl. Mommsen: a. a. O.
So seit Senatsbeschluß v. 61 v. Chr.; früher Freiheit des Privatklägers.
Vgl. Mommsen: In der Republik anscheinend unbekannt; im Prinzipat wohl zunächst nur in einzelnen Fällen (zur Verhütung von Prozeßverschleppung und von Mißbrauch des Anklagerechts). Später vorzugsweise durch Senatsbeschluß, aber auch mittels kaiserlichen Erlasses. Dabei regelmäßig Ausnahme bestimmter Delikte (insbes. Kapitalverbrechen). Der Ankläger kann den Prozeß aber binnen 30 Tagen wieder aufnehmen. Vgl. näher Mommsen: a. a. O.
Vgl. dazu: Johannes Merkel: Die Begnadigung am Passahfeste. In Preu Schen: Zeitschr. f. d. neutestamentliche Wissenschaft, 1905, S. 293 ff.
Vgl. Bd. I S. 76. Der Magistrat hat kein Begnadigungsrecht. Vgl. Mommsen: S. 32 Anm. 1; S. 483. Anders im Kriegsrecht. Der Feldherr hat wie das Recht zur Verhängung der Todesstrafe so auch das Recht der Gnade; vgl. Mommsen: S. 31/32.
Vgl. näher Mommsen: S. 483ff. Das Recht zur Begnadigung wird in Theorie und Praxis als im Gesetzgebungsrecht enthalten betrachtet; wiederholte Versuche, einzelne Delikte davon auszunehmen, werden mit der Begründung abgewiesen, daß die gesetzgebende Gewalt nicht imstande sei, sich für die Zukunft zu binden.
Regelmäßig zuständig dafür ist, wie bei der Abolition, der Senat; oft aber wird sie auch vom Herrscher verfügt.
So regelmäßig nach dem Sturz tyrannischer Herrscher, um den Mißbrauch der Justiz auszugleichen; ferner (wie Abolition) bei besonders festlichen Anlässen; vgl. Mommsen: a. a. O.
In den seltenen Fällen öffentlicher Verbrechen (vgl. Bd. I S. 103/04) nimmt K. Beyerle (a. a. O. S. 4) ein Begnadigungsrecht des Landsdings hinsichtlich Milderung der Friedlosigkeit an.
Vgl. Bd. I S. 113 Anm. 6 (fränkisch); S. 129 Anm. 1, 2, S. 133 Anm. 2, S. 136 Anm. 1, 2, 3, 10 (späteres Mittelalter; Zusammenfassung S.157/58). Ebenso die Italiener; vgl. Bd. I S. 94/95. Noch bei Böhmer ist die transactio Strafmilderungsgrund, vgl. Bd. I S. 254.
Vgl. Bd.I S. 133 Anm. 3, S. 140/41. — Ferner über Einschränkungen der Bestrafung durch das Asylrecht: Bd. I Sachverzeichnis S. Xxi unter „Asylrecht“. Dazu auch Hellinger: Goltd. Arch. 63, 1917, S. 108.
Vgl. näher K. Beyerle: a. a. O. S. 6ff.
Vgl. näher Bd. I S. 141 (auch über Massenbegnadigungen bei feierlichem Einzug des Königs oder Landesherrn). Siehe auch K. Beyerle: a. a. O. Die Begnadigung erscheint als Ausfluß der Gerichtsbarkeit.
Vgl. näher Bd. I S. 178.
Vgl. Bd. I S. 237/38.
Hie und da versuchten die Landesherren dies schon früher, erreichten es aber erst im 16. Jahrhundert mit ihren romanistisch geschulten Juristen; vgl. Bd. I S. 141 Anm. 4; näher dazu auch S. 235.
Carpzow: Pars III, quaestio 50 (der letzte Abschnitt des Werkes): Uegenüber der Tatsache (vgl. Nr. 6), daß auch inferiores Magistratus das Recht der Begnadigung (veniam dare) sibi sumsisse et usurpasse videntur, erklärt Carpzow, daß das Gnadenrecht nur denjenigen Magistratus zustehe, quibus Regalia et iura territorialia competunt, ut sunt Principes, Comites, Civitates aliique Status imperii (vgl. Nr. 8), während Magistratus inferiores nur geringere Strafen (fustigatio, poenae civiles) mildern können (vgl. Nr. 49ff.). Als Zweck des Gnadenrechts erscheint der Gedanke, daß der Princeps sich durch Güte und Milde das Lob und die Liebe der Untertanen erwirbt (vgl. Nr. 9): Neque enim Princeps illustriorem gloriam unquam referre potest quam ex clementia. Das Gnadenrecht gehört inter Regalia seu iura Majestatis (vgl. Nr. 14ff.). Denn in ihm tritt das ius summae potestatis deutlichst hervor (maxime enitescit). Nur der kann den Gesetzen durch Gnade zuwiderhandeln (legibus contravenire), der sie selbst erlassen hat. Dem Begnadigten ferner wird damit ein privilegium contra leges communes verliehen; auch das ist Majestatis signum. Als Schranke der Begnadigung erscheint die lex divina (vgl. über letzteres näher Bd. I S. 235).
