Zusammenfassung
Wir haben uns unserem Gegenstand „heuristischer Prozeß“ auf dreifache Weise genähert:
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Die Regeln fassen zusammen, was darüber vorwissenschaftlich bekannt war, es wird aber auch die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Analyse aus ihnen ersichtlich (Kap. 1).
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Die Merkmale der Intuition und die Zugangswege zeigen die Erscheinungsformen heuristischer Prozesse auf der Ebene des einzelnen Wissenschaftlers. Die Frage stellt sich nach der Theorie und dem Begriffssystem, das die Ergebnisse dieser Zugangswege überhaupt verwenden kann.
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Die historische Übersicht zeigt, daß der heuristische Prozeß immer mehr Gegenstand von wissenschaftlichen Bemühungen wird, er wird dies im Rahmen einer Wissenschaftswissenschaft; zugleich verschiebt sich auch das Gewicht wissenschaftlicher Tätigkeit hin zu heuristischen Prozessen.
In diesem Kapitel soll es nun um das Objekt wissenschaftlicher Tätigkeit und damit auch heuristischer Prozesse gehen: das Problem.
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Literatur
Das Operieren mit Abbildungen ist zwar das in diesem Zusammenhang wichtigste Merkmal wissenschaftlicher Tätigkeit, es ist aber nicht auf diese beschränkt; auch in praktischer Tätigkeit wird nicht nur direkt mit „Gegenständen“ operiert. Auf die Implikationen des Begriffs der „Aufforderung“ im Zusammenhang mit der Problemdefinition kann hier nicht näher eingegangen werden. In einer vorläufigen Definition ist unter „Aufforderung“ die Klasse von Sätzen zu verstehen, die nicht Aussagen über Faktisches enthält, sondern zu einer bestimmten Handlung o. ä. auffordert: „Eine Aufforderung ist ein gedankliches Gebilde, das (üblicherweise) in Form eines Aufforderungssatzes existiert und dessen primäre Funktion in der Leitung von Verhaltensweisen besteht“ (Segeth 32, 1974).
Sie umfaßt eine große Zahl von besonderen Formen wie Befehle, Bitten, Instruktionen, Erlaubnisse usw. Auch die technologischen Regeln sind zur Klasse der Aufforderung zu rechnen. (Zum Problem der „Aufforderungen“ bzw. einer „Aufforderungslogik“ vgl. näher Segeth 1974 oder Rescher 1966).
Wir beziehen uns hier auf Bunge 1973, der zwischen dem Modellobjekt als dem bereits vereinfachten und rekonstruierten Gegenstand einer Wissenschaft und den theoretischen Modellen/spezifischen Theorien, die das Verhalten dieser Objekte erklären, unterscheidet. Die Auffassung der wissenschaftlichen Tätigkeit als problemlösender Tätigkeit bzw. die Verwendung der Kategorie „Problem“ erlaubt es unseres Er-achtens, den sozialen Charakter auch individueller heuristischer Erkenntnisprozesse zu berücksichtigen, ohne in ihre Soziologisierung zu verfallen. Obwohl das „Problem“ gerade eine individuelle (ob Einzelforscher oder Forscherkollektiv) Auseinandersetzung darstellt, ist es dennoch in mehrerer Hinsicht sozial: Ausgangs-, Zielzustand, das Spannungssystem, das Operationenrepertoire usw. sind niemals nur Ergebnis der individuellen Entwicklung des Problemlösers, und auch seine problemlösende Tätigkeit ist nur sinnvoll — und mithin nur vertretbar — als arbeitsteilige und damit soziale Tätigkeit.
Ein Beispiel aus dem Bereich der Ingenieurwissenschaften, bei dem es darum ging, ob ein bekannter Algorithmus übertragen werden kann, schildert Jungmichel 51, 1970).
Damit verliert natürlich „Algorithmus“ seinen strengen Sinn. Strauss (38, 1970) kritisiert ebenfalls die zu enge Definition von Problem, er schlägt vor, auch dann von einer Aufgabe zu sprechen, wenn zwar kein Algorithmus, aber eine „anerkannte Methode“ vorliegt.
Eine solche pragmatische Beurteilung der Frage der Lösbarkeit liegt bei wissenschaftstheoretischer Betrachtung ohnehin nahe: „Das Ergebnis (gemeint ist der Nachweis der Unlösbarkeit, wie in der Mathematik möglich — d. Verf.), so wichtig es für die Theorie der Formalwissenschaft (‚formal science’) ist, ist für die Theorie der Realwissenschaft (‚factual science‘) vergleichsweise unwichtig, insofern, als keine einzelne Aussage der ‚factual science‘ geprüft werden kann: sie kann bestenfalls befriedigend (aber nur zeitweilig) begründet werden“ (Bunge I, 208, 1967).
In der Naturwissenschaftsentwicklung treten solche Fälle dann auf, wenn Probleme auftauchen, die eigentlich dem Stand der bisherigen Theoriebildung nicht entsprechen. Der Zusatz „für ein System“ bedeutet in der Wissenschaftsentwicklung meist „für die Methoden des Systems”, d.h. wenn es an empirischem Wissen fehlt, ist dies zu beschaffen, sofern nur die Methoden vorliegen. Unlösbarkeit bedeutet also in diesem Falle nur relative Unlösbarkeit, die zu einer neuen Problemstellung führt: zu der Suche nach neuen, besseren Mitteln und Methoden. „Die Feststellung, daß ein Problem mit den gegebenen Mitteln unlösbar ist, ist gleichbedeutend mit der Feststellung, daß die gegebenen Mittel unzureichend sind zur Lösung des gegebenen Problems“ (Bunge I, 209, 1967; vgl. auch Kap. 9 dieser Arbeit).
Konkret stellte sich die Notwendigkeit, in möglichst kurzer Zeit Druckstöcke anzufertigen, für Gutenberg jedoch so: „Aber wie? Der Gedanke, 1300 Seiten in Holz zu schneiden, ist sinnlos . . . Ich weiß nicht, was ich tun soll; ich weiß nur, was ich möchte: ich möchte die Bibel vervielfältigen und damit bis zur Wallfahrt nach Aachen fertig sein“ (zit. n. Koestler, 123, 1966).
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© 1977 Dr. Dietrich Steinkopff Verlag GmbH & Co KG, Darmstadt
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Bromme, R., Hömberg, E. (1977). Die Theorie des Problems. In: Bromme, R., Hömberg, E. (eds) Psychologie und Heuristik. Psychologie und Gesellschaft, vol 2. Steinkopff. https://doi.org/10.1007/978-3-642-48434-6_4
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-642-48434-6_4
Publisher Name: Steinkopff
Print ISBN: 978-3-7985-0481-3
Online ISBN: 978-3-642-48434-6
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