Stresemann und die Deutsche Gegenwart

Zusammenfassung

Wer das Glück hatte, im Heidelberg der beginnenden zwanziger Jahre bei Hermann Oncken zu studieren, ist ihm über vier Jahrzehnte hinweg besonders dankbar geblieben für die kunstvolle Art, mit der er brennende Probleme der Zeitgeschichte aus der Perspektive des echten Historikers erfaßte. Selten hat er diese Gabe so meisterlich bewiesen wie in dem Aufsatz „Stresemann als historische Gestalt“, den er drei Tage nach dem Tod des Reichsaußenministers in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 6. Oktober 1929 veröffentlichte. Da hat er die Leistung des nationalliberalen Parteiführers, des deutschen Staatsmannes und Vorkämpfers der Locarno-Politik gerecht gewürdigt. Er analysiert die äußeren Fähigkeiten, die Stresemann für seine Aufgabe mitbrachte; er betont seine aufnahmebereite Beweglichkeit, die Witterung für die Tragkraft des Momentes, die suggestive Kraft einer rednerischen Begabung, den Schwung eines gläubigen Optimismus, vor allem auch den starken kämpferischen Willen, der sich allen jenen anderen Eigenschaften nur selten zugesellt. Noch höher aber bewertet er Stresemanns idealistische und zugleich realistische Grundeinstellung, die sein Handeln seit 1923 mit wachsender Sicherheit bestimmte, und er preist den Heroismus, mit dem der Schwerleidende bis zum letzten Atemzuge um die Befreiung des Rheinlandes rang.