Zusammenfassung
Seit Mitte der 90er Jahre hat der Begriff der Entgrenzung Eingang in sozialwissenschaftliche Analysen und Debatten gefunden. Früher nur auf die Auflösung nationalstaatlicher Grenzen im Rahmen der Globalisierung bezogen, wurde er nun zum Begriff für vielfältige soziale Erscheinungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen. Die Auflösung oder zumindest das „Brüchigwerden“ von ehemals für sicher gehaltenen Grenzziehungen und Zuordnungen konnte an vielen Stellen der Gesellschaft beobachtet werden: im Verhältnis von Organisationen zu ihrer Umwelt, zwischen sozialen Schichten oder Lebensstilen, in der sozialrechtlichen Regulierung, der beruflichen Arbeitsteilung, den Geschlechts- und Rollenidentitäten u. v. a. m. Mit der Allgegenwart sozialer Entgrenzungsprozesse wurde auch ihr ambivalenter Charakter sichtbar: Die Auflösung verfestigter Strukturen eröffnete neue Möglichkeiten und machte zugleich das soziale Leben riskanter. Den Chancen neuer Freiheiten standen die Risiken der Überforderung und neue Unsicherheiten gegenüber.
Die soziale Entgrenzungsdynamik hat sich insbesondere in ökonomischen – auf Arbeit, Betrieb und Markt bezogenen – Prozessen Geltung verschafft. Offensichtlich hat der Bereich der gesellschaftlichen Produktion und Arbeit entgegen früherer Zeitdiagnosen vom „Ende der Arbeitsgesellschaft“ (vgl. Mathes 1982; Offe 1984) in den letzten Jahrzehnten nicht an Bedeutung verloren. Vielmehr haben gerade hier gesellschaftliche Umbruchprozesse einen vielgestaltigen sozialen Wandel in Gang gesetzt, in dem die konkreten Folgen von Entgrenzung für die betroffenen Individuen und Institutionen besonders deutlich werden.
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Sauer, D. (2012). Entgrenzung – Chiffre einer flexiblen Arbeitswelt – Ein Blick auf den historischen Wandel von Arbeit. In: Badura, B., Ducki, A., Schröder, H., Klose, J., Meyer, M. (eds) Fehlzeiten-Report 2012. Fehlzeiten-Report, vol 2012. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-29201-9_1
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