Zusammenfassung
Begriffe Funktion und Formen der Verweisung
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Neben der ausdrücklichen Verweisung bedient sich der Gesetzgeber häufig — wie etwa bei Legaldefinitionen — der sprachlichen Form der stillschweigenden Verweisung.
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Die konstitutive, “echte” Verweisung (“Verweisung im engeren Sinne”) ist ein gesetzgebungstechnisches Instrument der Vervollständigung einer (partiell) unvollständigen Norm durch (Elemente) eine(r) andere(n) Norm.
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Die Verweisung dient funktional der Gesetzesökonomie, der Systematisierung und der Beteiligung von Personen und Institutionen außerhalb der Legislative an der Gesetzgebung.
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Die Verweisungsnorm: UnVollständigkeit im Tatbestand und/oder in der Rechtsfolge, Fiktion und Blankettgesetz.
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Das Verweisungs objekt: sachlicher, räumlicher und zeitlicher Geltungsbereich. Die Verweisungsnorm nimmt “statisch” auf die z.Zt. geltende, “dynamisch” auf die “jeweilige Fassung” eines Verweisungsobjektes Bezug. Unveränderte und veränderte Übernahme; die Verweisungsanalogie.
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Verweisung von formell-gesetzlichen Normen auf Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften und Verweisungsobjekte ohne Rechtsqualität. Verweisung von Bundesrecht auf Landesrecht und ungekehrt.
Verweisungstechnik und Grundgesetz
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Die (echte) Verweisung übernimmt den V/ortlaut des Verweisungsobjektes, seinen Inhalt, in die Verweisungsnorm. Das Verweisung s objekt wird — soweit und in der Form, in der verwiesen wird — Bestandteil der Verweisungsnorm und erhält für deren Bereich durch sie den Geltungsbefehl.
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Die dynamische Verweisung eines Gesetzes auf eine Rechtsverordnung oder Verwaltungsvorschrift ist unter dem Prinzip rechts staatlicher Gewaltenteilung eine apokryphe Ermächtigung der Verwaltung zum Erlaß von Rechtsvorschriften und wegen Umgehung des Artikels 80 Abs. 1 GG verfassungswidrig.
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Blankettgesetze sind gemäß Artikel 103 Abs. 2 GG dann verfassungsgemäß, wenn die Grenze der Tatbestandsbestimmtheit durch ein materielles Gesetz erreicht wird. Eine Blankettergänzung durch Verordnungen und Satzungen ist zulässig, durch Verwaltungsvorschriften und Anordnungen Privater hingegen unzulässig. Soweit Blankettstrafgesetze Freiheitsstrafen androhen, muß gemäß Artikel 104 Abs. 1 GG schon das förmliche Gesetz tatbestandsbestimmt sein.
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Die Verkündung eines Gesetzes im Gesetz- und Verordnungsblatt ist Schlußakt und wesentlicher Bestandteil des rechtsstaatlichen Gesetzgebungsverfahrens. Die Verweisung auf ordnungsgemäß verkündete Vorschriften — Gesetze, Rechtsverordnungen — ist zulässig; die Verweisung auf nicht gehörig publizierte Anordnungen — interne Ver-waltungsvorschriften, Anordnungen nichtöffentlicher Institutionen — ist verfassungswidrig.
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Unter dem rechtsstaatlichen Postulat der Gesetzesklarheit bestehen Bedenken gegen Formen der dynamischen Verweisung, Verweisungsanalogien, (“Angst”-)Gleitklauseln in den Schlußvorschriften von Änderungsgesetzen, Kettenverweisungen und Verweisungshäufungen.
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Der demokratische Staat des Grundgesetzes ist insoweit “Gesetzgebungsstaat”, als nur das Parlamentsgesetz Rang und Prädikat der demokratischen Mehrheitsentscheidung besitzt. Die dynamische Verweisung eines formellen Gesetzes auf ein anderes Gesetz bei Identität des Gesetzgebers ist nicht zu beanstanden. Die dynamische Verweisung auf Vorschriften der Exekutive oder gar Privater ist demokratiewidrig.
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Im demokratischen Bundesstaat des Grundgesetzes ist gegen die Verweisung bei identischem Gesetzgeber nichts einzuwenden. Die dynamische Verweisung eines Bundesgesetzes auf ein Landesgesetz oder eines Landesgesetzes auf das Gesetz eines anderen Landes ist unzulässig. Hingegen ist gegen die Verweisung eines Landesgesetzes auf ein Bundesgesetz wegen der Einheit der Rechtsordnung nichts einzuwenden.
Eingeklammerte Ziffern im Beitrag beziehen sich auf die Anmerkungen, S. 240–243.
