Zusammenfassung
Auf der Suche nach den factis, zu der Wilhelm Weber angeraten hatte, stieß Fechner auf unterschiedliche Erscheinungen, die sich einer Behandlung gemäß der Intuition der Fundamentalformel zugänglich zeigten. Nichts übertraf jedoch die Wichtigkeit und die Vielzahl der Hinweise, die sich aus dem Werk Ernst Heinrich Webers schöpfen ließen.
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Literatur
Nicht zu verwechseln mit einem Gesetz in der Elektrodynamik, das den gleichen Namen nach Wilhelm Weber erhielt, vgl. C. Neumann (1875, 1878a, 1878b, 1880).
Webers deutsche Zusammenfassung von 1835 erschien im Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin, dessen Herausgeber der in Berlin lehrende Johannes Müller war. Sein Interesse für die Physiologie und Psychologie der Sinne ist bekannt. Es ist mit anzunehmen, daß er Weber aufforderte, seine lateinischen Ausführungen auf Deutsch darzulegen. Denn einmal erscheint gerade 1834 die zweite Abtheilung des ersten Bandes der Physiologie Müllers, in der er Webers Ergebnisse aus der Sammelveröffentlichung 1834 ausführlich wiedergibt und würdigt (1834a, S. 683–685). Zum anderen schreibt Müller im selbem Band des Archivs in seinem Jahresbericht über die Fortschritte der anatomisch-physiologischen Wissenschaften im Jahre 1834: »Die eben so interessanten Beobachtungen (Webers) über die Tastempfindungen wollen wir hier nicht mittheilen, da der Verf. in einem besonderen Aufsatz in diesem Archiv darüber berichten wird.« (1835, S. 134). Webers Bericht folgt ein paar Seite später unmittelbar nach diesem Jahresbericht Müllers.
Borings Lehrer Titchener, dem er seine bis heute unersetzte History of Experimental Psychology (1929) widmete, wußte es noch besser. Vgl. dessen Experimental Psychology 11/11 (1905, S. xiii).
Weber selbst legt anscheinend Wert auf den Umstand, daß viele seiner Ergebnisse vor 1834 veröffentlicht wurden. In seinem Handwörterbuchartikel über den Tastsinn zitiert er aus De pulsu etc. unter Angabe der jeweiligen prolusio (1846, S. 526, S. 533), ein Beispiel, dem hier gefolgt wird.
Eigentümlicherweise verbreitete sich die Nachricht über Webers neuartige Versuche kaum über die Leipziger prolusiones, die wohl nur örtlich zirkulierten, sondern über Schottland. Thomsons Aufsatz im Edinburgh Medical and Surgical Journal (1833a) wurde nicht nur in England von der London Medical Gazette (Thomson, 1833b) übernommen, sondern auch in Deutschland durch Frorieps Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde, in denen er im Dezember 1834 unter dem Titel »Bericht über einige neue Experimente des Hrn. Dr. Weber’s, Prof. der Anatomie zu Leipzig, über die Empfindlichkeit der Haut. Von Allen Thomson, M. D.« erschien. Froriep erlaubt sich übrigens, auf die Zusammenfassung der einzelnen prolusiones, also auf De pulsu, resorptione, auditu et tactu (1834) hinzuweisen, die Thomson 1833 noch nicht kennen konnte.
Neuerdings ist an prominenter Stelle der Irrtum aufgetreten, die prolusiones oder annotations seien Dissertationen, die unter Webers Aufsicht entstanden seien (Kruta, 1981, S. 201).
Erscheinungsort und Verleger der ersten neun prolusiones sind nach Callisen (1834, S. 451) Leipzig und Cnobloch, dagegen nennt Callisen später (1845, S. 231) für alle 22 prolusiones Leipzig und Weigel. Möglicherweise wurden sie jedoch bei C. F. Koehler verlegt, der später Sammlungen dieser Programmata unter seinem Namen vertreibt. Nicht auszuschließen ist auch, daß es sich um ein einziges Verlagshaus handelt, das den Besitzer und den Namen wechselte.
