Zusammenfassung
Ein großer Teil der Strafprozesse könnte ebensogut anders entschieden werden, als es tatsächlich der Fall ist. Wo Freispruch erfolgt, könnte verurteilt werden, und wo verurteilt wird, könnte freigesprochen werden. Vor allem könnte in Grenzfällen dort ein Freispruch erfolgen, wo heute der Angeklagte mit nicht unerheblicher Freiheitsstrafe belegt wird 1. Im großen und ganzen hat seit dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches nicht nur der Gesetzgeber, sondern auch die Strafgerichtsbarkeit das Strafrecht erweitert. Es wäre einer umfassenden Untersuchung wert, wie die Rechtsprechung auf allen Gebieten, namentlich beim Vermögensstrafrecht und Sittlichkeitsstrafrecht, zu immer weiterer Auslegung gelangt ist, die unter Umständen sogar zu einer nicht nur quantitativen, sondern sogar zu einer qualitativen Erweiterung geführt hat. Die Problematik der analogen Anwendung des Strafrechts zum Nachteil des Täters, die Strafrechts- und Verfassungslehre in so hervorragender Weise beschäftigt, hat den Blick für eine über die analoge Anwendung hinausgehende erweiterte Auslegung verengt. Weitgehend unbeanstandet findet eine Ausdehnung des Strafrechtes statt, die durchaus zu der Frage berechtigt, ob Art. 103 II GG nicht auch eine Auslegungsschranke enthält, die dort Platz greift, wo der Tatbestand qualitativ verändert wird. Ein Angeklagter sieht sich plötzlich für ein Handeln verurteilt, das jahrzehntelang (sogar nach höchstrichterlicher Rechtsprechung) straffrei war 2. Welche Gesichtspunkte für eine qualitative Änderung maßgeblich sind, was an historischen Untersuchungen zur Klärung dieser Frage und inwieweit eine Auseinandersetzung mit dem Problem der Übernahme von Erweiterungen aus der nationalsozialistischen Zeit erforderlich ist, liegt außerhalb des Bereiches dieser Untersuchung. Hier kommt es zunächst einmal darauf an, festzustellen, daß innerhalb desselben Strafgesetzes unter Anwendung anerkannter Auslegungsmethoden verschiedene Lösungen vom Gesetz getragen sind. Dabei ist es im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung, ob die verschiedenen Ergebnisse gesetzentsprechend sind oder nur eine Lösung vom Gesetz als die richtige gemeint ist. Wer nur eine Entscheidung als richtig anerkennt, kommt freilich in die unangenehme Lage, anerkennen zu müssen, daß eine unter Umständen sehr alte Rechtsprechung unserer oberen Gerichte unrichtig war oder daß möglicherweise eine neue Entwicklung, ein Rechtswandel, unrichtig ist, daß unter wissenschaftlichen Meinungen nur eine vom Gesetz gedeckt ist. Aber auch hier soll keine Entscheidung getroffen werden, sondern nur der Sachverhalt als gegeben dargetan werden.
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Literatur
Dazu die bemerkenswerte Schrift von Bohne, Zur Psychologie der richterlichen Überzeugungsbildung 1948.
Hans Peters, Lehrbuch der Verwaltung 1949, S. 14 f.
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Peters, K. (1967). Strafprozeßlehre. In: Conrad, H., Jahrreiß, H., Mikat, P., Mosler, H., Nipperdey, H.C., Salzwedel, J. (eds) Gedächtnisschrift Hans Peters. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-49912-8_48
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