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Anmerkungen
Art. XI Abs. 1 des 4. Änderungsgesetzes zur Gewerbeordnung vom 5.2.1960 (BGBl 61)
§ 46 Abs. 3 des Verschollenheitsgesetzes vom 4.7.1938 (RGBl 1186)
§ 119 Abs. 2 BGB
§ 116 Vw 60
Vgl. dazu BGHSt 7, 261 (263 f.) einerseits und LANGE, JZ 1956, 73 (75) andererseits
§ 547 Abs. 1 ZPO
MüLLER, H.: Handbuch der Gesetzgebungstechnik, 2. Aufl., Köln, Berlin 1968, S. 126; vgl. auch § 32 der GGO Teil II
NOLL, P.: Gesetzgebungslehre, Reinbeck 1973, S. 229
§ 222 Abs. 1 ZPO
Diese Hinweis- und Wegweiserfunktion der Verweisung nennt P. NOLL (Gesetzgebungslehre, Reinbeck 1973, S. 230) “operationale Funktion”.
JELLINEK, W.: Gesetz, Gesetzanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, Tübingen 1913, S. 96
MüLLER, H.: Handbuch der Gesetzgebungstechnik, 2. Aufl., Köln, Berlin 1968, S. 169
§ 54 Abs. 1 Vw 60
MüLLER, H.: Handbuch der Gesetzgebungstechnik, 2. Aufl., Köln, Berlin 1968, S. 169
NOLL, P.: Gesetzgebungslehre, Reinbeck 1973, S. 229
NOLL, P.: Gesetzgebungslehre, Reinbeck 1973, S. 230
BayGVBl 393
ENNECCERUS, L., NIPPERDEY, H.-C.: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl., Tübingen 1959 f., S. 197
Dafür, daß auch die von N. LUHMANN sog. “zweckprogranimierenden” — im Gegensatz zu den “konditionalprogrammierenden” — Normen nach dem Tatbestands-Rechtsfolge, “wenn — dann”-Schema verstanden werden könne, bringt NOLL, P.: Gesetzgebungslehre, Reinbeck 1973, S. 252 f., erhellende Argumente bei
§ 53 BGB
So der inzwischen durch die Strafrechtsreform aufgehobene § 145 StGB
§ 14 Abs. 1 des Gebrauchsmustergesetzes vom 11.1.1876 (RGBl 11)
Dazu insbesondere Meurer, D.: FIKTION und Strafurteil, Berlin 1973
§ 119 Abs. 2 BGB
§ 953 BGB
Synonym für die weiter unten sog. “dynamische Verweisung” — BAG -AR — Blattei, TV IV Ent. 8
Hedemann, J.W.: Flucht in die Generalklausel, 2. Aufl., Berlin und Leipzig 1927, S. 57, 58
Gesetz vom 29.3.1951 (BGBl 223)
§ 61 Nr. 3 Vw 60
Art. 111 EGBGB
§ 35 Abs. 1 Satz 1 der GO NRW
Dazu etwa QUARITSCH, H.: Das parlamentslose Parlamentsgesetz, 2. Aufl., Hamburg 1961, S. 28
WiGBl 14
WiGBl 27
§ 11 Abs. 3 des Energiewirtschaftsgesetzes vom 13.12.1935 (RGBl 1451)
Dazu etwa BVerwGE 10, 322 (323)
GVB1 102
§ 46 Abs. 3 des Verschollenheitsgesetzes vom 4.7.1939 (RGBl 1186)
Es sind jedoch nicht alle Verweisungsnormen Blankettgesetze, wie BULLINGER, M.: Die Selbstermächtigung zum Erlaß von Rechtsvorschriften, Heidelberg 1958, S. 21, meint, weil sie in der Regel die Ausfüllungsbefugnis nicht verlagern, sondern nur den Wortlaut des Verweisungsobjektes übernehmen
§ 87 Vw 60
§ 131 GVG
§ 173 VwGO
GVB1 73
I.d.F.v. 14.6.1958 (GVB1 101)
BGBl 519
Über den Durchführungsplan D 332 vom 31.3.1958 (GVB1 91)
Dazu SCHRöCKER, S.: Die Übernahme von Bundesrecht als Landesrecht, NJW 1967, S. 2285
§ 1 Abs. 6 des Bundesjagdgesetzes vom 29.11.1952 (BGBl 780)
§ 174 Abs. 1 des NS Wassergesetzes vom 7.7.1960 (GVB1 105)
SCHRöCKER, S.: Die Übernahme von Bundesrecht als Landesrecht, NJW 1967, S. 2285 f.
Etwa das NRW-Abgabenordnungs-Anwendungsgesetz vom 4.1.1955 (GVB1 598)
ENGISCH, K.: Die Einheit der Rechtsordnung, Heidelberg 1935, S. 26, Fn. 3: Die Worte als Sinnträger werden übernommen.