Über dessen damaligen sachlichen Wert vgl. Bd. I S. 235. Dafür auch Voltaire: vgl. Bd. I S. 265 bei Anm. 4.
Vgl. Bd. I S. 273. Im Preußischen Landrecht von 1794 II 20 erscheint mehrfach auch die Begnadigung als eine Art Aushilfsmittel. So im Falle tätiger Reue beim Versuch (§ 43, Anspruch auf Begnadigung); ebenso bei Verjährung (mehrere Jahre, Besserung und Schadensersatz).
Vgl. Bd. I S. 263 (Voltaire), S. 268 (Beccaria). In Frankreich wurde die Begnadigung 1791 beseitigt, 1801 aber wieder eingeführt (vgl. näher Delaquis, v. Bar: a. a. O.). Als Gegner der Begnadigung erscheint auch Kant (vgl. näher Geib: a. a. O., v. Bar: S. 464).
Vgl. dazu Bd. I S. 254 (Böhmer). Über das Fortbestehen bis in die Gegenwart: Heimberger: a. a. O.
So in Bayern (1818), wohl auch in Baden (1818); vgl. Heimberger.
So z. B. in Preußen: Verf. 1850 Art. 493: „Der König kann bereits eingeleitete Untersuchungen nur auf Grund eines besonderen Gesetzes niederschlagen.“ „Eingeleitet“ sind hiernach erst „gerichtlich“ eingeleitete Untersuchungen; vgl. RG. E. 55, 217. Vgl. im übrigen näher Heimberger. Keine Einschränkungen erfolgten in Sachsen-Meiningen, Reuß, Anhalt, Lippe, SchwarzburgRudolstadt, Mecklenburg, Lübeck.
Vgl. Preußen: Verh. Art. 491: „Der König hat das Recht der Begnadigung und Strafmilderung.“ Abs. 2: Einschränkung betr. verurteilte Minister.
Reichssachen waren solche, in denen Gerichte des Reichs in erster Instanz erkannten, demnach: 1. Die Reichsgerichtssachen erster Instanz; StrPO. § 484 (alte Nummer). 2. Die Gerichtsbarkeit des Reichslandes Elsaß-Lothringen (Ges. v. 9. Juni 1871 § 3). Auf Grund Ges. v. 4. Juli 1879 § 1 (betr. Übertragung landesherrlicher Befugnisse auf den Statthalter) wurde hier das Begnadigungsrecht bei Geldstrafen dem Statthalter delegiert (Vo. v. 28. Sept. 1885). 3. Die Urteile der Marinegerichte (da diese Reichsmarine war). 4. Die Gerichtsbarkeit in den Konsulargerichtsbezirken und in den deutschen Schutzgebieten (Kolonien). 5. Dazu traten Strafverfügungen von Reichsverwaltungsbehörden.
In Preußen war das Gnadenrecht für Geldstrafen bis zu 30 M. dem Justizminister und dem Landwirtschaftsminister delegiert.
Hamburg, Bremen, Lübeck.
Vgl. E. 33, 204: Niederschlagung einer bereits beim Reichsgericht als Revisionsinstanz schwebenden Sache durch den Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha; ferner RG. III 9. Okt. 1916, Strafr. Ztg. 4 S. 168: Das Niederschlagungsrecht bestimmt sich landesrechtlich; der Bremer Amnestieerlaß konnte daher von dem durch den Kaiser als König von Preußen erlassenen abweichen.
Vgl. dazu näher die wertvolle Darstellung Heimbergers: a. a. O. Für zweifellos halte ich es andererseits, daß die Wirkung einer landesrechtlichen Abolition sich nur auf den vor den Gerichten des betr. Landes anzustrengenden bzw. anhängig gewordenen Prozeß erstreckt. Sofern außerhalb dieses Landes ein zuständiges Gericht vorhanden ist, kann also dort Klage erhoben werden. Vgl. auch E. 28, 422/23. (Streitig; vgl. näher: Hieimberger: a. a. O.; Laband: Staatsr., 4. Auf l., Iii S. 494). v. Liszt; v. Liszt/Schmidt.) Vgl. entsprechend oben S. 73, S. 84 Nr. 3.