Im selben Jahr hatte Ernst Heinrich Weber entdeckt, »daß man die Feinheit des Tastsinns an den verschiedenen Theilen der Haut sehr genau messen und vergleichen könne« (1846, S. 524). Er bat seinen Bruder, den Anatomen Eduard Friedrich Weber, sich an der Erforschung zu beteiligen, jedoch wurde der durch andere Arbeiten daran gehindert.
Weber (1835, S. 152) erwähnt irrtümlich 23 Programme.
»Hinc fit, ut, si cutem hominis perpendicularem situm habentibus, 9–12 Lin. Paris, distantibus, iterum iterumquetangimus, circinumquead faciem leniter appressum super buccam sinistram et labia ad buccam dextram traducimus, crura circini initio fere non, aut non multum, in buccis plus, multo plus adhuc in parte laterali labiorum, maxime in media parte labiorum a se distare videantur, hac ratione, ut crura, dum circinus a latere faciei usque ad mediam labiorum partem promovetur magis magisque a se invicem removeri, dum a media parte labiorum ad latus faciei traducuntur magis magisque ad se recedere videantur.« (1830 VIII, S. 5f. /1834, S. 59f.).
Dabei gilt allerdings fur den Stand der Anatomie des Nervensystems, was Jacob Henle in einem Nachruf auf Weber sagt: »Als Weber die eben geschilderte Versuchsreihe (die Zirkelversuche) unternahm, befand sich die feinere Anatomie des Nervensystems noch in ihrer Kindheit. Der isolirte Verlauf der Nervenfasern war mehr geahnt, als bewiesen. Von der peripherischen Endigungsweise der Nerven hatte man nicht einmal eine falsche Vorstellung; daß aber die Nerven und namentlich die Nerven-Enden in der Haut ungleich vertheilt seien, darüber konnte nach dem Weber’schen Versuch kein Zweifel aufkommen.« (1878, S. 513). Überhaupt war die Verwendung des Mikroskops in der Anatomie noch unüblich und somit die feinere Struktur der Gewebe und Lokalisation der Nervenstränge unbekannt.
J. C. Rosenmüller, Handbuch der Anatomie des menschlichen Körpers, 4. Auflage (1828), 5. Auflage (1833), 6. Auflage (1840), herausgegeben von E. H. Weber.
E. H. Weber (1830a, 1830b, 1831, 1832), [F. Hildebrandt’s] Handbuch der Anatomie des Menschen, 4. Auflage, 4 Bände.
Anmerkung H. G.: Minimale Distanz nach Weber 1 Pariser Linie oder 1/12 Zoll (Weber, 1830 VII, S. 10 /1834, S. 56).
Anmerkung H. G.: Minimale Distanz nach Weber 12 Pariser Linien oder 1 Zoll (Weber, 1830 VII, S. 8 /1834, S. 54).
Siehe dazu Gundlach (1986b).
Vgl. 1832 XV, S. 5 /1834, S. 115; und deutlicher: »Duas lineas parallelas tarn parum a se distantes, ut semper simul cernantur optime et accuratissimequoad longitudinem comparamus, melius adeo, quam lineas tantopere a se invicem distantes, ut non simul cernantur, sed oculi ab altera ad alteram adverti debeant« (1833 XVII, S. 5 /1834, S. 131).
Hier findet sich Webers deutliche Stellung gegen landläufige Meinungen der Psychologen über frische und erinnerte Eindrücke: »Hoc autem iis plane repugnare videtur, quae vulgo a psychologis de diversitate impressionum praesentium corporum in Organa nostra et impressionum praeteritarum, vi phantasiae renovatarum, exponuntur« (1833 XVIII, S. 4 /1834, S. 138).
Über die Empfindlichkeit der Waagen siehe auch Gehler (1798, S. 612), Biot (1824c, S. 144), Biot (1828, S. 166), Muncke (1841, S. 12f). Die Terminologie der Physik zu Zeiten Fechners ist anscheinend nicht einheitlich, Muncke nennt die Empfindlichkeit auch die Feinheit.
»De sonis auditu inter secomparatis expérimenta non feci« (1834 XXII, S. 7 /1834, S. 173).
