Auszug
Im Zentrum der Arbeit steht der Begriff der Homogenität im Kontext jener verfassungsrechtlichen und verfassungstheoretischen Positionen, die die sozialstrukturelle Homogenität von Kollektiven mit demokratietheoretischen Prämissen, Annahmen und Thesen verbinden. Darüber hinaus wird in einem gesonderten Kapitel auf die Verwendung und die Bedeutungsweisen des Begriffs der Homogenität unter Bezugnahme auf Normen des europäischen Primärrechts eingegangen. Diesbezüglich konzentriert sich die Arbeit auf die rechtlichen Grundlagen der Euro-päischen Union, wie sie in Art. 6 Abs. 1 und 2 EU normiert sind, auf den in Art. 7 EU vorgesehenen Sanktionsmechanismus, sowie die in 49 Abs. 1 EU geregelten Voraussetzungen für einen Beitritt zur Europäischen Union.
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Literatur
O. Lepsius, Staatstheorie und Demokratiebegriff in der Weimarer Republik, in: Gusy (Hrsg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, 2000, 366, 375.
Diesen Weg wählt beispielsweise A. Augustin, Das Volk der Europäische Union, 2000, passim, indem sie umgehend auf die Frage eingeht, ob die für den Volksbegriff vermeintlich unabdingbaren Merkmale wie gemeinsame biologische Abstammung, Verbundensein im gemeinsamen Schicksal, gemeinsame Sprache, Existenz eines gemeinsamen Kommunikationsraumes, gemeinsame Kultur oder Geschichtsgemeinschaft auch für die EU gegeben sind, ohne zuvor die Plausibilität dieser Kriterien zu erörtern. Auch wenn Augustin, ebd., 114, darauf hinweist, dass „die kritische Frage nach der Leistungsfähigkeit dieser Merkmale [immer] im Hintergrund“ steht und sie bei einzelnen Merkmalen — beispielsweise bei der „Abstammungsgemeinschaft“ oder der „Übereinstimmung der Lebensbedingungen und-stile“ — in aller Kürze die Untauglichkeit oder Fragwürdigkeit des jeweiligen Merkmals bzw. die Unmöglichkeit, ein „Maß“ oder „konkrete Abgrenzungskriterien“ zu definieren, feststellt, so drängt sich angesichts des Aufwandes, der zuvor für den Nachweis homogener Strukturen betrieben wurde, der Eindruck auf, es handele sich bei der Frage nach der Plausibilität der Homogenitätsanforderungen und-kriterien um eine sekundäre oder zu vernachlässigende Frage. Andererseits kann man mit dieser Vorgehensweise denjenigen, die unter Berufung auf eben jene Merkmale die Existenz eines europäischen Volkes verneinen, entgegenhalten, dass das Nicht ℒorliegen der genannten Merkmale auf europäischer Ebene nicht so eindeutig ist, wie gemeinhin behauptet wird.
Die besondere Frage nach einer optimalen oder maximalen Größe eines demokratischen Gemeinwesens, die infolge der aktuellen Globalisierungsschü-be von großer Bedeutung ist, kann in der vorliegenden Arbeit nur insoweit behandelt werden, als eine größere Anzahl von Personen eine größere Heterogenität indiziert. Zum problematischen Zusammenhang zwischen demokratischer Organisation, der Größe politischer Einheiten und dem Begriff der Homogenität, siehe bereits: H. Heller, Europa und der Fascismus, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. II, 463, 467 f., demzufolge „die demokratische Staatsexistenz um so problematischer [ist], je größer der Kreis der Mitbestimmenden und je geringer die vorgegebene Einheit.“ Für die Zeit vom 16. bis zum 19. Jahrhundert beschreibt H. Maier, Zur neueren Geschichte des Demokratiebegriffs, in: Beyme, Klaus von (Hrsg.), Theorie und Politik, 1971, 127–161, die Diskussionen über die Relationen zwischen Demokratie und Größe politischer Gemeinschaften. Aus neuerer Zeit: J. Derrida, Politik der Freundschaft, 2000, 9 ff., 17 ff.