Nur selten sind Amnestien, also allgemeine Niederschlagungen, vorgekommen. So insbes. in Sachsen und Sachsen-Altenburg gegenüber Schulkindern.
Aber nicht als Amnestie, sondern auf Grund Prüfung des Einzelfalls gemäß eingereichten Gesuchen. So wurden ca. 24000 Zivilpersonen ganz oder teilweise begnadigt. Dazu kam Begnadigung von Militärpersonen. Über die Gnadenerlasse zum 18. Jan. 1896 (25 jährige Reichsgründung), die allgemeine Begnadigungen für geringere Delikte gaben, vgl. Blätter für Gefängniskunde 30, 1896, S. 90ff..
Hier wurde die rechtliche Grundlage für Preußen durch Gesetz v. 4. Apr. 1915 (GesS. Nr. 20) geschaffen, das Niederschlagung im Gnadenwege gegenüber Kriegsteilnehmern auch für bereits eingeleitete Untersuchungen gestattete. Erweiterung auf während des Kriegsdienstes begangene Handlungen brachte das Ges. v. 18. Juli 1918 (Gs. Nr. 25). In Bayern erging Ges. v. 4. Dez. 1915. In Reichssachen wurde dem Kaiser durch Reichsgesetz v. 18. Juli 1918 (R Gbl. S. 746) das Abolitionsrecht gegenüber Kriegsteilnehmern verliehen.
Dieser Gedanke der Bewährung und des Abverdienens der Strafe durch Kriegsdienst wurde insbes. von Karl Meyer vertreten; vgl. Jur. Ztg. 19, 1914, S. 1231; Z. 40, 460. Siehe dann dessen wiederholte Darstellungen des weiteren Verlaufs Jur. Ztg. 20, 1915, S. 248ff.; Leipz. Z. 10, 1916, S. 136; 11, 1917, S. 375ff.; Z. 37, 1916, S. 796ff.; 38, 1917, S. 651 ff.; 39, 1918, S. 675ff. Vgl. auch Cohn: Jur. Ztg. 20, 1915, S. 81; Falck: Strafr. Ztg. 3, 1916, S. 35ff.; Kollmann: Z. 40, 1919, S. 342ff.; ferner mein oben S. 570 Anm. 6 zit. Gutachten, Z. 40 S. 433ff. Zusammenfassende Darstellung bietet die (leider nicht gedruckte) Göttinger Dissertation von Gisela Lindemann. Das Begnadigungs- und Abolitionsrecht und seine Ausübung im gegenwärtigen Kriege, 1924.
Verträge mit Rußland, der Ukraine, Finnland. Vgl. dazu K. Meyer: Z. 39 S. 675; Beckcr: Z. 40, 1919, S. 40ff.
Vgl. 12. Nov. 1918 (Rgbl. S. 1303) für politische, 3. Dez. 1918 (Rubi. für nicht politische, 7. Dez. 1918 (Rgb1. S. 1415) für militärische Delikte. Ergänzung 13. Jan. 1919 (Rgb1. S. 30); betr. Hilfsdienst, 13. Jan. 1919 (Rgbl. S. 95). Dazu näher K. Meyer: Z. 40, 1919, S. 455ff. und dort Zitierte; Alsberg: Reichsamnestiegesetz, 1919.
Dazu tritt die Sondervorschrift der Reichsabgabenordnung § 443, die den Reichsfinanzminister ermächtigt, von Einleitung bzw. Durchführung eines Verwaltungsstrafverfahrens abzusehen oder so erkannte Strafen zu erlassen. Bei Verurteilung durch den Staatsgerichtshof (Ges. v. 9. Juli 1921 § 3, Rgbl. S. 905) kann der Verurteilte nur mit Zustimmung des Reichstags begnadigt werden. Vgl. ferner Preußische Verf. v. 1920 Art. 54: „Das Staatsministerium übt namens des Volkes das Recht der Begnadigung aus. „Zugunsten eines Ministers, der wegen seiner Amtshandlungen verurteilt ist, kann dieses Recht nur auf Antrag des Landtags ausgeübt werden. „Allgemeine Straferlasse und die Niederschlagung einer bestimmten Art gerichtlich anhängiger Strafsachen oder einer einzelnen gerichtlich anhängigen Strafsache dürfen nur auf Grund eines Gesetzes ausgesprochen werden “ Hiernach wäre in Preußen Abolition im Einzelfalle vor gerichtlicher Anhängigkeit (wie früher durch den König) durch das Staatsministerium zulässig. So auch Huber: Preuß. Verf. zu Art. 54 Nr. 14
Eingehende Begründung mit Literatur und amtlichen Vorgängen siehe bei Ernst v. Hippel: a. a. O. (oben S. 570 Anm. 6). Gleicher Ansicht im Strafrecht v. Liszt/Schmidt: S. 427/28. Dagegen im Reichstag Kahl und Radbruch: Stenogr. Ber. 1920, S. 522, 535.
