Zusammenfassung
Die öffentliche Debatte und auch die wissenschaftliche Diskussion haben sich bisher stark darauf konzentriert, welche Auswirkungen neue Telekommunikationstechniken wie die Digitalisierung der Vermittlungsstellen und die Integration der Fernmeldenetze im ISDN auf den Datenschutz haben. Die Beiträge von Katz und Kubicek1 zeigen, daß die nicht-intendierten Folgen der Technik ein quasi “natürliches” Recht auf Privacy bedrohen. Diese Bedrohung wird in einzelnen Staaten und sogar in einzelnen Bundesstaaten der USA (s. das Beispiel der Rufhummernanzeige) unterschiedlich eingeschätzt und in den einschlägigen Datenschutzverordnungen unterschiedlich geregelt.2 Interpretationsdifferenz und unterschiedliche Regelungspraxis führen zu der Annahme, daß die Einschätzung und die darauf basierenden Datenschutzvorschriften wesentlich von der in einer Gesellschaft gültigen Einordnung von “Privacy” und “Datenschutz” auf der Werteskala abhängen.3 Bevor allerdings nach spezifischen Differenzen dieser Art gefragt und gesucht werden kann, ist zunächst die analytische Durchdringung des Zusammenhangs von Privacy und Gesellschaft und anschließend die Analyse der potentiellen Reaktionsmuster des Handlungssystems “Gesellschaft” auf eine Veränderung der Balance von Privacy und Gesellschaft durch Implementation neuer Techniken notwendig.
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Literatur
Katz, J., Privacy in der Telekommunikation: Trends und Probleme, in diesem Band S. 55–70; Kubicek, H., ISDN, Privacy und Datenschutz, in diesem Band S. 71–106;
vgl. auch Katz, J., Caller-ID, Privacy and Social Processes, in: Telecommunications Policy, Vol.5,1990, S. 372–411.
Vgl. für den Gesamtzusammenhang Flaherty, D.H., Protecting Privacy in Surveillance Societies, Chapel Hill, London (The University of North Carolina Press), 1989; für den kleinen Ausschnitt “Datenschutz im ISDN” vgl.
Garbe, D., Der Umgang mit Kommunikationsdaten, Einzelgebührennachweis und Rufhummernanzeige in europäischen Ländern, in: ITG (Hrsg.), Datenschutz im ISDN, Frankfurt/M., 1990.
In Entscheidungssituationen steuern Werte die Auswahl aus möglichen Handlungsalternativen. Vgl. zum theoretischen Hintergrund Parsons, T., Der Begriff der Gesellschaft. Seine Elemente und ihre Verknüpfungen, in: Parsons, T., Zur Theorie sozialer Systeme, (Westdeutscher Verlag), Opladen, 1976.
Wanen, S.D., Brandeis, L.D., The Right to Privacy, in: Harvard Law Review, Vol.4, 1890, S. 193–220.
Hixson, R.F., Privacy in a Public Society. Human Rights in Conflict, (Oxford University Press), New York/Oxford, 1987, S. 9ff.. Die Wahl des Zeitpunkts zur Beschreibung des Privacy-Konzepts mit dem Amerika des 19. Jahrhunderts darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Privacy-Idee bereits in den Hochkulturen der Antike oder auch in Stammesgesellschaften existierte und Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben hatte.
Hierüber informiert Moore, B., Privacy. Studies in Social und Cultural History, (Sharpe Inc.), Armank/London, 1984.
Hixson, R.F., a.a.O., S. 10.
Westin, A.F., Privacy and Freedom, (Atheneum), New York, 1970, S. 31ff.
Westin, A., Privacy, in: Encyclopedia Americana, Vol.22, Danburg, 1984, S. 193–220.
Vgl. Luhmann, N., Interaktion, Organisation, Gesellschaft, in: Luhmann, N., Soziologische Aufklärung 2, (Westdeutscher Verlag), Opladen, 1975, S. 11
sowie Luhmann, N., Kommunikationsweisen und Gesellschaft, in: Rammert, W., Bechmann, W. (Hrsg.), Technik und Gesellschaft, Jahrbuch 5, Computer, Medien, Gesellschaft, (Campus), Frankfurt, 1989, S. 11–18.
Krappmann, L., Soziologische Dimensionen der Identität, (Klett), 4. Aufl., Stuttgart, 1975.
Vgl. Podlech, A., Das Recht auf Privatheit, in: Perels, J., (Hrsg.), Grundrechte als Fundament der Demokratie, Frankfurt, 1979, S. 50.
Ogbum, W.F., Social Change: With Respect to Culture and Original Nature, New York, 1922. Vgl. generell Parsons, T., Zur Theorie sozialer Systeme, a.a.O.