F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 2002, 420; W. Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, 2000, 553.
E.-W. Böckenförde, Die Zukunft politischer Autonomie, in: ders., Staat, Nation, Europa, 2000, 103, 112, hält daher zutreffend fest, dass der Begriff der Homogenität „ein aus sich heraus noch recht abstrakter Begriff“ ist.
K. Hesse, Der Gleichheitssatz im Staatsrecht, AöR 77 (1951/52), 167, 172 und 173.
M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 50.
Für Hesse, Der Gleichheitssatz im Staatsrecht (Fn. 7), 176, ist denn auch die „Hauptfrage […] die, welches dieser Gesichtspunkt sein soll, der über Gleichheit oder Ungleichheit der faktischen Voraussetzungen entscheidet.“ Ähnlich auch Lepsius, Staatstheorie und Demokratiebegriff in der Weimarer Republik (Fn. 1), 366, 378 f., demzufolge zwar „die Maßgabe der Identität […] als substantielle Gleichheit definiert, nicht aber begründet [wird]. Die Begründung liegt im Kriterium dessen, was die Substanz der Gleichheit ist.“
F. Müller, Wer ist das Volk?, 1997, 37.
G. Frankenberg, Pluralität verfassen, in: ders., Autorität und Integration, 2003, 73, 109.
Mit einem solchen ≫Geburtsfehler≪ ist allerdings noch nicht gesagt, dass es einer Verfassung, die nicht demokratisch in Kraft gesetzt worden ist, auch an Legitimität mangelt. Vielmehr kann die bei der Verfassungsgebung erfolgte bloß metaphorische Berufung auf die verfassungsgebende Gewalt des Volkes auf verschiedenen Wegen „aktualisiert“ bzw. „geheilt“ werden. Ob es sich bei diesen Aktualisierungen, wie F. Müller, Fragment (über) Verfassungsgebende Gewalt des Volkes, 1995, 23, 26 ff., 46 f., unter Bezug auf Carl Schmitts Ausführungen zur angeblichen demokratischen Legitimation der Reichverfassung von 1871 schreibt, um bloße „Hilfskonstruktionen […] wie immer billig zu habende, I-deologietexte“ handelt, mag hier dahingestellt bleiben.
G. Frankenberg, Die Verfassung der Republik, 1997, 60 f. „Thron und Altar“, schreibt R. Wiethölter, Rechtswissenschaft, 1986, 28, „sind als Halterungen einer sich emanzipierenden Gesellschaft verloren. Die Gesellschaft hat alle ihre Halterungen heute selbst und neu zu schaffen und zu erhalten.“ Mit skeptischem Unterton, siehe auch: J.-F. Lyotard, Randbemerkungen zu den Erzählungen, in: ders., Postmodernde für Kinder, 1996, 32, 34: „Wo liegt die Quelle der Legitimität in der modernen Geschichte seit 1792? Man sagt: beim Volk.“
J. Isensee, Das Volk als Grund der Verfassung, 1995, 21.
Isensee, ebd.