Vgl. oben S. 573 Anm. 7. Heute 1. Reichsgerichtssachen erster Instanz (einschließlich der den Oberlandesgerichten im Einzelfall delegierten); so auch Anschütz: Reichsverfassung. 2. Urteile des Staatsgerichtshof s; vgl. näher Anschütz: a. a. O. 3. Auf Grund Art. 48 der Verf. eingesetzte außerordentliche Gerichte des Reichs. 4. Militärgerichte, soweit sie nach Verf. Art. 106 noch in Betracht kommen; 5. Konsulargerichte. 6. Strafverfügungen der Reichsverwaltungsbehörden. — Näher vgl. die ins einzelne gehende Darstellung von J. Fricke: Jur. Wochenschr. 57, 1928, S. 390ff.
Das wird, soviel ich sehe, in der Literatur nicht hervorgehoben, sondern einfach davon gesprochen, daß das Reich das Abolitionsrecht in gleichem Umfang wie das Gnadenrecht habe. Art. 49 Abs. 2 aber bezieht sich nur auf Amnestien, also auf allgemeine Begnadigungen bzw. Niederschlagungen. Es fehlt auch kriminalpolitisch jeder Grund, die stillschweigende Einführung der verwerflichen Abolition im Einzelfalle zu vertreten; vgl. unten S. 583. Vgl. auch Gerland: S. 222: „Ein Abolitionsrecht von Reichs wegen existiert nicht.“
Der Verwahrung Bayerns im Reichsrat, 1928, schlossen sich Sachsen, Oldenburg, Bremen an; in gleicher Richtung Baden, Hessen, Thüringen, neuerdings auch Preußen. Vgl. näher E. v. Hippel: a. a. O. S. 346. Vgl. auch Landgericht Stuttgart in Rg. E. 53, 52.
Vgl. z. B. Ges. v. 4. Juli 1920 (Rgbl. S. 1487) betr. Kapp-Putsch und Aufruhr im Ruhr-Revier; dazu Kahl: Strafr. Ztg. 7 S. 263). — Ges. v. 21. Juli 1922 (Rgbl. I S. 595) betr. politische Straftaten. Dazu Preuß. Ges. 26. Juli 1922 (Gs. S.192). — Lobe: Komm. 1925 (S. 94ff.) zählt bis dahin allein 23 Reichsamnestien auf (dazu eine Reihe Amnestien der Länder). Über Niederschlagung bei Steuerdelikten vgl. z. B. E. 52, 345.
Vgl. eingehend dazu Ernst v. Hippel: a. a. O.
So auch z. B. Anschütz: Verfassung § 49 Nr. 2; Ernst. v. Hippel: a. a. O. (anders nur für Friedensverträge).
Vgl. dazu auch Ebermayer: Jur. Ztg. 32 S. 482ff. gegen den „Amnestiefanatismus“, der die Wirkung habe, daß Amnestien dann „nicht Meilensteine auf dem Wege zur Sanierung des Staates, sondern Meilensteine auf dem Wege zur Schädigung und Vernichtung der Rechtspflege“ sind. Siehe auch Kahl: oben Anm. 2; Graf Gleispach: a. a. O.; Kern: Z. 43 S. 588.
Das Gesetz betr. Straffreiheit v. 17. Aug. 1925 (Rgb1. I S. 313) beschränkte sich auf Reichssachen. Auf Grund Vereinbarung erfolgten anschließende Amnestien der Länder. Das Ges. v. 14. Juli 1928 (Rgbl. I S. 195) aber stellt im Eingang „zur Vermeidung von Zweifeln“ ausdrücklich fest, „daß die Erfordernisse verfassungsändernder Gesetzgebung erfüllt sind“.
