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Interpretationen der QM

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Book cover Quantenmechanik zu Fuß 2

Part of the book series: Springer-Lehrbuch ((SLB))

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Zusammenfassung

Die große Bedeutung der QM für unsere heutige physikalische Sicht der Welt ist unbestritten. Wir haben in den vorausgehenden Kapiteln einen Eindruck gewinnen können, wie kohärent sie als Theorie ist, wie leistungsfähig sie bei der Behandlung unterschiedlichster praktischer Fragestellungen ist, vom Wasserstoffatom bis zum Quantencomputer, und welchen Einblick sie in Probleme ermöglicht, die lange Zeit als rein philosophische galten. Zweifellos hat die QM unsere Weltsicht tief greifend verändert.

Gleichzeitig wirft sie ungelöste zentrale erkenntnistheoretische Probleme auf, etwa die Frage nach der Existenz des objektiven Zufalls. Dabei ist typisch für die QM, dass der formale Apparat eindeutig ist, nicht aber seine Bedeutung. Betrachten wir beispielsweise den Zustandsvektor, dessen mathematische Formulierung und dessen Zusammenhang mit experimentell erfassbaren Größen präzise festgelegt ist. Aber was bedeutet er? Beschreibt der Zustandsvektor die physikalische Realität eines individuellen quantenmechanischen Systems? Oder hat er nichts mit einem individuellen System zu tun, sondern ist nur auf ein Ensemble anwendbar? Oder handelt es sich schlicht um eine nicht weiter hinterfragbare Rechenvorschrift, die es erlaubt, die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines experimentellen Resultats zu berechnen?

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Notes

  1. 1.

    Die Beschäftigung mit den Grundlagen der QM wurde lange Zeit eher als geistes- denn als naturwissenschaftliche Tätigkeit angesehen. Aber die Suche nach besseren Erklärungsmustern muss durchaus kein Glasperlenspiel sein, sondern kann im Gegenteil ausgesprochen praktische Konsequenzen haben, denken wir nur an die Bellschen Ungleichungen, Verschränkung, Dekohärenz, Quantencomputer usw.

  2. 2.

    Auch die Philosophie beschäftigt sich seit alters her in der einen oder anderen Form mit Interpretationen unserer Welt. Zwei gegensätzliche Stimmen aus dem 19. Jahrhundert: ‘Nein, gerade Tatsachen gibt es nicht, nur Interpretationen. Wir können kein Faktum »an sich« feststellen: vielleicht ist es ein Unsinn, so etwas zu wollen. »Es ist alles subjektiv« sagt ihr: aber schon das ist Auslegung, das »Subjekt« ist nichts Gegebenes, sondern etwas Hinzu‐Erdichtetes, Dahinter‐Gestecktes.’ Friedrich Nietzsche, Nachlass, KSA 12. ‘Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt darauf an, sie zu verändern.’ Karl Marx, Thesen über Feuerbach. MEW 3, S. 7, 1845.

  3. 3.

    Die Situation ist auch für Physiker verwirrend: ‘Quantum theory was split up into dialects. Different people describe the same experiences in remarkably different languages. This is confusing even to physicists.’ David Finkelstein (geb. 1929), US‐amerikanischer theoretischer Physiker.

  4. 4.

    Auch die Spezielle Relativitätstheorie ist unserem Alltagsverstand suspekt. Aber um die Erklärung bzw. Veranschaulichung von Zwillingseffekt & Co. gibt es vonseiten der Physik keine Differenzen. Dies ist in der QM anders. Hier existiert eine ganze Reihe verschiedener Erklärungsansätze.

  5. 5.

    Wir wiederholen die Bemerkung, dass diese Folgerungen darauf beruhen, dass die QM im Hilbertraum stattfindet.

  6. 6.

    Die Überzeugung, dass die QM einen harten Bruch mit der klassischen Physik bedeutet, wurde auch schon früher geäußert (wenn auch zum Teil aus anderen Gründen als den hier angeführten): ‘Entgegen allen rückschrittlichen Bemühungen … bin ich gewiß, daß der statistische Charakter der Psi‐Funktion und damit der Naturgesetze … den Stil der Gesetze wenigstens für einige Jahrhunderte bestimmen wird … Von einem Weg zurück zu träumen, zurück zum klassischen Stil von Newton‐Maxwell … scheint mir hoffnungslos, abwegig.’ Wolfgang Pauli 1952; Nobelpreis 1945.

  7. 7.

    In dem Zusammenhang sei daran erinnert, dass es ja auch noch keine befriedigende Vereinigung von allgemeiner Relativitätstheorie und QM gibt.

