Zusammenfassung
Nehmen wir einmal an, wir kennen sämtliche organische Formen, die je gelebt haben, heute leben und künftig auftreten werden, und zwar sowohl die ganzen Individuen, wie ihre morphologisch wohl unterscheidbaren Teilformen, dann können wir diese Formen in drei Problemkreise ordnen, die auf das rein Morphologische gerichtet sind. Die beiden anderen, auf S. 88 noch genannten Fragestellungen, die praktisch-diagnostische nämlich und die funktionsphysiologische bzw. ökologische, scheiden also hier als nicht rein morphologische Ziele verfolgend aus. Die drei erwähnten Möglichkeiten nun sind folgende:
-
1.
Erstens können wir sämtliche organischen Formen in Reihen, Netze usw. ordnen, lediglich nach ihrer formalen Ähnlichkeit.
-
2.
Zweitens können wir sie nach der historischen Folge ihres Auftretens ordnen; und
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3.
drittens endlich können wir nach den physiologischen Ursachen, den kausalen Vorgängen, fragen, denen sie ihre Entstehung verdanken.
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Literatur
Hierzu vgl. man auch die völlig berechtigten temperamentvollen Ausführungen von Velenovsky (1905, Bd. 1, Einl.).
Die noch notwendige historische Einschränkung dieser These wird alsbald behandelt werden.
Einen ähnlichen Gedankengang, allerdings mit Bezug auf das Verhältnis der Phylogenie und Formphysiologie, hat Boveri in seiner schönen Rektoratsrede von 1906 vertreten.
Ungerer hat übrigens in dem oben erwähnten Zitat deutlich erkannt, daß Typologie allein nicht ausreicht zur Begründung der Phylogenie.
Über die Beziehungen zwischen Diagnostik (Systematik) und Typologie vergleiche man die Definitions- und Einteilungsprobleme der reinen Morphologie als Ganzes.
Es ist natürlich sehr fraglich, ob man die ontogenetischen Formen als,,nicht funktionierend“bezeichnen kann. Nach Peter (1920) haben sie ganz sicher Funktionen zu erfüllen, wenn auch nicht die Funktionen des erwachsenen Organismus. Man muß sich hier sehr vor dem Weismannschen Evolutionismus hüten.
Man vergleiche hierzu die Bemerkung Bütschlis (1910–21, S. 5/6:),,Im allgemeinen bezeichnet man jeden untergeordneten Bestandteil, insofern er einen gewissen Grad von Abgrenzung, d. h. morphologische Selbständigkeit und namentlich auch eine besondere physiologische Leistung, also eine gewisse physiologische Selbständigkeit besitzt, als ein Organ.“Über den Unterschied dieses physiologischen und morphologischen Organbegriffe vergleiche man ferner auch Gegenbaur (1898, I, S. 3).
Man vergleiche hierzu folgende klare Ausführungen Ungerers (S. 83): „Was..., selbständiger Teil, als „Funktionsform“des Organismus zu betrachten ist, kann ein Organ heißen… Wenn auch häufig genug ein Organ zugleich Formglied darstellen mag, so hat dies doch nichts mit seiner Funktion zu tun, und außerdem gibt es Fälle genug, wo Formglieder keinen einheitlichen Funktionswert, Funktionsformen einer bestimmten Stufe (z. B. Gewebe oder Gewebe-gef üge keinen einheitlichen Formwert haben. Gerade die auf Owen zurückgehende Scheidung der Analogien von den Homologien zeigt schlagend nicht nur das Auseinanderfallen dieser beiden Arten morphologischer Betrachtung, sondern vor allem die Notwendigkeit, beide Wissensgebiete als strenge Begriffssysteme in sich geschlossen durchzuführen... Die Analogien [stellen]... Anzeichen einer anderen Art der Ordnung der Formteile des Organismus [dar]. Das Phyllocladium von Ruscus aculeatus ist für die Grundformenlehre ein Sproß, für die Funktionsformenlehre ein Blatt, wenn man vorläufig diese Bezeichnungen in beiden Zweigen der Morphologie verwendet. Jedenfalls ist es in beiden eine Einheit verschiedener Art. Daß die „Physiologische Anatomie“, soweit sie nicht Vorgänge erklären, sondern Formen mit Bezug auf die harmonische Funktion dieser Vorgänge gliedern will, der Funktionsformenlehre angehört, bedarf demnach keiner besonderen Erläuterung.“Also auch Ungerer rechnet diese Disziplin nicht zur Physiologie im modernen physikalisch-chemischen Sinne, mithin auch nicht zur Formphysiologie.