Vgl. E. 55, 217. Hier zunächst Vorführung des früheren Rechtszustandes in Preußen. Dann Feststellung, daß durch die Staatsumwälzung von 1918 weder die Länder- noch die Reichskompetenz betr. Begnadigung ausgedehnt sei. „Dem Deutschen Reiche oder dem deutschen Kaiser als dem obersten Träger der Reichsgewalt stand nach deutschem Staatsrecht eine Begnadigungsbefugnis in den zur Zuständigkeit der Landesgerichte gehörigen Strafsachen überhaupt nicht zu.“ Dann Hinweis auf die nach dem Umsturz ergangenen Amnestieerlasse der Volksbeauftragten, vgl. unten Anm. 2. — Für ungültig erklärt das Rg. in diesem Urteil den Amnestieerlaß der Interalliierten Regierungs — und Plebiszitkommission für Oberschlesien, da sie weder nach Preußischem noch nach Reichsrecht dazu befugt sei, noch nach dem Versailler Vertrag ein Gesetzgebungsrecht habe.
Mit Recht erklärte Rg. Ii, 17. Juni 1919 (Jur. Ztg. 25 S. 468) ein angebliches Versprechen der Volksbeauftragten, bestimmten Aufrührern Straffreiheit zu gewähren, für rechtlich unerheblich, weil Abolition kein Vertrag, sondern ein Staatsakt sei, der nur durch amtlichen Befehl an die Behörden wirksam werde.
Vgl. E. 52, 271, 283, 345; E. 53 (unten Anm. 3); E. 54, 1, 7, 11, 13, 18, 19, 54, 61, 76, 82, 97, 262, 333; E. 55, 52, 231; E. 56, 49, 81, 269; E. 58, 265, 415, 432; E. 60, 118. Die Urteile E. 52 bis E. 55 betreffen die Amnestieerlasse der Volksbeauftragten v. Dez. 1918; E. 56 das Ges. v. 4. Aug. 1920; E. 58: Sächsisches Recht und Londoner Abkommen von 1924; E. 60: Deutsch-Polnisches Abkommen von 1922.
Vgl. E. 53, 39ff. Hier der Hinweis, daß das Reich auch früher durch das Wehrbeitragsgesetz vom 13. Juli 1913 (§§ 68, 59) und die östlichen Friedensverträge in die Kompetenz der Länder eingegriffen habe. E. 53, 52: Hier aber die Bemerkung, daß „eine verstärkte Mehrheit für. bestimmte Arten von Reichsgesetzen“ zur Zeit (nach Gesetz v.10. Febr.1919) „nicht vorgesehen“ sei. Dann in E. 55, 217 (vgl. oben S. 576 Anm. 7) der Standpunkt, daß die obigen Amnestieerlasse vom Dez.1918 nicht Ausfluß eines von der Reichsleitung in Anspruch genommenen Gnadenrechts, sondern Gesetzgebung auf dem Gebiete des Strafrechts und Strafprozesses sei, die dem Reich verfassungsmäßig zustand. Das ist zweifellos unrichtig. Selbstverständlich handelt es sich hier sachlich um Ausübung des Gnadenrechts. Fraglich konnte nur sein, ob die Kompetenz zur Gesetzgebung über Strafrecht und Strafprozeß dies Recht mitumfaßt. Das war, wie früher, so auch heute zu verneinen. Vgl. näher Laband: Staatsrecht, Iv. Aufl., Bd. Iii S. 482ff.; E. v. Hippel: a. a. O. Dazu unten S. 578.
Denn Sinn und Zweck obiger Vorschrift ist es, daß die Volksvertretung den Inhalt und Umfang der Amnestien maßgebend zu bestimmen hat. Änderung dieses Rechtszustandes wäre daher nur durch verfassungsänderndes Gesetz möglich. Ebenso für Preußen; vgl. oben S. 575 Anm. 1. Siehe dazu auch Lobe: Leipz. Z. 23, 1929, S. 875ff.
Vgl. oben S. 575 Anm. 4. Für die Einzelstaaten ist hier das Landesrecht maßgebend; vgl. für Preußen oben S. 575 Anm. 1.
Frühere Beispiele vgl. oben S. 573 Anm. 7, 8. Siehe näher Delaquis: a. a. O. Vgl. auch Rg. E. 58, 265. Für Preußen näher z. B. Huber: Verf. Art. 54 Nr. 3.
Vgl. darüber eingehend mein Gutachten Z. 40, 1919, S. 433ff.; ebenso jetzt grundsätzlich Rg. E. 54, 54. — Auch keine blinde Gehorsamspflicht der Staatsanwaltschaft, vgl. oben S. 263 Anm. 3.