  8. 8.

    Eine sehr kritische Einstellung zum Reduktionismus der modernen Naturwissenschaften vertritt z. B. Robert B. Laughlin (Nobelpreis in Physik 1998) in seinem Buch ‘Abschied von der Weltformel’, Piper Verlag 2008.

  9. 9.

    Mit dem Hauptrezept ‘shut up and calculate’.

  10. 10.

    In der Debatte um die QM taucht das Adjektiv realistisch in zwei Bedeutungen auf: a) Wenn wir, wie in Kap. 27 besprochen, fordern, dass Eigenschaften auch in der QM präexistent sind, bedeutet das, dass 1) Quantenzustände sich auf individuelle Systeme beziehen, nicht nur auf das Ergebnis wiederholter Messungen, und dass 2) eine Messung den Wert einer physikalischen Größe misst, den diese unmittelbar vor und unabhängig von der Messung besaß. b) Eine realistische Interpretation dagegen fußt nur auf der Forderung 1), also darauf, dass Quantenzustände sich in einer nicht näher festgelegten Weise auf individuelle Systeme beziehen und nicht nur auf das Ergebnis wiederholter Messungen.

  11. 11.

    Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte der Naturwissenschaften, dass der mathematische Formalismus sich als mehr als nur ein geschicktes Rechenrezept erweist. So ließen sich ja beispielsweise die Keplerschen Gesetze zunächst für alle, die es so wollten, als reines Rechenwerk auffassen, das es eben besser als andere Regeln erlaubte, die Planetenbahnen zu bestimmen. Die Erkenntnis, dass die Keplerschen Gesetze ein besseres Bild der Realität abgaben als die bis dahin geltenden Vorstellungen, musste sich erst gegen viele Widerstände durchsetzen. Ein anderes Beispiel in dieser Richtung bildet die Einführung der Planckschen Konstante, die für Planck zunächst nur ein pragmatischer mathematischer Trick zur Ad-hoc‐Bewältigung von Konvergenzproblemen darstellte.

  12. 12.

    ‘Wer bloß Beobachtung und Experimente häuft kömmt mir vor wie jemand der ein Register führt über die Steine, die zwei Schachspieler aufheben und niedersetzen oder wegnehmen, der, der bemerkt, welche Bewegung sie machen ist schon viel weiter, es wird ihn nicht wenig Zeit kosten die Gesetze der Bewegung genau aus zu machen, und doch wird viel Zeit verstreichen bis er die Absicht errät warum alle diese Bewegungen unternommen werden und daß alles geschieht um den König zum Gefangenen zu machen. Ohne Hypothesen dieser Art läßt sich nichts ausrichten. Die Frage ob sie nützlich sind, hat etwas Ungereimtes in sich: denn man will ja doch die Erscheinungen in der Natur erklären, und eine solche Hypothese ist ja weiter nichts als eine solche gewagte Erklärung, sie fällt sogleich von selbst über den Haufen, sobald ihr die Erscheinungen widersprechen. Auch die Frage ob die falschen Hypothesen ihren Nutzen haben können beantwortet sich sogleich von selbst. Es ist nämlich nicht jedermanns Sache gleich das Beste zu treffen’. Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher Heft J (1521).

  13. 13.

    Um die Bandbreite dessen, was sich hinter dem Begriff Kopenhagener Interpretation verbirgt, zu illustrieren: Auch die ‘Participatory Anthropic Principle’ genannte Interpretation sieht sich in der Tradition der Kopenhagener Interpretation; sie nimmt an, dass die Beobachtung durch einen bewussten Beobachter verantwortlich ist für den Kollaps der Wellenfunktion.

  14. 14.

    Manche Autoren bezeichnen als orthodox die Auffassung, dass eine Observable keinen bestimmten Wert hat, wenn nicht der Zustand (bzw. Strahl) in einem Eigenraum der Observablen liegt.

  15. 15.

    Wir bemerken, dass manche Autoren jede Formulierung, bei der nicht verborgene Variablen oder Erweiterungen der SGl im Spiel sind, als ‘Standardinterpretation’ bezeichnen.

  16. 16.

    Ähnliches gilt in der Elektrodynamik für das Vektorpotenzial. Die Einstellung, dass das Vektorpotenzial eine reine Rechengröße sei, kollidiert allerdings mit dem (quantenmechanischen) Aharonov‐Bohm‐Effekt, bei dem ein Elektronenstrahl durch das Vektorpotenzial und nicht durch das Magnetfeld selbst beeinflusst wird.