E. H. Weber bezieht sich nicht auf die Originalarbeit Delezennes, sondern auf ein Referat in Fechners Repertorium der Experimentalphysik (1832a, S. 134), der vermutlich nicht nach dem Original, sondern nach einem Auszug in einer Sekundärzeitschrift referiert. Vgl. E. H. Weber (1833 XVII, S. 4f. /1834, S. 130; 1834 XXII, S. 6 /1834, S. 173).
Quentchen oder Quent, als Apothekergewicht auch Drachme genannt, ist gleich 1/4 Loth oder 1/8 Unze, vgl. Fechner (1837e, S. 611). Ein Quentchen sind etwa 3,68 Gramm, vgl. Fechner (in Biot, 1824c, S. XV).
»discrimen« könnte im Gegensatz zu »differentia« so verstanden werden, daß es den eben merklichen Unterschied bezeichnete. Dies trifft jedoch nicht zu. Für den eben merklichen Unterschied gibt es bei Weber verschiedene Ausdrücke, darunter »minima differentia cognoscenda«; »discrimen« ist nicht dafür reserviert, »differentia« ist zumeist ein tatsächlich vorliegender Unterschied, »discrimen« hingegen die Unterscheidung, die ein Beobachter vornimmt oder nicht vornehmen kann, selbst wenn eine »differentia« vorliegt. Mitunter werden die Ausdrücke austauschbar verwendet. Übersetzer haben sich bemüht, die unterschiedlichen Wörter des Lateinischen durch unterschiedliche Wörter wiederzugeben. Titchener verwendet »distinction« und »difference« (1905, S. xvi), und B. Rand (1912, S. 557) und W. Dennis (1948, S. 154) übernehmen dies. B. Herrnstein verwendet »disparity« und »difference« (in R. J. Herrnstein & Boring, 1965, S. 64). H. E. Ross dagegen benutzt in beiden Fällen »difference« (in Weber, 1978, S. 131). Keiner der Übersetzer gibt »discrimen« mit einem Ausdruck für eben merklicher Unterschied wieder.
Zu diesen Andeutungen gehört die Bemerkung über Herbart anläßlich des Punktes, daß bisher ein Maß der Empfindung oder des Geistigen nicht zu handen war: »Factisch ist bis jetzt kein solches vorhanden oder, vorsichtiger gesprochen, bis jetzt als solches anerkannt, vielmehr bis auf die neueste Zeit bezweifelt oder geleugnet worden, dass ein solches überhaupt zu finden. Selbst Herbart’s Versuch einer mathematischen Psychologie hat nicht auf einem solchen zu fussen vermocht; der wichtigste Einwand, den man ihm von jeher entgegengehalten hat; ungeachtet Herbart das Mass so zu sagen in den Händen hatte.« (1860 I, S. 54f.).
Fast wortgleich auch in Fechner (1858b, S. 15).
Wolff, der frühere Biotübersetzer, wählt hier eine ähnlich unglückliche Formulierung. Wie weit Fechner davon inspiriert war, muß dahingestellt bleiben: »Folgen diese Ausdehnungen und Zusammenziehungen sich mit hinreichender Schnelligkeit, so erregen sie in unseren Gehörwerkzeugen die Empfindung, welche wir Schall nennen, ...« (Biot, 1819a, S. 486).
Fechners angemessene Übersetzung: »Man muß jedoch beim Gebrauch dieser Ausdrücke nicht aus den Augen verlieren, daß sie blos zur Bezeichnung der Töne, und Classificirung derselben nach einem ihrer wesentlichen Merkmale dienen, nicht aber zum Maß oder Ausdruck für die Empfindungen selbst, welche die Töne in uns erwecken.« (Biot, 1824d, S. 22) Wolff formuliert gleichwertig: »Indem man sich dieser Bezeichnungen bedient, darf man jedoch nicht ausser Acht lassen, daß sie nur die Töne bezeichnen, und sie nach einem ihrer wesentlichsten Kennzeichen ordnen; sie aber keineswegs die Empfindungen selbst, welche diese Töne in uns erregen werden, messen noch ausdrücken.« (Biot, 1819a, S. 516).
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Gundlach, H. (1993). De tactu, de visu, de auditu oder die experimentalen Präcedenzien. In: Entstehung und Gegenstand der Psychophysik. Lehr- und Forschungstexte Psychologie, vol 45. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-50262-0_5
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