So Anschütz: Reichsverfassung, Art. 49 Nr. 3, mit Ausnahme bereits rechtskräftig abgeurteilter Fälle. Bedenklich auch E. 55, 217, oben S. 577 Anm. 3.
Wie beim Landesstrafrecht die der Länder.
Vgl. oben S. 64ff.
Unzutreffend ist es, wenn Anschütz: a. a. O. Nr. 4, den Begriff der Abolition auf bereits begonnene Strafverfahren beschränkt.
Vgl. oben S. 574 Anm. 5; 576 Anm. 2.
Richtig kennzeichnete der Vertreter des Preuß. Justizministeriums im Landtag die Sachlage dahin: „Die erwähnten Straffreiheitserklärungen seien nichts weiter als eine verkappte Amnestie.“ Zit. bei E. v. Hippel: a. a. O. S. 353 (Drucks. 1928 Nr. 98 Sp. 4).
Treffend bemerkt Anscütz selbst a. a. O.: „Es wäre sinnwidrig, anzunehmen daß Eingriffe in die Justizhoheit der Länder, die dem Reiche durch Art. 49 verboten sind, ihm durch Art. 7 Nr. 2 haben erlaubt werden sollen.“ Das gilt aber nicht nur für rechtskräftig erledigte Fälle (so Anschütz: oben S. 578 Anm. 2), also für die Begnadigung, sondern genau ebenso für die Niederschlagung. Gegen den Versuch, den Art. 7 der Verf. in unitarischem Sinne zu erweitern, vgl. auch E. v. Hippel: a. a. O. S. 351ff. Siehe auch Rg. E. 56, 81: „Die Amnestie ist keine Änderung oder Ergänzung des Strafgesetzes, sondern liegt außerhalb dieses Gesetzes. Ihre Voraussetzungen lassen den Tatbestand der Straftat unberührt und beruhen nur in gewissen in der Person des Täters vorhandenen Umständen.“
Anders, soweit es im deutschen Mittelalter als in selbständiger Gerichtsbarkeit enthalten erschien; vgl. oben S. 572 Anm. 4.
Vgl. auch E. 28, 422.
Das Rg. E. 58, 265 bezeichnet (wie Laband: Staatsrecht, 4. Aufl. Iii S. 485/86) die Begnadigung als außerordentlichen Verwaltungsakt der Staatsgewalt, der eine außergewöhnliche Machtfülle bedeute, indem er in den Lauf von Gesetz und Recht eingreife. Ich sehe zu solcher Rangerhöhung dieses Staatsaktes keinen Grund. Dem Recht zu strafen entspricht sachlich vollständig das Recht, auf Strafe zu verzichten. Das eine ist so ordentlich oder außerordentlich wie das andere. Der Verzicht auf Strafe begegnet uns ebenso bei sonstigen Strafaufhebungsgründen (insbes. Verjährung, ferner Rücktritt vom Versuch und tätige Reue); prozessual ferner bei sonstigen Einschränkungen der Strafverfolgung (Verfolgungsverjährung; Einschreiten bei Privatklagedelikten nur bei öffentlichem Interesse im Einzelfall; sonstige Einschränkungen des Legalitätsprinzips).
Aber sie enthalten nicht etwa nur Dienstanweisungen an die Behörden, sondern regeln rechtsverbindlich Rechtsverhältnisse der Untertanen; vgl. näher dazu R. v. Hippel: Z. 40 S. 451 ff.
Vgl. dazu unten S. 580.
Schon früher herrschende Ansicht. Vgl. Laband: Staatsrecht, 4. Aufl. Iii S. 489; Ed. Löning: Jur. Ztg. 1 S. 249, vgl. mein Referat Z. 19 S. 305; Heimberger: a. a. O. S. 121; Delaquis: a. a. O.; Fleischmann: a. a. O.; Arndt: Preuß. Verf. Art. 44 Anm. 2 und dort zit. Literatur; vgl. heute Anschutz: Verf. Art. 49 Nr. 1 (am Schluß). Die ältere Auffassung eines ganz außerordentlichen Souveränitätsrechts ohne Ministerverantwortlichkeit gelangte von Frankreich insbes. unter dem Einfluß Mittermaiers und Hegels nach Deutschland (vgl. näher E. Löning: a. a. O.). Sie kann als geschichtlich erledigt gelten. Noch in neuerer Zeit aber wurden Kritiken des Gnadenrechts im Reichstag bzw. Preuß. Landtag als unzulässig abgelehnt. So im Reichstag 11. März 1901 Präsident Graf Ballestrem gegen Bebel, im Landtag 3. März 1916 Justizminister Beseler gegen Liebknecht. Dazu ist zu sagen: Kritik war zulässig, hatte sich aber lediglich an den gegenzeichnenden Minister zu richten. Vgl. auch Kulemann: Jur. Ztg. 21, 1916, S. 499ff.