A. Wallrabenstein, Das Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit, 1999, 94 und 104.
B.-O. Bryde, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes als Optimierungsaufgabe, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, 2000, 59, 63. Ebenfalls ausdrücklich auf das Mehrheitsprinzip bezogen U. Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1973, 22: „Die Gleichsetzung der Mehrheit mit dem Ganzen […] legt zugleich klar, dass eine Anerkennung der Mehrheit stets einen bereits geformten sozialen Körper voraussetzt.“
Th. Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, 2001, 44. H. Abromeit/Th. Schmidt, Grenzprobleme der Demokratie, in: Kohler-Koch (Hrsg.), Regieren in entgrenzten Räumen, 1998, 293, 294, zufolge sind „jeder Konzeptualisierung von Demokratie logisch vorgelagert die beiden Fragen (1) nach der Einheit, innerhalb derer der demokratischer Prozess stattfinden soll, und (2) nach den Teilnehmern an diesem Prozess. Abgrenzung, Grenzziehung, die Festlegung von Kriterien für Inklusion und Exklusion sind insofern grundlegende Themen der Demokratietheorie.“
Derrida, Politik der Freundschaft (Fn. 4), 17, stellt das Problem der Grenzziehung und die damit einhergehende Schließung demokratischer Systeme an den Anfang seines Buches und fragt im ersten Kapitel („Oligarchie: Nennen, aufzählen, auszählen, abzählen“): „Wie viele sind wir? — Kommt es darauf an? Zählt das? […] Wie zählen? Wie lässt sich das berechnen?“ Zur Notwendigkeit einer Grenzziehung aus soziologischer Perspektive A. Nassehi/M. Schroer, Integration durch Staatsbürgerschaft?, in: Davy (Hrsg.), Politische Integration der ausländischen Wohnbevölkerung, 1999, 82–104.
Siehe die eben deshalb wenig überzeugenden Ausführungen von E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I (1987), § 22 Rn. 27; J. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, in: Schwab, Dieter/Giesen, Dieter/Listl, Joseph/Strätz, Hans-Wolfgang (Hrsg.). Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft (Festschrift für Paul Mikat), 1989,705, 712.
Müller, Fragment (über) Verfassungsgebende Gewalt des Volkes (Fn. 12), 11.
Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos (Fn. 20), 705, 705 f.; Lyotard, Randbemerkungen zu den Erzählungen (Fn. 13), 32, 34, spricht vom Volk als einer „Idee, und man streitet sich, man schlägt sich um die richtige Idee des Volkes und um deren Durchsetzung.“
Lepsius, Staatstheorie und Demokratiebegriff in der Weimarer Republik (Fn. 1), 366, 371.
H. Heller, Staatslehre, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 3, 1971, 3, 246.
N. Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, 2002, 333: „In jedem Falle aber ist das ≫Volk≪ im 18. Jahrhundert ein Konstrukt und erst gegen Ende des Jahrhunderts ein neuer Mythos, der dazu dient, Repräsentation zu fordern und zu rechtfertigen.“ Zum Mystifikationspotential von Volk, siehe auch Isensee, Das Volk als Grund der Verfassung (Fn. 14), 21.
Ch. Gusy/ K. Ziegler, Der Volksbegriff des Grundgesetzes, in: Davy (Hrsg.), Politische Integration der ausländischen Wohnbevölkerung, 1999, 222, 222.
L. Hoffmann, Staatsangehörigkeit und Volksbewusstsein, in: Bryde (Hrsg.), Das Recht und die Fremden, 1994, 33, 34 und 42 f.
E. Francis, Volk, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 5, 1989, 766.
Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos (Fn. 20), 705, 705 ff.
R. Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, 1987, § 14 Rn. 2.
D. Schefold, Volk als Tatsache, Ideologie und politische Kultur, in: von Bormann (Hrsg.), Volk — Nation — Europa. Zur Romantisierung und Entromantisierung politischer Begriffe, 1998, 57, 63.
H. Reisen, Wesen und Wert der Demokratie, 1963, 14.
E.-W. Böckenförde, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes, in: ders. (Hrsg.), Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, 90, 96. Als in der Geschichte vorgekommene Antworten auf diese Frage nennt Böckenförde: „Nation“, „eine bestimmte Gruppe oder Schicht in einem Volk“, „Proletariat“.
Zur Begriffsgeschichte von Volk R. Koselleck, Volk, Nation, in: Brunner/ Conze/ Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, 1992, 141 ff. Die etymologischen Schwierigkeiten stellt dar G. Sartori, Demokratietheorie, 1992, 29 ff.
Lepsius, Staatstheorie und Demokratiebegriff in der Weimarer Republik (Fn. 1), 366, 374 und 375.