  17. 17.

    Das ist insofern apart, als Bohms Überlegungen eigentlich das Ziel hatten, die Nichtlokalität z. B. der EPR‐Experimente durch verborgene Variablen zu beseitigen. Aber, wie er selbst sagt: ‘If the price of avoiding non‐locality is to make an intuitive explanation impossible, one has to ask whether the cost is too great.’ David Bohm et al. Phys. Rep. 144, 321 (1987).

  18. 18.

    So kann man heutzutage argumentieren; 1957 war dieser Begriff noch nicht bekannt.

  19. 19.

    Die Vorstellung von Parallel‐ oder Vielfachuniversen ist keine Eigentümlichkeit der QM; in der Allgemeinen Relativitätstheorie bzw. Stringtheorie gibt es mehrere Modelle von Multi‐ und Pluriversen (Stichworte z. B. ‘Unendlicher Raum’, ‘Blasen’ bzw. ‘Ewige Inflation’, ‘Verschachtelte Multiversen in Schwarzen Löchern’).

  20. 20.

    Eine augenzwinkernde Kurzversion: ‘Es gibt Paralleluniversen, obgleich sie nicht in dem Sinne ‘parallel’ sind. Sie winden sich umeinander, wie das Ergebnis verrückt spielender Webstühle, oder wie eine Meute Yossarianer mit Mittelohrproblemen. Und sie verzweigen sich. Allerdings nicht immer, und dieser Punkt ist sehr wichtig. Die Universen scheren sich nicht darum, ob man auf einen Schmetterling tritt. Immerhin existieren noch viel mehr Schmetterlinge.’ Terry Pratchett: Lords und Ladies, Goldmann 1995, p. 115.

  21. 21.

    Gemeint ist die Viele‐Welten‐Interpretation.

  22. 22.

    Mit ‘Post‐Everett’ ist im Wesentlichen die Annahme gemeint, dass es keine externen Zustandsreduktionen gibt und somit die zeitabhängige SGl immer gilt.

  23. 23.

    Das Augenmerk liegt also auf der Historie eines Systems und nicht dem Wert einer Observablen zu einer bestimmten Zeit.

  24. 24.

    Bei GRW handelt es sich um einen stochastischen Zusatzterm. Nichtlineare Terme können beispielsweise auf der Gravitation im Kontext der Allgemeinen Relativitätstheorie beruhen.

  25. 25.

    Dazu kann man auch die Quantenlogik zählen. Dieser Weg wurde zum ersten Mal 1936 von Birkhoff und von Neumann eingeschlagen. Es geht insgesamt um eine Abänderung der klassischen Logik und Anpassung an die Struktur des Hilbertraumes. Klassisch haben wir zum Beispiel ja-nein-Aussagen, mit denen aber das Verhalten nicht kommutierender Größen wie Ort und Impuls nicht angemessen beschrieben werden kann (ist ‘falsch’ dasselbe wie ‘nicht wahr’?). Die Grundidee lässt sich vielleicht so beschreiben: in der klassischen Sicht ist ein Ereignis eine Untermenge einer Gesamtmenge (abelsch bzw. kommutativ, distributiv); in der quantenmechanischen Sicht wird ein Ereignis stattdessen als Unterraum eines Hilbertraumes (nicht-abelsch, nicht-distributiv) aufgefasst.

  26. 26.

    Adressen: http://en.wikipedia.org/wiki/Interpretations_of_quantum_mechanics und http://de.wikipedia.org/wiki/Interpretationen_der_Quantenmechanik.

  27. 27.

    Dieser Zugang war zeitweise recht populär und wurde damals manchmal als ‘Standardinterpretation’ bezeichnet. Woran man wieder sieht, wie diffus die Terminologie in diesem Gebiet gelegentlich sein kann.

  28. 28.

    Ganz abgesehen von weiterführenden Implikationen wie der, dass ‘Verschränkung’ ja förmlich in einem direkten Widerspruch zum analytisch zergliedernden, reduktionistischen Vorgehen der westlichen Naturwissenschaft steht.

  29. 29.

    Wir erinnern daran, dass es nicht möglich ist, von einer endlichen Menge von Experimenten auf die Gültigkeit einer Theorie zu schließen, also sie zu verifizieren. Eindeutig geht nur das Falsifizieren.

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© 2012 Springer-Verlag Berlin Heidelberg

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Pade, J. (2012). Interpretationen der QM. In: Quantenmechanik zu Fuß 2. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-25314-0_14

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