So, sehr treffend, Rg. E. 58, 265, mit dem Ergebnis: Das monarchische Staatshaupt war nicht verantwortlich. „Soweit Beamte bei der Ausübung des Gnadenrechts — so vor allem im Falle der Übertragung (Delegation) — mitzuwirken hatten, waren im Falle von Pflichtverletzungen die allgemeinen Regeln des Beamtenrechts und des Strafrechts maßgebend.“ Ebenso jetzt (hier für das Sächsische Staatsrecht) das Gesamtministerium bzw. bei Übertragung der Einzelminister. „Hinsichtlich ihrer Amtspflicht gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen ihrer Tätigkeit auf diesem Gebiet und ihrer sonstigen Verwaltungstätigkeit. Ihre politische, disziplinare und strafrechtliche Verantwortlichkeit besteht hier wie dort.“... „Lassen die betr. Personen bei der Erledigung von Gnadengesuchen nicht ihr pflichtmäßiges Ermessen im Hinblick auf das allgemeine Wohl, sondern ihren persönlichen Vorteil maßgebend sein, so verletzen sie ihre Amtspflicht. Wenn sie für eine solche Pflichtverletzung Geschenke oder andere Vorteile annehmen, fordern oder sich versprechen lassen, so erfüllen sie daher den Tatbestand des § 332 StrGB.“
Das Reichsgericht spricht öfters von Strafausschließungsgrund. Vgl. dazu bereits Z. 40 S. 449; ferner z. B. E. 53, 39. Das ist insofern richtig, als Straffreiheit eintritt. Sie beruht aber hier auf einem erst nach Begehung der strafbaren Handlung eingetretenen Umstand. Das ist das Wesen des Strafaufhebungsgrundes. Vgl. oben S. 383/84. Richtig bemerkt auch E. 54, 54: Die Niederschlagung „tilgt den staatlichen Strafanspruch“. E. 55, 231 spricht von Erlöschen des staatlichen Strafanspruchs. In•E. 56, 106 heißt es, daß „der staatliche Strafanspruch zum Erlöschen gebracht und ein besonders gearteter Strafaufhebungsgrund geschaffen wird.“ Vgl. auch E. 59, 56 (folgende Anmerkung).
Wir haben es also hier, wie bei der Verjährung (vgl. oben S. 558), mit einem gemischten, d. h. zugleich materiellrechtlichen und prozeßrechtlichen Institut zu tun. So auch die feststehende Rechtsprechung des RG. Vgl. E. 50, 386 (Niederschlagung Verzicht auf den Strafanspruch und dessen Geltendmachung); E. 53, 39 (abgesehen von der sachlichen Bedeutung, vgl. vorige Anm., Prozeßhinderungsgrund); E. 54, 54 (Tilgung des Strafanspruchs und verfahrensrechtlich Hinderungsgrund); E. 54, 82 (nicht nur Verfahrensrüge, sondern zugleich sachliche Beschwerde); E. 55, 231 (analog E. 54, 54); E. 59, 56 (Amnestie „schafft ein in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigendes Hindernis für dessen Fortgang und bringt den staatlichen Strafanspruch zum Erlöschen“); vgl. auch K. Meyer: Z. 37 S. 803; 38 S. 655.
Feststehende Rechtsprechung des Rg.: Vgl. E. 50, 386, 392; E. 52, 271; E. 53, 39; E. 54, 19; E. 54, 82; E. 55, 231; E. 59, 56 (vgl. vorige Anm.).