§ 144 Abs. 3 Satz 2 des Landesbeamtengesetzes Rheinland-Pfalz vom 11.7.1962 (GVB1 73)
Unrichtig daher OLG Düsseldorf, NJW 1961, S. 1831; zweifelhaft SCHRöCKER, S.: Die Übernahme von Bundesrecht als Landesrecht, NJW 1967, S. 2285 (2289)
Vgl. dazu BULLINGER, M.: Unterermächtigung, S. 5, und TRIEPEL, H.: Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, Stuttgart und Berlin 1942, vor allem S. 51. Die Begriffe werden in der Regel synonym gebraucht, während manche die Delegation als Unterform der Ermächtigung ansehen.
Vgl. statt aller THOMA, R.: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. II, Tübingen 1932, S. 247
Vorbehaltlich des Bund-Länder-Verhältnisses, dazu unter Anm. (7)
Nachweise bei Peters-Ossenbühl: Die Übertragung von öffentlichrechtlichen Befugnissen auf die Sozialpartner, Berlin und Frankfurt 1967, S. 58 ff.
Dazu SCHäFER, K.W.: Das Recht der Regeln der Technik. Diss. Köln 1965, S. 85 f.
E 14, 174 ff. und E 14, 245 ff.
Dazu zusammenfassend WEIDENBACH, P.: Die verfassungsrechtliche Problematik der Blankettstrafgesetze. Diss. Tübingen 1965
A.A. etwa KOHLRAUSCH-LANGE: Strafgesetzbuch, Kommentar, 43. Aufl., Berlin 1961, S. 34
Vgl. zu diesem Begriff MAUNZ-DüRIG-HERZOG: Grundgesetz, Kommentar, München, Stand 1973, Art. 103, Rn. 107, und JAGUSCH, H.: Leipziger Kommentar, § 2 Anm. I 1 d
Dazu näher WEIDENBACH, P.: Die verfassungsrechtliche Problematik der Blankettstrafgesetze. Diss. Tübingen 1965, S. 87
NJW 1961, S. 1231; derselbe so auch in MAUNZ-DÜRIG-HERZOG: Grundgesetz, Kommentar, München, Stand 1973, Art. 2 Abs. 2, Rn. 7
So MANGOLDT, H. von: Das Bonner Grundgesetz, Berlin und Frankfurt 1953, S. 549
KISTNER, P.: Die Freiheitsentziehung auf Grund von Verordnungsrecht (Zur Verfassungsmäßigkeit des § 71 StVZO), DRiZ 1962, S. 118 f.; OLG Köln, NJW 1962, S. 1214 ff.
Art. 82 Abs. 1 GG
Vgl. Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 30.1.1950 (BGBl 23)
OSSENBÜHL, F.: Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, DVB1 1967, S. 401 (407)
Vgl. aber zum Bund-Länder-Verhältnis unter Anm. (7)
Bestr.: a.A. etwa RIDDER, H.: Preisrecht ohne Boden, AöR, Bd. 87, S. 311
HessVGH, VerwRspr 4, S. 540 (542)
SCHICK, W.: Haushaltsplan und Haushaltsgesetz vor Gericht, JZ 1967, S. 271
BVerwG, NJW 1967, S. 1244
Vom 28.10.1969 (GVB1 732)
Auch “Anführungsverjüngung” genannt.
SCHICK, W.: Haushaltsplan und Haushaltsgesetz vor Gericht, JZ 1967, S. 180
IPSEN, WDStRL 10, 75
Vgl. dazu BVerfGE 5, S. 25 (34)
QUARITSCH, H.: Das parlamentslose Parlamentsgesetz, 2. Aufl., Hamburg 1961, S. 41
SCHMITT, C.: Verfassungslehre, 3. Aufl., Berlin 1928, S. 316
Dazu HESSE, K.: Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien im modernen Staat, WDStRL 17, S. 11 ff.
Zum Bund-Länder-Verhältnis s. unter Anm. (7)
So der Titel von QUARITSCHs Arbeit, 2. Aufl., Hamburg 1961
GRAWERT, R.: Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern, Berlin 1967, S. 164 f.
BVerfGE 1, 14 (35)
BVerfGE 8, 104 (120); MAUNZ-DÜRIG-HERZOG: Grundgesetz, Kommentar, München, Stand 1973, Art. 20, Rn. 48
Im Sinne von C. SCHMITTS Vorstellung der Demokratie als der “Identität von Regierenden und Regierten”, Verfassungslehre, 3. Aufl., Berlin 1928, S. 234
OSSENBÜHL, F.: Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, DVB1 1967, S. 404
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Karpen, U. (1976). Die Verweisungstechnik im System horizontaler und vertikaler Gewaltenteilung. In: Rödig, J., Altmann, E., Baden, E., Kindermann, H., Motsch, R., Thieler-Mevissen, G. (eds) Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-52190-4_14
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