„Frei“nicht im Sinne einer Freiheit von räumlicher Bindung, die ja auch bei fertigen Zellen und Geweben in der Regel vorhanden ist, sondern nur im Sinne einer Freiheit von zeitlicher, entwicklungsphysiologischer Bindung.
Diese Rubrik bezeichnet logisch den Platz, den das typologische Ana-logon unserer diagnostischen Systematik im Gesamtsystem der Typologie einzunehmen hat, und damit auch die Stelle, wo beide morphologische Disziplinen sich am innigsten berühren. Sie hat aber wegen ihrer besonderen praktischen Bedeutung, wie wir gesehen haben, zu einer besonderen diagnostischen Logik geführt.
Gegenbaur hat den Doppelsinn des Organ begriffe sehr fein in folgenden Worten verdeutlicht:,, Physiologisch sind die Organe höhere, welche das Ganze einer Funktion besorgen, jene dagegen die niederen, die nur Teilaufgaben der Funktion erfüllen. Morphologisch dagegen ist jenes Organ ein höheres, an welchem der Bau sich nicht bloß der Gesamtleistung, sondern allen deren Unterabteilungen gemäß gestaltet hat. Als niederes dagegen erscheint uns ein Organ, an welchem die Hauptleistungen nicht in Einzelfunktionen getrennt, von der Gesamtheit derselben vollzogen wird. Physiologische und morphologische Betrachtung führen somit zu voneinander verschiedenen Auffassungen, wie auch der Weg ein verschiedener ist.“(1898, I, S. 3).
Schips (1919, S. 401) sagt geradezu: „Es geschieht denn auch die Aufstellung eines Typus... durchaus mit Hilfe eines Denkprozesses, welcher dem in der Geometrie üblichen analog ist.“
Das gilt natürlich nur auf dem Boden der Typologie. Entwicklungsphysiologisch wäre der Entwicklungstypus natürlich keine Summe der Stadien, sondern deren physiologische Gestalt.
Es gibt ja auch,,Idealempirismen“, wie z. B. die Zahlen (vgl. Ad. Meyer: Kontingenzerscheinungen... 1926). Der,,Typus” ist somit ein logisch ganz besonders interessantes Empirisma, da er ohne definitorische Änderung sowohl als,,Ideal-“wie als „Realempirisma“auftreten kann.
Zur Geschichte desselben vergleiche man besonders O. Schmidt (1855) und Spemann (1915).
Natürlich ist Funktionsphysiologie hier auf organologischer Grundlage gemeint, nicht im Sinne der rein physiologischen Physiologie.
Das schließt natürlich nicht aus, daß man den Entwicklungstypus rein summativ aus dem gewöhnlichen Typus ableiten kann.
Naef sagt (1921, I, S. 9): Metamorphose ist,, reihen weise “Verbindung „typisch ähnlicher Formen“, die;,sich zueinander verhalten wie die Stadien eines Vorgangs“. Sie sind natürlich in der Regel Produkte verschiedener formphysiologischer Vorgänge, sonst müßten sie ja auch formphysiologisch homolog sein.
Haeckel selber bildet freilich in gewissem Sinne eine rühmliche Ausnahme. Er hat den Trialismus der Reihen (1866, Bd. 2) sehr deutlich erkannt und mehrfach geschildert. Aber wo er das biogenetische Grundgesetz formuliert, erscheint es immer als Beziehung zwischen zwei Reihen. In dieser Weise hat es in der Literatur fortgewirkt. Zudem liegen die Probleme hier komplizierter, als Haeckel annimmt. Wir kommen darauf ausführlich bei den Apriorismen der Phylogenie zurück.
Wir wollen hier ja aus den beiden typologischen Teildisziplinen eine theoretisch einheitliche machen, d. h. die Kontingenz zwischen ihnen beseitigen. Das in [...] Klammern Beigefügte stammt von mir. A. M.
Vgl. Anm. 1 auf S. 215.
Wenn dieses Reale dann umgekehrt selbst wieder,,idealisiert“wird, so widerspricht das obigem Prinzip nicht. Zuerst muß es doch einmal in die reale Theoretik eingeführt werden.
Natürlich nur typologisch. Formphysiologisch sind auch die Ontogenesen Gestaltprozesse.
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Meyer, A. (1926). Logik der Typologie (Teil 2 der Logik der reinen Morphologie.). In: Logik der Morphologie im Rahmen einer Logik der gesamten Biologie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-50733-5_5
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