Vgl. dazu auch Rg. E. 54, 11 (die Vorinstanz hatte durch Urteil eingestellt, zugleich aber auf Einziehung erkannt). Dazu das Rg.: „Irgendeine prozeßrechtliche Fortsetzung eines niedergeschlagenen Verfahrens ist ausgeschlossen. Wird das Verfahren in Unkenntnis der Niederschlagung weitergeführt, so besteht insoweit nur der Anschein (?) eines Strafverfahrens, in Wirklichkeit sind alle weiteren Prozeßhandlungen nichtig und rechtlich unwirksam.“ E. 54, 54: „Die Einstellung als die das anhängige Verfahren abschließende Entscheidung ist eben deshalb selbst eine Prozeßhandlung, die den Vorschriften der StrPO. unterliegt.“ Demgemäß hängt von der Form dieser Entscheidung Möglichkeit und Art der Anfechtung ab. Daher bei Einstellung auf Grund Hauptverhandlung durch Urteil Berufung bzw. Revision. Gegenstück: E. 54, 18: Keine Rechtskraft eines Einstellungsbeschlusses. — In E. 54, 82 wiederum Urteil: Revision dagegen enthält (ähnlich wie bei res iudicata) „nicht nur eine Verfahrensrüge, sondern zugleich eine sachliche Beschwerde“ (E. 40, 274).
Vgl. dazu eingehend mein Gutachten über bedingte Niederschlagung gegenüber Kriegsteilnehmern; Z. 40 S. 446ff.
Vgl. Rg. E. 50, 386. — Amnestien greifen nur durch, wenn ihre tatsächlichen Voraussetzungen in concreto nachweisbar sind; vgl. E. 56, 49.
Unzulässig ist dagegen die Durchführung des niedergeschlagenen. Prozesses, um auf Einziehung zu erkennen; vgl. E. 50, 386; E. 52, 382; E. 54, 11. Über Konfiskation als Hauptstrafe bei Steuerdelikten vgl. E. 54. 54.
Im Falle der Niederschlagung kann dieser allerdings mangels Strafprozesses nicht geltend gemacht werden (vgl. vorige Anm.). Selbstverständlich bleibt aber die Möglichkeit der Zivilklage bestehen.
Vgl. E. 52, 271; E. 54, 1.
Vgl. E. 54, 318. Daher keine Strafaufhebung, wenn die fortgesetzte Tat teils vor, teils nach der Niederschlagung lag; ebensowenig, wenn die Tat als fortgesetzte qualifiziert ist und deshalb nicht unter die Amnestie fällt. Vgl. aber auch E. 54, 333: Bei Einstellung des Verfahrens wegen Niederschlagung durch Urteil sind nur die einzelnen Fälle erledigt, die den Gegenstand des Urteils bildeten, nicht die Fragen fortgesetzten bzw. Kollektivdelikts im übrigen.
Vgl. StrGB. §§ 245, 250 Nr. 5, 261. Ebenso kann die frühere Tat zur Begründung eines Kollektivdelikts (Gewerbs-, Geschäfts-, Gewohnheitsmäßigkeit, vgl. oben S. 547 Anm.) wie für die Strafzumessung herangezogen werden.
Es werden vielmehr immer vereinzelt Fälle vorkommen, in denen der Gesetzgeber selbst sich gesagt hätte: Wenn alle Fälle so lägen, hätte man das Gesetz überhaupt nicht gemacht oder mindestens mildere Strafe zugelassen.
Man denke als Beispiel an Fehldiagnosen auch bester Ärzte.
Ein vielzitiertes Wort von Jhering (Zweck im Recht I S. 428).
So insbes. nicht eine grundsätzliche Begnadigung contra legem, wie wir sie z. B. heute in der Nicht-Vollstreckung von Todesurteilen erleben. Denn die Begnadigung ist nicht dafür da, um Gesetze zu ändern, sondern um Härten dieser im Einzelfalle auszugleichen.
Vgl. dazu die vorausgehende Darstellung.
Vgl. Bd. I S. 510 Anm. 5.
Vgl. als warnendes Beispiel den von Ebermayer: Jur. Ztg. 32, 1927, S. 481 berichteten Fall: Der Angeklagte rief dem Reichsgericht im Schlußwort höhnisch zu: „Verurteilen Sie mich, wie und zu welcher Strafe Sie wollen; meine Partei sorgt ja doch für eine demnächstige Amnestie.“
Dagegen auch z. B. v. Liszt; v. Liszt/Schmidt.
Vgl. dazu Ebermayer: a. a. O.
Rights and permissions
Copyright information
© 1971 Springer-Verlag Berlin Heidelberg
About this chapter
Cite this chapter
von Hippel, R. (1971). Verzicht auf Strafe. In: Deutsches Strafrecht. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-52599-5_11
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-642-52599-5_11
Publisher Name: Springer, Berlin, Heidelberg
Print ISBN: 978-3-642-52545-2
Online ISBN: 978-3-642-52599-5
eBook Packages: Springer Book Archive