U. Haltern, Integration als Mythos, JöR 45 (1997), 31, 51 f., stellt nicht zu Unrecht fest, dass es sich bei den Kriterien, die eine homogene Struktur des Kollektivs und eine kollektive Herkunft begründen sollen, „insbesondere in Deutschland, um ein heißes Eisen“ handelt, weil „Erfahrungen kollektiver Einigkeit in der jüngeren deutschen Geschichte […] immerhin zu ethnisch definierter Homogenität, „Ausscheidungen und Vernichtung des Heterogenen“, Weltkrieg und Holocaust geführt [haben]“.
Böckenförde, Die Zukunft politischer Autonomie (Fn. 6), 103, 111.
St. Griller, Ein Staat ohne Volk?, IEF Working Paper Nr. 21 (1996), 24. B. Schlüter, Volksbegriff und Volkssouveränität, ZAR 2000, 210, 215 f., spricht von einem „abgründig missbrauchte[n] mythische[n] Volksbegriff“ und verweist auf die „rassistische Pervertierung“ eines „überkommenen ethnischen Volksbegriffs“. Allerdings wendet Schlüter gegen einen solchen Volksbegriff nicht allein die historische Diskreditierung ein, sondern mobilisiert darüber hinaus verfassungsrechtliche und soziologische Argumente.
St. Oeter, Souveränität und Demokratie als Probleme in der „Verfas-sungsentwicklung“ der Europäischen Union, ZaöRV 55 (1995), 659, 691.
Ch. Heitsch, Die Transparenz der Entscheidungsprozesse als Element demokratischer Legitimation der Europäischen Union, EuR 2001, 809, 816.
R. Brubaker, Einwanderung und Nationalstaat in Frankreich und Deutschland, Der Staat 28 (1989), 1, 3.
Der Name Carl Schmitts steht hier natürlich im Vordergrund. Der Eindruck, dass allein durch die explizite Nennung von Carl Schmitt auch bestimmte demokratietheoretische bzw. rechtswissenschaftliche Positionen hinreichend diskreditiert seien, drängt sich auf bei M. Zuleeg, What holds a Nation tother?, AJCL Volume XLV/1997, 505, 510; J. H.H. Weiler, Der Staat, über alles’, JöR 44 (1996), 91, passim. Letzterer schreibt allerdings in einer neueren Arbeit, Europe’s Dark Legacy, in: Joerges/Ghaleigh (Hrsg.), Darker Legacies of Law in Europe, 2003, 389, 392: “In politics, calling one’s opponent a ‚Fascist‘ became so common as to denature that word. Comparisons to Hitler or, say, Saddam Hussein, Arafat, or, more recently by a German Minister, George Bush, have suffered the same inflationary consequences. And in academia a sure way to occupy the high moral ground and, simultaneously, to boast a critical mind is to stick scare quotes around that ubiquitous whipping boy, ‚liberalism‘, proclaimed or otherwise, and to show a Fascist, Racist, or, quelle frisson, Nazi association.” Kritisch zur Umgehung inhaltlicher Auseinandersetzung durch personelle Diskreditierung A. v. Bogdandy, Das Leitbild der dualistischen Legitimation für die europäische Verfassungsentwicklung, KritV 2000, 284, 294 ff.; TV. S. Ghaleigh, Looking into the Brightly Lit Room, in: Joerges/ders. (diese Fn.), 43, 49 ff.
Böckenförde, Die Zukunft politischer Autonomie (Fn. 6), 103, 112, spricht von einem „Frageverbot“.
Derrida, Politik der Freundschaft (Fn. 4), 123, Fn. 4. Gerade in der „jahrzehntelang anhaltenden Polemik“ gegen die Schmittsche Theorie des Politischen sieht: U. Preuβ, Zum Begriff des Politischen bei Carl Schmitt, in: Bürger (Hrsg.), Zerstörung, Rettung des Mythos durch Licht, 1986, 147, 150, den „beste[n] Beweis ihrer geistigen Vitalität“.
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(2008). Einleitung. In: Der Begriff der Homogenität in der Verfassungslehre und Europarechtswissenschaft. Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, vol 198. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-540-79138-6_1
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