Ausbruchsversuche des Individuums aus seiner zivilisierten Umwelt — Traum, Sucht, Selbstmord

Zusammenfassung

Als der Krieg zu Ende war, zog sich unter vielen anderen ein langer Gefangenentransport mit Deutschen auf belgischen Lastwagen durch niederrheinisches Land nach Süden. Mitten in der Stadt Köln mußte der Treck anhalten und dabei fügte es sich, daß der Wagen, auf dem Heinrich Böll sich befand, unmittelbar vor dessen Elternhaus zu stehen kam. Er konnte noch die Umrisse des Hauses erkennen, an den Mauerresten die einzelnen Zimmer rekonstruieren und sogar noch einzelne Gegenstände der Wohnungseinrichtung wahrnehmen. Er blickte lange hin, wartete auf die Tränen, die nicht kamen, aber als die Fahrt weiterging hatte er einen Traum: Er träumte von der Kaffeemühle seiner Mutter, wie sie von irgend welchen Männern in dem zerstörten Haus an einem Seil rauf und runter gelassen wurde und keiner recht wußte, was er damit anfangen sollte, wo man die Mühle befestigen könnte. Schließlich verbarg ein Mann sie sorgfältig unter seinem Gewand und der Träumer wurde froh, daß dieses Lieblingsstück seiner Mutter dem rohen Zugriff grausamer Umstände entzogen war. Er erkannte in dem Mann…„einen unserer vielen Freunde, die meine Mutter unter der Kaffeemühle getröstet hatte, einer der schon am Anfang des Krieges bei einem Bombenangriff getötet worden war.“ Als die Fahrt dann weiterging… „dachte ich an die vielen, die unter meiner Mutter Kaffeemühle gesessen hatten: Schulschwänzer, denen sie die Angst vor Klassenarbeiten nahm, Nazis, die sie zu belehren, Nicht-Nazis, die sie zu stärken versuchte: Sie alle hatten auf dem Stuhl unter der Kaffeemühle gesessen, Trost und Anklage, Verteidigung und Aufschub erlangt, mit bitteren Worten waren ihre Ideale zerstört und mit milden Worten ihnen angeboten worden, was die Zeiten überdauern würde: Gnade den Schwachen, Trost den Verfolgten“. (Böll, Heinrich: Als der Krieg ausbrach — als der Krieg zu Ende war — 2 Erzählungen, Insel-Verlag, Frankfurt, 1962, Nr. 768).