Seit Beginn des neuen Jahrtausends nimmt die Debatte über die negativen Folgen der demografischen Entwicklung in Deutschland einen immer größeren Raum ein. 1 Die Stichworte, die in diesem Zusammenhang genannt werden, sind Bevölkerungsschwund, Überalterung, Greisenrepublik oder Krieg der Generationen. Da die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter immer mehr zurückgehe, während die Gruppe der Älteren und Hochbetagten gleichzeitig deutlich zunehme, sei die Zukunft unserer Volkswirtschaft von Grund auf gefährdet. Angesichts einer derart bedrohlichen Perspektive sei der allgemeine Wohlstand nur dann aufrechtzuerhalten, wenn grundlegende Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme stattfänden. Ganz in diesem Sinne heißt es auf der Homepage des Bundesministeriums des Inneren: „Der demographische Wandel ist eine der größten Herausforderungen für die Zukunft unseres Landes. Als Herausforderung erweist sich dabei weniger der langfristige Bevölkerungsrückgang in Deutschland – nach den neuesten Bevölkerungsvorausberechnungen von derzeit 82 Mio. auf eine Größenordnung zwischen 74 und 69 Mio. Menschen im Jahre 2050 –, sondern vielmehr die zunehmende Alterung der Bevölkerung, die unsere sozialen Sicherungssysteme in Schwierigkeiten bringt und nach langfristigen Anpassungsstrategien verlangt“ (BMI 2008). Ähnlich argumentierte Franz Müntefering, seinerzeit Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, im Sommer 2003 auf einer Betriebsrätekonferenz: „Wir Sozialdemokraten haben in der Vergangenheit die drohende Überalterung unserer Gesellschaft verschlafen. Jetzt sind wir aufgewacht. Unsere Antwort heißt: Agenda 2010! Die Demografie macht den Umbau unserer Sozialsysteme zwingend notwendig“ (zit. n. Verdi 2003 , S. 1). Mit gleicher Stoßrichtung, aber deutlich schlichter und betont hausbacken formulierte Müntefering, damals Bundesminister für Arbeit und Soziales, seine Position am 2. Dezember 2005: „Es geht nämlich nicht, dass wir sieben, acht Jahre länger leben als die Menschen, die 1950, 1960 vergleichbar alt waren, aber fünf Jahre weniger als damals arbeiten. Um zu wissen, dass das nicht hinhauen kann, braucht man keine Mathematik, dafür reicht die Volksschule im Sauerland. Man muss hier irgendetwas tun.“ 2 Eine solch simple Relation von demografischen und volkswirtschaftlichen Bezugsgrößen dürfte für viele Menschen auf den ersten Blick klar und einleuchtend wirken und bei manch einem gar den Eindruck grandioser Einfachheit erzeugen. Dass auf diese Weise wesentliche Zusammenhänge ausgeklammert und verschleiert werden, soll im Folgenden gezeigt werden. Nachdem wir zunächst noch einmal auf die aktuellen Debatten eingehen, werden wir uns im Anschluss daran den Ergebnissen der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (Statistisches Bundesamt 2003a) zuwenden, die eine Modellrechnung bis ins Jahr 2050 darstellt. 3 Dabei soll die Frage untersucht werden, wie weit deren Ergebnisse tatsächlich Anlass zu Panik und Dramatisierung bieten. Abschließend geht es dann um die Frage, welche Konsequenzen es für die Volkswirtschaft mit sich bringen würde, wenn die Voraussagen wirklich zutreffen würden.
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Literaturverzeichnis
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Bundestag (1968) Bericht der Bundesregierung über die Lage der Familien in der Bundesrepublik Deutschland. Drucksache V/2532, Bad Godesberg. Im Internet unter http://www.bmfsfj.de/doku/familienbericht/download/1_Familienbericht.pdf (30.07.2008)
Burgdörfer F (1932) Volk ohne Jugend. Geburtenschwund und Überalterung des Deutschen Volkskörpers. Ein Problem der Volkswirtschaft – der Sozialpolitik – der nationalen Zukunft. Vowinckel, Berlin-Grunewald
Etzemüller T (2007) Ein ewigwährender Untergang. Der apokalyptische Bevölkerungsdiskurs im 20. Jahrhundert. Transcript, Bielefeld
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Verdi (Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft) (2003) Mythos Demografie. Berlin. Im Internet unter http://wipo.verdi.de/broschueren/mythos_demografie/data/broschuere_demografie (30.07.2008)
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Bosbach, G., Bingler, K. (2009). Demografische Modellrechnungen. In: Popp, R., Schüll, E. (eds) Zukunftsforschung und Zukunftsgestaltung. Zukunft und Forschung. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-540-78564-4_38
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