“Selbstorientierung ist eine Orientierung des Handelns, bei welcher die individuelle Bedürfnisbefriedigung den Bezugsrahmen des Handelns bildet. Kollektivitätsorientierung heißt, daß das Individuum in einem weiteren letztlich universellen Bezugsrahmen kollektiver Solidarität handelt und seinen Egoismus überschreitet. Diffusität sozialer Orientierung bedeutet die Einbeziehung des konkreten Individuums auf beiden Seiten von Interaktionen zwischen Ego und Alter und den Fortbestand gleichbleibender Beziehungen, z.B. des Vertrauens unabhängig von Situationen und Leistungen. Spezifität der sozialen Orientierung meint die Beschränkung von wechselseitigen Erwartungen auf besondere Aspekte, insbesondere auf besondere Positionen, welche die Individuen in einem Handlungskontext innehaben. Rollenerwartungen sind in diesem Sinne spezifische Erwartungen, weil sie sich nicht auf das Individuum, sondern auf eine seiner Positionen in einem sozialen Gefüge richten. Affektivität sozialer Orientierung impliziert, daß Ego und Alter in ihren wechselseitigen Erwartungen und Handlungen durch ihre positiven oder negativen Gefühle füreinander geleitet werden. Neutralität sozialer Orientierung verlangt von ihnen dagegen, daß ihre wechselseitigen Erwartungen und Handlungen in ihrem Ablauf nicht durch ihre Gefühle füreinander bestimmt werden. Partikularismus in sozialen Orientierungen bedeutet, daß der Bezugsrahmen der Solidarität und der Normen, in dem ein Individuum handelt enger ist als der Kontext seines Handelns und seiner Interdependenz mit dem Handeln anderer. Das Individuum fühlt sich nur den unmittelbar Nächsten und nur den in diesen Beziehungen gültigen Normen verpflichtet, aber nicht den Femerstehenden und den in diesen Beziehungen gültigen Normen. Zwischen Binnen- und Außenmoral wird scharf getrennt. Universalismus fordert hingegen eine gleichbleibende Solidarität gegenüber allen anderen, zu denen man in interdependenten, unmittelbaren und mittelbaren Beziehungen steht, und eine Orientierung an allgemeinen, für alle und in jedem Kontext gültigen Normen. Zuschreibung (Qualität) ist eine soziale Orientierung, bei welcher die gegenseitigen Erwartungen und Handlungen von Ego und Alter durch von Geburt an vorhandene Merkmale, wie Standes-, Rassen-, Kasten- oder Geschlechtszugehörigkeit, bestimmt werden. Leistungsorientierung (Performanz) ist als eine Form der sozialen Beziehung zu verstehen, bei welcher die wechselseitigen Erwartungen und Handlungen von Ego und Alter durch frei erworbene Merkmale und frei erbrachte Leistungen, wie Ausbildungsdiplome, Arbeitsleistungen oder Geldaurwendungen, gesteuert werden.” Münch, R., Theorie des Handelns. Zur Rekonstruktion der Beiträge von Talcott Parsons, Emile Durkheim und Max Weber, (Suhrkamp), Frankfurt, 1988, S. 77ff.
Parson, T., Platt, G.M., Die amerikanische Universität, (Suhrkamp), Frankfurt, 1990, S. 39ff.
Münch, R., Die Struktur der Moderne, (Suhrkamp), Frankfurt, 1984.
Vgl. Berger, L., Luckmann, Th., Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, (S. Fischer), Frankfurt/M., 1970.
Gehlen, A., Urmensch und Spätkultur, Bonn, 1956,
Gehlen, A., Anthropologische Forschung, (rororo), Reinbek, 1972.
Berger, L., Luckmann, Th., a.a.O., S. 79.
Popitz, H., Die normative Konstruktion der Gesellschaft, (Mohr), Tübingen, 1980.
Luhmann, N., Rechtssoziologie, Bd. 1, (rororo), Reinbek, 1972, S. 43.
Vgl. Lange, K., Zur Ambivalenz des Mobiltelefons, in diesem Band, S. 153–164.
Vgl. Wolfenstetter, K.D., TeleSec: Technische Grundlagen und organisatorische Umsetzung, in diesem Band, S. 123–130.
Luhmann, N., Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, (Enke), 3.Aufl., Stuttgart, 1989.
Diskurse als Element der TA-Debatte werden vom BMFT gezielt gefördert und z.Zt durch einige wissenschaftlichtechnische Vereinigungen realisiert. Vgl Garbe, D., Lange K., Zum Stand der Technikfolgenabschätzung in der Telekommunikation, in diesem Band, S. 3–20.
Vgl. die in konflikttheoretischer Perspektive formulierten Gedanken von Höller, HP., Leistungsmerkmale im Widerstreit von Kommunikationsinteressen, Vortrag auf der Diskussionsveranstaltung der ITG “Datenschutz im ISDN” am 27.11.1990 in Frankfurt, zur Veröffentlichung vorgesehen in: VDI/VDE Technologiezentrum (Hrsg.), Diskursprotokoll V–1 “Datenschutz im ISDN”, Berlin, Frühjahr 1991.
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© 1991 Wissenschaftliches Institut für Kommunikationsdienste GmbH
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Garbe, D. (1991). Privacy und Gesellschaft: Eine spannungsvolle Beziehung. In: Garbe, D., Lange, K. (eds) Technikfolgenabschätzung in der Telekommunikation. Schriftenreihe des Wissenschaftlichen Instituts für Kommunikationsdienste, vol 12. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-46748-6_6
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